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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Straßburg.
© REUTERS

Junckers Rede zur "Lage der Union": Nicht nur die EU muss um Glaubwürdigkeit kämpfen

Jean-Claude Juncker bemüht das K-Wort – Vertrauen in die Fähigkeiten der EU schafft er so nicht. Ein Kommentar.

Man stelle sich vor, die Bundeskanzlerin würde Jahr für Jahr vor dem Bundestag eine Rede halten und darin erklären, dass ein Scheitern der Bundesrepublik nicht auszuschließen sei. Würde sie dadurch Vertrauen in die staatlichen Institutionen schaffen? Wohl kaum.

Nach seiner Premiere vor einem Jahr hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nun zum zweiten Mal vor dem Europaparlament eine Rede zur „Lage der Union“ gehalten. Im vergangenen Jahr bemängelte er, dass es in den EU-Mitgliedstaaten an europäischem Geist fehle. „Es mangelt an Union“, sagte Juncker damals. Diesmal sprach Juncker von einer „in Teilen existenziellen Krise“, in der sich die Europäische Union nach dem Brexit-Votum befinde. Als der Luxemburger Ende 2014 sein Amt als Chef der Brüsseler Behörde antrat, sprach er von einer Kommission „der letzten Chance“.

Wer stets vom potenziellen Scheitern spricht, muss aufpassen, dass er damit nicht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung verkündet. Es ehrt Juncker, dass er auch am Mittwoch vor den Europaabgeordneten in Straßburg den Versuch unternahm, eine ungeschönte Bestandsaufnahme zum Zustand der EU abzuliefern. Und der ist in der Tat nicht rosig: Rechtspopulismus von Frankreich bis Ungarn, ein ungelöster Streit über den Umgang mit Flüchtlingen, Kritik von links und rechts an Freihandelsabkommen wie TTIP und Ceta. Dass Juncker aber auch diesmal wieder von einer EU-Krise redete, könnte sich am Ende als Bumerang erweisen: Viele EU-Bürger könnten sich in dem – fälschlichen – Glauben bestärkt sehen, dass die Europäische Union angesichts der globalen Herausforderungen überfordert sei.

Politik muss überall um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen

Juncker übersieht allerdings in seinem Lamento über den „galoppierenden Populismus“, dass sich dieser keineswegs allein gegen die EU richtet. Der Populismus ist inzwischen genauso zu einer Herausforderung für Politiker auf nationaler Ebene geworden – siehe AfD – wie jenseits der EU – siehe Donald Trump. Nicht nur europäische Institutionen wie die EU-Kommission müssen gegenüber den Bürgern um Glaubwürdigkeit kämpfen wie nie zuvor, sondern die Politik ganz allgemein.

Und gleichzeitig gilt auch: Für zahlreiche Themen, welche die Bürger hierzulande umtreiben, bleibt die EU die entscheidende Lösungsinstanz. So hat Juncker in seiner Rede in Straßburg zu Recht gefordert, dass Europa angesichts der Flüchtlingskrise und der Terrorbedrohung seine Grenzen gemeinsam besser schützen muss. Der Aufbau des neuen EU-Grenzschutzes ist weiterhin ein sinnvolles Gegenmodell zur nationalen Abschottung, wie sie Ungarns Regierungschef Viktor Orban betreibt. Auch die anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien, auf die Juncker ebenfalls zu sprechen kam, werden die Kontinentaleuropäer nur im Verbund führen können – schon allein deshalb, um sich ihr „Kronjuwel“ zu erhalten, den Binnenmarkt.

Apropos: Nach dem Brexit-Votum dämmert es vielen Briten allmählich, dass an der EU doch nicht alles schlecht war. Vielleicht setzt sich auch jenseits der Insel demnächst diese Erkenntnis durch – statt Junckers Krisen-Rhetorik.

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