Chinas Wirtschaft in der Krise: Nicht mehr zu beschönigen
Ministerpräsident Li Keqiang senkt die Wachstumsprognose. Die schwache chinesische Wirtschaft kann auch zum Problem für Deutschland werden. Ein Kommentar.
Nach der Eröffnungsrede des chinesischen Ministerpräsidenten beim Volkskongress in Peking beginnt stets das Wörterzählen der China-Experten. Die Rechenschaftsberichte der Regierenden vor dem Scheinparlament bestehen meistens aus Politphrasen. Da kann wenigstens die Anzahl der in der Rede genannten politischen Schlagwörter Aufschluss darüber geben, wohin sich die chinesische Politik entwickelt - und wohin nicht. Am Dienstag erwähnte Li Keqiang, im Gegensatz zum Vorjahr, nicht mehr das Wort "Luftverschmutzung". Ein Zeichen dafür, dass die Regierung im Zweifel der wirtschaftlichen Entwicklungen den Vorrang geben will.
Das ehrgeizige Wirtschaftsprogramm "China 2025" kam ebenfalls nicht mehr in seiner Rede vor. Wohl um den US-Präsidenten Donald Trump nicht zu provozieren und den Handelsstreit nicht weiter anzufachen. Doch bei Themen wie Innovationsschwäche oder Finanzrisiken konnte man sich das Wörterzählen sparen. Denn Li Keqiang sprach diese Probleme deutlich an und ermahnte die Chinesen, dass "wir uns in ausreichendem Maße auf härtere Kämpfe gefasst machen" sollten.
Diese ungewöhnliche Offenheit zeigt, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Chinas bereits so groß sind, dass man sie nur schwerlich beschönigen kann. So gab Li Keqiang für das Wirtschaftswachstum ein Ziel aus, das so niedrig liegt wie seit 30 Jahren nicht mehr. Mit 6,0 bis 6,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes will China in diesem Jahr wachsen. Im vergangenen Jahr lag der Wert offiziell bei 6,6 Prozent. Das sind immer noch Werte, von denen andere Volkswirtschaften träumen. Viele Experten halten die chinesischen Zahlen aber für geschönt. Das tatsächliche Wachstum dürfte nur halb so groß sein - und die tatsächlichen Probleme dementsprechend bedeutend.
Gefahr des Nationalismus steigt
Li Keqiang verkündete daher Maßnahmen, mit denen die chinesische Wirtschaft angekurbelt werden soll. Zum Beispiel Steuererleichterungen oder die Senkung von Sozialabgaben für Unternehmen. In den Städten sollen auch elf Millionen neue Jobs geschaffen werden. Weil das wirtschaftliche Wachstum ein wichtiges Standbein der Einparteiendiktatur ist, gefährdet diese Entwicklung auch die politische Stabilität. Die Gefahr ist groß, dass die Kommunistische Partei im Gegenzug das andere Standbein ihrer Legitimation, den Nationalismus, weiter stärken wird.
Darauf lässt auch die geplante Erhöhung des Militäretats um 7,5 Prozent schließen. Am Schluss seiner Rede erwähnte Li Keqiang explizit Taiwan. Ein Signal, dass die Volksrepublik eine militärische "Wiedervereinigung" mit der Insel anstreben könnte, die sie als abtrünnige Provinz betrachtet.
Das alles sind keine guten Nachrichten - auch nicht für Deutschland. Denn Stabilität in Ostasien liegt auch im Interesse der Bundesrepublik. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner, die meisten Warenimporte hierzulande stammen von dort. Spätestens wenn sich die importierten Produkte verteuern, haben die chinesischen Wirtschaftsprobleme auch den deutschen Verbraucher erreicht.