Rechtsextremismus: Nazi-Terrorgruppe könnte Mord in Berlin begangen haben
Der Mord an einem Jugoslawen vor zwölf Jahren wird neu aufgerollt. Die Berliner Polizei prüft Fälle, die in Zusammenhang mit der Jenaer Terrorzelle NSU stehen könnten.
Die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) könnte auch für einen Mord in Berlin verantwortlich sein. Die Überprüfung von 63 nicht aufgeklärten Tötungsdelikten der Jahre 1998 bis 2011 habe in einem Fall einen möglichen Zusammenhang ergeben, sagte die amtierende Berliner Polizeipräsidentin Margarete Koppers am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Koppers betonte allerdings, dass es bislang keine konkreten Hinweise auf die Thüringer Bande gebe.
Nach Informationen des Tagesspiegels handelt es sich um den am 17. März 2000 verübten Mord an dem Jugoslawen Ignjatovic. Der Fall blieb im Raster der Arbeitsgruppe im Landeskriminalamt hängen, die nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 gebildet worden war. Der aus Ex-Jugoslawien stammende, 51 Jahre alte Mann war in seinem Zeitungsladen im Stadtteil Wedding in der Eulerstraße mit Kopfschüssen getötet worden. Die Terrorgruppe hatte von 2000 bis 2007 neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft und eine Polizistin mit Kopfschüssen ermordet.
Die Berliner Polizei untersucht auch, wie berichtet, die beiden Anschläge auf das Grab von Heinz Galinski im Jüdischen Friedhof in Charlottenburg im Jahr 1998 und die Detonation einer Rohrbombe im Eingang der Ruhestätte im Jahr 2002. Diese drei Fälle stünden besonders im Fokus der Ermittler, sagte Koppers, aber auch hier gebe es bislang keinen konkreten Verdacht gegen den NSU.
Geprüft werden laut Koppers außerdem die 190 Ermittlungsverfahren zu insgesamt 226 ungeklärten Banküberfällen von 1998 bis 2011. Bislang gab es nach Angaben der amtierenden Polizeipräsidentin kein Ergebnis, da das ermittelnde Bundeskriminalamt noch keine Angaben zum „modus operandi“ der Taten übermittelt habe. Die ungeklärten Delikte seien „meist sicher nicht“ vom NSU begangen worden, sagte Koppers.
Auch weiteren Spuren, die in Richtung Berlin führen, geht die Polizei nach. Im Jahr 1998, kurz nach dem Verschwinden der mutmaßlichen NSU-Terroristen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, soll der Thüringer Neonazi André K. in die Stadt gekommen sein, um Unterstützung für das Trio zu organisieren. André K. habe einen NPD-Funktionär und eine ebenfalls zur rechten Szene zählende Frau nach möglichen Verstecken im Ausland gefragt, hieß es in Sicherheitskreisen. Die Frau betrieb zudem einen Verleih von Wohnmobilen. Zumindest Mundlos und Böhnhardt sind mit gemieteten Wohnmobilen zu Tatorten gefahren.
Eine weitere Spur nach Berlin gab es im Mai 2000. Nach einer Folge der vom Mitteldeutschen Rundfunk ausgestrahlten Serie „Kripo Live“, in der um Hinweise auf das flüchtige Trio gebeten wurde, meldete sich ein Berliner Polizist. Er berichtete, das Trio in der Stadt gesehen zu haben. Wie der Spur nachgegangen wurde, ist offen.
Unterdessen äußerten Sicherheitskreise Zweifel, dass der NSU auch für ein im Dezember 2003 in Duisburg verübtes Attentat auf einen türkischstämmigen Gastwirt verantwortlich sein könnte. Die „WAZ“ hatte berichtet, das Opfer sei durch einen ferngesteuerten Schussapparat schwer verletzt worden. Eine ähnliche Waffe sei in Zwickau im Brandschutt der ehemaligen Wohnräume des Trios gefunden worden. Nach Informationen des Tagesspiegels entdeckten Beamte in Zwickau allerdings nur einen Holzkasten, der für den Einbau einer Pistole vorbereitet gewesen sein soll. Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hieß es, eine Übernahme der Ermittlungen könne noch nicht geprüft werden, da die Duisburger Staatsanwaltschaft bislang keine Unterlagen geschickt habe.
In Thüringen wühlt sich Sonderermittler Gerhard Schäfer durch Aktenberge, um die Vorgänge um den NSU zu untersuchen. Schäfer, ein Ex-Bundesrichter, steht an der Spitze einer von der Landesregierung im November eingesetzten Kommission. Das Gremium habe 24 Bände aus dem Landeskriminalamt erhalten, zudem Akten von Justiz und Verfassungsschutz, sagte Schäfer am Montag in Erfurt. Auch Sachsen, wo das Trio im Untergrund lebte, solle um Hilfe gebeten werden. Schäfer zufolge befragte die Kommission bisher Polizisten, die 1998 in Jena bei der Durchsuchung von Garagen dabei waren, in denen Sprengstoff gefunden wurde.
Bei der Abstimmung zwischen Polizei und Verfassungsschutz habe es „vielleicht entscheidend gehakt“, sagte Schäfer. Obwohl Uwe Böhnhardt zunächst bei der Durchsuchung anwesend war, konnte er abtauchen.