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Politik: Neues Denken – nur schneller

Von Christoph von Marschall

Auf einmal geht alles ganz schnell. Zwölf Stunden nach dem Wahlsieg der Demokraten und dem Verlust seiner Kongressmehrheit entließ George W. Bush Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Donnerstagmittag, gut 36 Stunden nach Schließung der letzten Wahllokale, aß die Demokratin Nancy Pelosi bereits bei ihm im Weißen Haus. Die erste „Madame Speaker“ in der Geschichte der USA wird zur Schlüsselfigur in Amerikas Kohabitation, der Machtteilung zwischen dem republikanischen Präsidenten und dem nach zwölf Jahren wieder demokratischen Kongress. Gegen sie wird Bush kaum Politik machen können. Er will aber erkennbar die Initiative behalten. Am Abend gestand der Republikaner Allen seine Niederlage im Kampf um den entscheidenden Senatssitz in Virginia ein. Die Demokraten haben nun die Mehrheit in beiden Kongresskammern – ohne dass ein wochenlanger Rechtsstreit um die Auszählung das Land lähmt.

Bushs Macht schien festgefügt zu sein, „Kurs halten“ war die Parole – aber in 48 Stunden haben sich die politischen Koordinaten der Weltmacht verschoben. Der Präsident entdeckt die Überparteilichkeit, beruft sich darauf, dass es sein Markenzeichen als Gouverneur von Texas war, mit den Demokraten zusammenzuarbeiten. Es stimmt, auch im Januar 2001, neu im Amt, hatte er das versprochen. In den gut fünf Jahren seit den Anschlägen 9/11 war davon freilich immer weniger zu bemerken. Bush hat die Nation gespalten. Doch in welche Richtung katapultiert die enorme Beschleunigung der Ereignisse das Land? Wird es für ihn schwieriger oder einfacher, was ändert sich im Irak und was für Europa?

Selbst im besten denkbaren Fall müssen die Antworten gemischt ausfallen – und der setzt voraus, dass Bush, Pelosi und ihre Parteigänger, die sich zum Teil hassen, die Gefühle verstecken und kooperieren. Bush muss keine Rücksicht mehr auf die ideologische Rechte und die Religiösen nehmen – so wie Bill Clinton von den linken Scharfmachern befreit war, als er 1994 seine Mehrheit verlor. Die US-Medien erinnern bereits verklärend an die Kohabitation unter Clinton. Politik folgte dem Mainstream, das Budget war ausgeglichen, die Korruption gering, keine Seite konnte Freunden milliardenschwere Projekte zuschanzen. Viel Zeit für Versöhnlichkeit bleibt nicht. Spätestens in zehn, zwölf Monaten beginnt der erbitterte Kampf, wer das Weiße Haus 2008 erobert.

Im Irak fällt es Bush leichter, den Kurs zu ändern. Aber die Demokraten haben es schwer, können sich nicht mehr auf Kritik beschränken, müssen nun eine Politik vertreten. Rumsfelds Rücktritt ist befreiend, weist aber noch nicht die Richtung. Das verbreitete Bild in Europa: Der Krieg war falsch und ist durch Skandale zusätzlich vergiftet. Die Mehrheitsmeinung in Amerika dagegen: Es war richtig, Saddam zu stürzen und die Blockade des Mittleren Ostens durch anachronistische Regime aufzubrechen, die Aufgabe ist nur schlecht ausgeführt worden. Die US- Bürger wollen von der Last eines unpopulären Kriegs befreit werden, aber nicht um den Preis einer Niederlage und Flucht. Wie das geht, ist noch unklar.

Auf Europa kommt die Bitte der Demokraten zu, eine neue Irakpolitik zu unterstützen. Nicht mit Soldaten, aber substanziell, etwa durch Ausbildung von mehr Polizisten und Verwaltungsexperten. Europa kann das schwer verweigern, doch eigene Wünsche daran knüpfen in der Energie- und Klimapolitik. Das beschleunigte Umdenken in den USA ist kein Happy End. Es eröffnet eine Chance.

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