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"Berlin ist doch sehr egozentrisch. Regionale Zentren sind geschwächt", sagt Norbert Blüm.
© Mike Wolff

Im Interview: Norbert Blüm: „Berlin ist egozentrisch"

Norbert Blüm war gegen den Umzug von Bonn nach Berlin. Und noch heute ist er skeptisch.

Sie waren Wortführer gegen Berlin und Warner vor dem Umzug. Wie ist es 20 Jahre später geworden?

Ein Gegeneinander ist es nicht, aber ein sehr intensives Miteinander ist es allein schon deshalb nicht, weil Berlin doch sehr egozentrisch ist. Es ist, wie ich befürchtet habe, ein Metropolensog entstanden. Wer in dieser Republik mitspielen will, der meint, er müsse nach Berlin. Das lässt die regionalen Zentren schwächer werden.

Sie haben damals gesagt, ersparen wir Berlin den Weg in die Megastadt. Das wurde als vergiftetes, unehrliches Argument gesehen.

Das meinte ich damals ehrlich und auch jetzt noch. Auch Adenauer wollte nicht die Großstadt Frankfurt, das war die Alternative. Der Bonner mag keine Paraden, wenn eine, dann Karnevalsparaden. Berlin, das ist eine Stadt, die für das Große angelegt ist, für die großen, demonstrativen Auftritte.

Sie sind unterlegen. Haben sich für Sie die Befürchtungen bestätigt? Oder sagen sie, es ist doch besser geworden als befürchtet?

Der Rheinländer sagt, was fort ist, ist fort. Das ist entschieden. Wir wollen uns nicht weiter in Niederlagen suhlen. Ich bin sicher, wenn die Rheinländer die paar Stimmen mehr gehabt hätten, dann würde heute noch in Berlin nachgetreten. Die Rheinländer haben sich damit abgefunden. Eine große Begabung, ein Maß an Gelassenheit, dass der Berliner Republik fehlt.

Sie haben gesagt, Berlin wird zweifellos das wirtschaftliche Zentrum Deutschlands werden und braucht die Regierung nicht. Wir sind aber immer noch ein Armenhaus, nicht das wirtschaftliche Gravitationszentrum.

Da habe ich mich geirrt. Die Unternehmen haben aber rasch kapiert, dass durch einen Umzug kein Gewinn zu machen ist und die Berliner sind beschäftigt gewesen mit ihren Repräsentativbauten, die nicht sehr eindrucksvoll sind. Ich war auch dagegen, dass der Reichstag da so einen, wie ich glaubte, wilhelminischen Haube bekommt. Das ist es nicht geworden, die Kuppel strahlt eher eine spielerische Transparenz aus. Das find ich gelungen. Nicht gelungen finde ich, wie der Reichstag eingemauert ist von Zement und Beton durch den Abgeordnetenriegel. Die Büros sind kleine Bienenwaben und außen ist es repräsentativ - typisch Berlin. Es muss was gelten. Bonn hatte dagegen immer den Werkstattcharakter betont. Diese Republik ist gegründet worden in einem Provisorium. Und das hat sich als haltbarer erwiesen. Das Provisorische tut der Politik besser.

Wie ist der Umzug gelungen?

Der Umzug ist insofern gut gelungen, weil er ohne langes Wehklagen der Bonner und einer hohen Gelassenheit vollzogen wurde. Das war auch ein logistisches Kunststück und Meisterleistung Und Bonn hat sich eigentlich nicht in tiefer Trauer verhalten, sondern weitergemacht, hat kein Sand ins Getriebe geworfen. Wie Berlin eingerichtet wurde, entsprach das auch den allgemeinen Wunsch nach Größe und Repräsentation. Etwa das völlig unproportionale und unförmige Kanzleramt, von dem ich sage, es ist ein Denkmal für die deutsche Zementindustrie. Ein unproportionaler und unförmiger Steinhaufen. Nein, Steinhaufen stimmt nicht. Aber mit der goldenen Regel hat es auch nichts zu tun.

Ist Berlin heute für die Welt der angemessene Ausdruck einer gewachsenen, einer friedfertigen Republik?

Die Bonner Republik hat das Kunststück fertig gebracht, bescheiden und selbstbewusst zu sein und hat uns zugleich mit den westlichen Werten des Skeptizismus gegen Macht und Repräsentation versöhnt.

Ob Norbert Blüm glaubt, dass Berlin zur aggressiven Selbstdarstellung neigt, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Wollen sie damit sagen, dass die Berliner Republik mehr zu einer aggressiven Selbstdarstellung tendiert?

