zum Hauptinhalt
So sah es im April in Teltow aus und vielleicht bald auch wieder?
© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa

Steinmeier ruft zu freiwilligen Kontaktbeschränkungen auf: Nerven behalten – gerade jetzt!

Der Gesetzgeber braucht zum Reagieren in der Coronakrise zu lange. Selbst sind die Bürger. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Der Bundespräsident hat recht, so recht. Wir erleben eine menschliche Katastrophe, Tag für Tag, seit bald zwei Jahren. Hinter jedem einzelnen Opfer, Todesopfer, das Corona verursacht – nein, nicht fordert – stehen viele, viele andere Menschen. Familienmitglieder, Angehörige, Freunde. Sie alle leiden mit.

Es müssten aber nicht schon so lange so viele sein, wenn wir nur alle solidarisch handeln wollten. Als Gemeinwesen, ganz diesem Begriff entsprechend. Das kann man gar nicht oft genug sagen, schreiben, erklären.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wie zu handeln wäre, in dem Sinne? Indem sich mehr, noch mehr, immer mehr den nötigen Impfschutz verschaffen; dringlich, als Eigenschutz und Gemeinschutz. Und indem zugleich mehr, noch mehr, immer mehr ihre Kontakte reduzieren. Nicht die per Telefon oder Mail, sondern die physischen, wo es halt geht, im Beruf sowieso, und im Privaten, wenn es denn zu viele werden.

Kinder fragen, ob sie ihre Freunde noch treffen dürfen

Wir alle wissen doch, wie es geht, wir haben es ja schon durchlebt. Monatelang. Und es passiert ja auch schon, das zum Trost. Viele merken es längst im privaten Umfeld: Überall werden Treffen und Veranstaltungen abgesagt, jeder Termin, jede Reise, jede Verabredung steht buchstäblich auf dem Prüfstand, zu Hause wie im Beruf. Selbst die Kinder fragen, ob es noch geht, dass sie ihre Freunde treffen.

Darüber hinaus nehmen sehr viele Bürger die Zumutungen auf sich, die es bedeuten kann, eine Boosterimpfung zu erhalten. Die Bilder und Berichte von denen, die stundenlang in schier endlosen Schlangen warten, sind beeindruckend – und rühren den an, der sich beeindrucken lässt. Hoffentlich.

Das wiederum sind die, denen geduldige Erklärungen einleuchten. Und die sehen, dass gehandelt wird. Das ist die gegenwärtig größte Anforderung an die Politiker: an der schnellen Reaktion auf das ungeheuer vitale Virus muss die Politik immer wieder neu arbeiten.

Den Krisenstab könnte Karl Lauterbach leiten

So wird es Zeit für den versprochenen interdisziplinären Krisenstab im Kanzleramt aus Virologen, Epidemiologen, Soziologen, Psychologen – höchste Zeit. Den Stab könnte dann neben dem vorgesehenen General wirklich Karl Lauterbach leiten. Der ist immerhin eine Stimme, die gehört wird. Über Talkshows hinaus.

Es passiert einiges, auch Gutes, das es zu würdigen gilt. In der Bundespolitik, die sich um schnelle, angemessene, differenzierte Maßnahmen bemüht. Und in den Ländern, die tun können, was sie für das Richtige halten. Die Inzidenzspanne in der Bundesrepublik reicht ja von 150 bis 1200, was für regionale Unterschiede in der Behandlung spricht. Da hat die neue Regierung recht: Die Welle trifft nicht überall gleichzeitig aufs Ufer, in Schleswig-Holstein anders als in Bayern.

Aber es wird noch dauern, bis Erfolge sichtbar werden. Der Rückstau bei den Impfungen, der Meldeverzug der Infizierten an allen Stellen – das zu ändern, geht nicht vom einem auf den anderen Tag. Auch die Ampel kann nur auf freie Fahrt schalten. In drei Wochen, sagen Experten, wird es sogar in Sachsen wieder erheblich besser sein.

Heißt: Wir müssen bei allem Alarm auch die Nerven behalten. Gerade jetzt. Die Altenheime sollten inzwischen alle durchgeboostert sein. Und jeden Tag kommt ein Prozent der Bevölkerung hinzu. Aber es heißt eben auch, mit kühlem Kopf weiter Lösungen anzustreben.

Eine könnte sein, jetzt wirklich einmal unbürokratisch zu handeln, auf allen Ebenen. Zum Beispiel die Wochenenden zum Impfen zu nutzen: Jede Gemeinde, jeder Arzt, die Bundeswehr, das THW, die Polizei und die Ordnungsämter sollten in die Organisation eingebunden werden und Samstag wie Sonntag impfen, impfen, impfen, boostern, boostern, boostern. Das schulden wir uns, einander, der Gesellschaft als Gemeinwesen. Es ist nicht einmal pathetisch, sondern nur richtig, wenn der Bundespräsident uns allen schreibt: „Es geht um Ihre Gesundheit und um die Gesundheit Ihrer Mitmenschen. Es geht um die Zukunft unseres Landes.“

Zur Startseite