Internationales Recht: Niederlande haften für Fehler ihrer Blauhelm-Soldaten in Srebrenica
Elf Jahre lang mussten sie warten. Nun haben die Angehörigen von drei Opfern des Srebrenica-Massakers in Bosnien recht bekommen: Der niederländische Staat war für den Tod ihrer Väter verantwortlich.
Der niederländische Staat ist nach einem Urteil des höchsten Gerichtes des Landes haftbar für den Tod von drei bosnischen Männern beim Völkermord von Srebrenica 1995. Der Hohe Rat der Niederlande bestätigte damit am Freitag in Den Haag das Urteil einer früheren Instanz. Die Niederlande hatten dagegen Berufung eingelegt mit der Begründung, dass für den Einsatz in Bosnien nur die Vereinten Nationen verantwortlich waren. Das wies das Gericht zurück.
Nachdem Richter Floris Bakels das Urteil gesprochen hatte, brachen die Angehörigen in Tränen aus und umarmten einander. „Es ist kaum zu glauben. Ich bin überglücklich“, sagte Alma Mustafic, Tochter eines der Opfer. Die Familien der drei Männer hatten den niederländischen Staat bereits 2002 verklagt. Sie können nun Schadenersatz fordern.
Mit dem Urteil könnten viele Schadenersatzklagen auf die Niederlande zukommen. Es könnte zudem weitreichende Folgen für künftige Blauhelm-Einsätze haben. Regierungen sind ohnehin zurückhaltend damit, Soldaten in UN-Friedenseinsätze zu schicken. Wenn damit die zivilrechtliche Haftung für Fehler der Blauhelme verbunden wäre, dürften sie in Zukunft noch weniger bereit dazu sein.
Eine niederländische Einheit hatte Srebrenica kampflos übergeben
Die UN-Schutzzone Srebrenica in Bosnien-Herzegowina war am 11. Juli 1995 von serbischen Truppen unter Leitung von General Ratko Mladic überrannt worden. Die niederländische UN-Einheit Dutchbat hatte sie kampflos übergeben. Serben hatten danach rund 8000 bosnisch-muslimische Männer und Jungen ermordet. Es war der größte Völkermord in Europa nach 1945. Ex-General Mladic muß sich zur Zeit vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag verantworten.
Die drei bosnischen Männer - Vater und Bruder des damaligen UN-Dolmetschers Hasan Nuhanovic sowie der Elektriker der UN-Truppe, Rizo Mustafic, - hatten auf der Militärbasis Zuflucht gesucht. Doch Dutchbat hatte die Männer bei der Evakuierung weggeschickt. Sie wurden kurz darauf von serbischen Einheiten ermordet.
Auch der entsendende Staat ist für seine Friedenstruppe verantwortlich
„Das Recht hat gesiegt“, sagte die Anwältin der Angehörigen, Liesbeth Zegveld. „Dafür haben wir elf Jahre lang gekämpft.“ Gegen das Urteil ist keine Berufung mehr möglich. Das niederländische Verteidigungsministerium wollte erst nach Prüfung des Urteils reagieren.
Die Obersten Richter beriefen sich auf das internationale Recht. Danach sei auch der entsendende Staat mitverantwortlich für seine Friedenstruppe, auch wenn diese unter der Flagge der Vereinten Nationen operiere. „Das Gericht hat dann auch geurteilt, dass das Verhalten von Dutchbat dem Staat zuzurechnen ist.“ Das Urteil bezieht sich nur auf die Fälle der drei getöteten Männer. Juristen schließen jedoch nicht aus, dass Klagen weiterer Srebrenica-Opfer folgen könnten. Ob das Urteil Folgen für künftige UN-Friedenseinsätze haben wird, ist ungewiss.
Die Armen stellen die Truppen, die Reichen zahlen
Die Niederlande haben ihr Engagement in UN-Friedensmissionen ohnehin schon drastisch reduziert. Ingesamt entsenden die Niederlande in diesem Jahr 44 Personen in eine der 15 aktuell stattfindenden Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Davon sind 21 Polizisten, 16 Militärexperten und sieben Soldaten. Die Arbeitsteilung in den UN ist ziemlich klar: Arme Länder stellen Truppen, reiche Länder zahlen. Von den insgesamt 97 602 Einsatzkräften sind 82 551 Soldaten, 13 216 Polizisten und 1835 Militärberater. Die 15 UN-Friedensmissionen kosten rund sieben Milliarden Dollar, die vor allem von der Europäischen Union und den USA getragen werden. Die Truppensteller sind dagegen vor allem asiatische und afrikanische Länder. Die drei größten Truppensteller sind Pakistan (8252), Bangladesch (7936) und Indien (7859). Deutschland beteiligt sich mit 227 Einsatzkräften an UN-Missionen, davon sind 201 Soldaten, 17 Polizisten und neun Militärberater.
Die größte UN-Mission ist nach wie vor die Blauhelmtruppe in der Demokratischen Republik Kongo (Monusco) mit 20 519 Soldaten. Die aktuelle UN-Mission müht sich seit 2010 die Zivilbevölkerung im unendlichen Bürgerkrieg im Ostkongo besser zu schützen - mit überschaubarem Erfolg. Der zweitgrößte Einsatz ist seit 2007 Unamid in der westsudanesischen Krisenprovinz Darfur mit 19 794. Mit Unoci in der Elfenbeinküste (10 011 seit 2004), Unmil in Liberia (7332 seit 2003), Unmiss an der Grenze zwischen dem Sudan und Südsudan (7561 seit 2011) und der jüngsten UN-Mission Misnusma (6294) seit Juli 2013 sind weitere große UN-Missionen in Afrika im Einsatz. Lediglich im Libanon (Unifil 10 585 Soldaten), wo die Blauhelme seit 1978 stationiert sind, und in Haiti, wo seit 2004 in der Mission Minustah 8754 Soldaten versuchen, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, sind ähnlich große Kontingente im Einsatz. Die älteste UN-Mission Untso ist seit 1948 im Nahen Osten im Einsatz, umfasst allerdings lediglich 149 Soldaten. In Europa gibt es noch zwei Orte, wo UN-Blauhelme den Frieden befördern sollen: im Kosovo, wo nur noch 17 Soldaten in der Unmik-Mission eingesetzt sind, insgesamt umfasst Unmik noch 280 Einsatzkräfte. Unmik begann 1999 nach dem Kosovo-Krieg. Auf Zypern müht sich Unficyp mit 922 Soldaten seit 1964 um den Frieden. Die beiden zyprischen Teilstaaten haben an einer Lösung für den Konflikt allerdings derzeit wenig Interesse. (mit dpa/Reuters)
Dagmar Dehmer
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