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„Unsere Position zu Homosexualität wurzelt in der islamischen Scharia“, erklärte Mansour Abbas.
© Ahmad GHARABLI / AFP

Israel nach den Wahlen: Netanjahu umwirbt Chef einer islamistischen Partei

„Unsere Position zu Homosexualität wurzelt in der islamischen Scharia“, sagt Mansour Abbas. Schon bald könnte seine kleine Partei der Regierung angehören.

Im vergangenen Sommer wurde Nazareth, Israels größte arabische Stadt, von einem Skandal erschüttert. Die Besitzerin einer Tahini-Fabrik hatte Geld für eine Organisation gespendet, die die LGBT-Gemeinschaft unterstützt – in der vorwiegend konservativen arabischen Gesellschaft ein kontroverse Aktion.

In sozialen Medien entbrannten Debatten, konservative Muslime riefen zum Boykott der Firma auf. Einige arabische Abgeordnete verurteilten die Hetze gegen die Frau. Ein Politiker jedoch äußerte Verständnis für die Boykotteure: Mansour Abbas, Chef der islamistischen Ra’am-Partei. „Unsere Position zu Homosexualität wurzelt in der islamischen Scharia“, erklärte er. Nach konventioneller Auffassung lehnt die Scharia, das islamische Rechtssystem, gleichgeschlechtliche Liebe ab.

Derselbe Mann erhält derzeit Avancen von israelischen Politikern aller Couleur. Abbas gilt als Königsmacher, nachdem die Parlamentswahlen vom 23. März keinem der beiden Parteienblöcke eine Mehrheit von 61 Mandaten verschaffte. Das rechtsreligiöse Lager von Premier Benjamin Netanjahu kommt lediglich auf 52 Sitze; der gegnerische Block, eine illustre Mischung aus linken, rechten und arabischen Kräften, erreicht 57.

Zwischen den Stühlen steht die rechte Yemina-Partei mit sieben Sitzen, von der weithin angenommen wird, dass sie sich am Ende dem Netanjahu-Lager anschließt. Doch selbst damit reichte es nicht für eine Mehrheit. Deshalb schielen manche Strategen im Likud, der Partei des Premiers, begierig auf die vier Mandate der Ra’am-Partei.

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Es wäre eine absurde Konstellation: Zu Netanjahus Unterstützern zählen nicht nur ultraorthodoxe Kräfte, sondern auch die Partei Religiöser Zionismus, ein Zusammenschluss aus Siedleraktivisten und Rechtsextremen. Dass Analysten und Politiker ein solches Szenario überhaupt diskutieren, bedeutet in der israelischen Politik nicht weniger als eine Zäsur.

Israels arabische Minderheit macht rund ein Fünftel der Bevölkerung aus. Im Parlament wurde sie bis vor Kurzem nur von der Gemeinsamen Liste vertreten, einem pragmatischem Zusammenschluss vier arabischer Parteien. Im Februar jedoch scherte Abbas mit Ra’am aus dem Bündnis aus, um allein zur Wahl anzutreten.

Zuvor hatte er sich mit anderen arabischen Abgeordneten öffentlich über LGBT-Rechte gestritten, ausgelöst durch die Kontroverse in Nazareth. Doch auch Gerüchte über heimliche Absprachen zwischen Abbas und Netanjahu trugen zu der Spaltung bei.

Während die übrigen arabischen Parteien der palästinensischen Sache hohe Priorität einräumen, verfolgt Abbas einen pragmatischen Kurs. Er pocht auf finanzielle Zugeständnisse für die arabische Minderheit, um die grassierende Kriminalität zu bekämpfen und die Infrastruktur in arabischen Städten zu verbessern.

Seine Partei hat ihren Ursprung in der Islamischen Bewegung, die 1971 von dem muslimischen Gelehrten Scheich Abdullah Nimar Darwish gegründet wurde. Darwish, 2017 verstorben, war eine schillernde Figur. Sein erklärtes Ziel: die Gründung eines „islamischen Staates in Palästina“; um es zu erreichen, propagierte er den Dschihad.

Nach einem Gefängnisaufenthalt schwor er der Gewalt jedoch ab. Später teilte sich die Bewegung in einen radikalen und einen gemäßigteren Zweig auf. Abbas zählt zwar zu den Gemäßigten, dennoch ist er vielen konservativen Israelis nicht geheuer. Bezalel Smotrich, Vorsitzender der Partei Religiöser Zionismus, schließt eine Kooperation mit Abbas vehement aus.

Dabei steht Smotrich dem Islamisten Abbas in manchen Fragen recht nahe. Auch Smotrich hat „ein Problem mit LGBT-Kultur“, wie er selbst vor wenigen Wochen freimütig in einem Interview erklärte. Zumindest in dieser Angelegenheit dürften die beiden sich also einig sein.

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