Das ist zu hart. Aber das gelassene Selbstbewusstsein hat die Adenauersche Republik ausgezeichnet. Die hat dafür keinen Trommelwirbel und Wachparade gebraucht.

Hat der Umzug nach Berlin den Föderalismus gestärkt?

Nein. Der Umzug hat den Föderalismus geschwächt. Bonn war eine Stadt unter vielen, Berlin ist die Metropole. Ob Kunst oder Wissenschaft, heute musst du in Berlin sein.

Würden Sie heute noch einmal so entscheiden wie damals?

Ja, ich würde genauso argumentieren und entscheiden. Ich würde aber keinen Finger krumm machen, um den Beschluss zu revidieren. Das ist so entschieden. Dafür gibt es heute wichtigere Probleme, etwa die Frage, wie wir Europa ordnen. Nicht alles hat gestimmt, was ich befürchtet habe, bei der Wirtschaft beispielsweise.

Bei der Entscheidung spielte auch die Vollendung der Einheit eine Rolle und die Einbindung der Ostländer in die neue Republik.

Die Vollendung der Einheit war das stärkste Argument, gegen das fast kein Kraut gewachsen war. Wir haben in den Jahren der Teilung die Einheit symbolisch dadurch in Erinnerung gehalten, dass Berlin die Hauptstadt unseres gemeinsamen Vaterlandes ist. Die Frontstadt Berlin war das Symbol, dass wir uns nicht in Ost- und West aufspalten lassen. Diesem starken Argument wollten wir Bonner ja dadurch entgegen kommen, dass Berlin der Sitz des Bundespräsidenten und Bundesrats werden sollte. Das nehme ich ernst. Aber was den Osten anbelangt, habe ich ganz andere Gefühle im Osten kennen gelernt. Für die Bevölkerung dort war Berlin nicht die Traumhauptstadt, sondern der Sitz des SED-Staates.

Aber hat der Umzug die Einheit befördert?

Wir können den Film nicht zurückdrehen, um das zu beurteilen. Aber ich habe eh keine Sehnsucht nach einer Einheitsmentalität in Deutschland. Es gibt große Vorbehalte zwischen Westfalen und Rheinländern, Kölnern und Düsseldorfern, warum sollte nicht auch das Verhältnis von Ossis und Wessis Gegenstand von Frotzeleien und Vorbehalten sein? Problematischer ist, dass wir ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen Ost und West haben.

Es mehren sich die Stimmen, die einen vollständigen Umzug fordern.

Wieso muss denn alles nach Berlin? Im Zeitalter der Informatik spielen doch Distanzen keine Rolle mehr. Der bürokratische Unterbau hat doch mit der Gesetzgebung oder politischen Planung überhaupt nichts zu tun, das muss doch nicht alles in Berlin sein. Und die Aufteilung der Ministerien war doch eine politische Bedingung. Ohne diese Zustimmung hätte Berlin doch diese wenigen Stimmen mehr überhaupt nicht bekommen. Verträge muss man einhalten.

Fürchten Sie, dass der Rutschbahneffekt weiter geht?

Ja, es gibt Leute, die können nicht genug bekommen. Die Reform des Bundesverteidigungsministeriums könnte ein Einfallstor werden. Das geht scheibchenweise nach bekannter Melodie. Und manche Minister brauchen das offenbar für ihr Selbstbewusstsein.

Was würde es bedeuten, wenn die Ministerien aus Bonn weggingen? Wäre auch die Ansiedlung der Vereinten Nationen gefährdet?

Das glaube ich nicht. Es wäre aber ein Verlust, wenn die politische Substanz ganz aus Bonn verschwinden würde und Bonn nur noch eine Regionalstadt wäre, obwohl wir Bundesstadt heißen. Damit sind die Bonner ja getröstet worden. Ich brauche den Trost nicht, aber ich hab es nicht gern, wenn man Zusagen, die man gemacht hat, um die Mehrheit zustande zu bringen, jetzt wieder vergisst. Bonn hat schon intellektuelle Substanz verloren durch den Wegzug der Regierung, der Botschaften oder Verbände. Natürlich müssen wir uns nicht beklagen, wir haben dafür die Telekom oder Post bekommen.

Wird es in Bonn noch mal Widerstand geben, wenn die letzten Ministerien auch noch weggehen sollten?

Verärgerung schon, Widerstand nein. Zum Widerstand gehört ja nicht nur Bonner Erregung sondern auch eine Resonanz im Deutschland. Und da gibt es andere Themen, die die Menschen mehr bewegen als die Hauptstadtfrage.

Das Gespräch führte Gerd Nowakowski

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