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Wien auf den Barrikaden: Demonstranten treten am Samstag für Neuwahlen und Europa ein.
© imago images/photonews.at

Es geht um die Demokratie: Neuwahlen in Österreich sind eine Chance für Europa

Die Verantwortung von Kanzler Kurz reicht über sein Regierungsbündnis hinaus. Es gilt, die gemeinsame Kultur des Kontinents zu bewahren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu – der Satz von Ödön von Horváth, dem deutsch schreibenden österreichisch-ungarischen Dramatiker, passt wie gerufen auf das, was in Wien gerade vor sich geht. Erstens ist es ein Drama; zweitens haben die, die sonst nicht dazu kommen, jetzt die Chance, allen zu zeigen, dass sie anders sind als von vielen gedacht. Gemeint in erster Linie: Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Nach diesem erschreckenden, entlarvenden Ibiza-Video des rechtpopulistischen Koalitionspartners Heinz-Christian Strache bleibt keine Wahl, als eine Wahl anzuberaumen. Dieses Bündnis dauert sowieso schon zu lange, um glaubwürdig vertreten zu können, dass hier eine indiskutable Gruppierung wie die FPÖ mittels gemeinsamer harter Arbeit fürs Gemeinwohl diszipliniert werden kann. Die vielleicht über die Monate und Jahre zu verlässlichen Demokraten erzogen wird. Wird sie nicht.

Wie sagt Strache selbst? Alkoholgeschwängerter Polit-Machismus. Und der ist nur ein Teil des Unzustandes. Ein anderer ist kaum verhüllter Kryptofaschismus. Die von der FPÖ geradezu zelebrierte Haltung ist, um das Mindeste zu sagen, vormodern. In einer Weise, die an die nationalistisch-antidemokratische Position in der „Konservativen Revolution“ des vorigen Jahrhunderts denken lässt, an die Schriften eines Oswald Spengler zum Untergang der „Kultur des Abendlands“.

Demokratieskeptiker demokratisch behandeln

Daraus wird jetzt umgekehrt für einen Sebastian Kurz ein starkes Argument. Eben wer die mühsam errungene demokratische Kultur dieses Kontinents bewahren will, muss handeln. Es geht um viel: darum, nicht in Überkommenes in der Geschichtsschreibung zurückzufallen, sondern die Geschichte des zivilisatorischen Fortschritts fortzuschreiben. Es geht darum, gegen die Demokratieskeptiker demokratisch zu handeln. Das heißt, ihnen die Optionen deutlich zu machen – und ihnen dann in diesem Bewusstsein die Zukunft zur Wahl zu stellen.

Darin liegen Risiko und Chance für Politik, große Politik. So gesehen, im Blick auf die Europawahlen: Österreich als Vorbild im Kampf gegen den Versuch, auch mit der österreichischen FPÖ eine Internationale des Nationalismus und Rechtspopulismus zu schmieden. Also Sebastian Kurz gegen Steve Bannon – wenn das nicht die Möglichkeit zur Profilierung bietet.

Kurz in europäischer Verantwortung

Kein Demokrat darf jetzt noch, nach allem, was bekannt ist, den anarchischen Ansatz zur Zerstörung des Bestehenden, der Grundfesten des Staates, unwidersprochen lassen. Und kein Konservativer darf sich seinen Begriff nehmen lassen. Das ist die Herausforderung von Wien. Ein Erfolg hätte natürlich europaweite Ausstrahlung – im einen wie im anderen Fall. Aber mit der Lage in Österreich verbunden ist eben genau die Hoffnung, jedenfalls im Stillen, dass sich das Ergebnis kathartisch auf die Nachbarstaaten auswirkt, auf Italien, Ungarn, Tschechien.

Was pathetisch klingt, ist schlicht wahr: Sebastian Kurz handelt in Österreich in europäischer Verantwortung. Es wäre gut, wenn die europäischen Kollegen, zumal die Konservativen, das würdigten. Und ihn so ermutigten, dem tragenden Gedanken Geltung zu verschaffen, dass Solidarität der Demokraten zur abendländischen Kultur gehört. Frei nach Horváth: Manche Europäer kommen ja gerade nicht so oft dazu.

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