Festnahme bei Anti-Putin-Demo: Nawalny nach mehreren Stunden wieder freigelassen
An der Präsidentenwahl darf er nicht teilnehmen, also ruft der Putin-Kritiker zum "Wählerstreik" auf. Seine Bewegung verliert an Schwung.
Die Stunden bis zu der Protestaktion am Sonntag hatte sich Alexej Nawalny an einem geheimen Ort aufgehalten, damit ihn die Polizei nicht vor dem von ihm ausgerufenen „Wählerstreik“ verhaften würde. Doch dann blieben dem Oppositionsaktivisten ein paar Sekunden Zeit. Kaum war er auf der Moskauer Prachtstraße Twerskaja erschienen, stürzten sich Polizisten auf ihn und verfrachteten ihn in einen Bus. Der Kreml-Kritiker sollte keine Gelegenheit bekommen, zu seinen Unterstützern zu sprechen. Nawalny drohen nun erneut bis zu 30 Tagen Haft für die Organisation der offiziell nicht gestatteten Demonstration.
Wenige Stunden nach seiner Festnahme wurde er wieder freigelassen. Er müsse sich aber zur Verfügung halten, sagte Nawalnys Anwältin Olga Michailowa der Agentur Tass am späten Sonntagabend.
Die Demonstranten hingegen ließ die Polizei beim Aktionstag gegen die Präsidentenwahl am 16. März größtenteils gewähren. In Moskau konnten sie die Twerskaja hinablaufen; die alle paar Meter aufgestellten Polizisten beobachteten die Szene. Spezialeinheiten der Polizei waren in der Nähe, schritten aber zunächst nicht ein. Nach der Verhaftung Nawalnys blieben geschätzte 2000 bis 3000 Teilnehmer auf dem Puschkinplatz und skandierten Slogans. Rund um die Statue des Nationaldichters stehend, riefen sie Slogans wie „Putin - Dieb“, „Russland ohne Putin“, „Nieder mit dem Zaren“ und „Freiheit für Nawalny“.
Nach Angaben der Organisatoren fanden in mehr als hundert Städten Russlands Kundgebungen statt – von Jakutsk bis Samara, von Jekaterinburg bis St. Petersburg. Landesweit sollen 180 Menschen festgenommen worden sein.
Die Zentrale Wahlkommission hatte Nawalny Ende Dezember nicht zur Präsidentenwahl zugelassen, bei der Wladimir Putins Sieg als so gut wie sicher gilt. „Die Wahlbeteiligung sollte so niedrig wie möglich sein“, sagte einer der Teilnehmer dem Tagesspiegel. „Wir sind dagegen, dass nur genehme Kandidaten antreten können.“
Ein junger Mann, der Anstecker mit der Losung „Ohne mich“ und „Streik“-Plakate verteilt, äußert sich angesichts der eher geringen Teilnehmerzahl zurückhaltend: „Es sind so viele, wie es sind.“ Dann verteilt er weiter Plakate an die Umstehenden. Doch Nawalny steht vor einem Problem. Sein Boykott-Aufruf scheint an Schwung zu verlieren. Am Sonntag versammelten sich insgesamt weniger Anhänger als bei ähnlichen Aktionen im Vorjahr. Eine Massenbewegung ist trotz der Wahl-Farce nicht in Sicht.
Gespaltene Opposition
Hinzu kommt, dass die Anhänger der Opposition gespalten sind. Mit Grigori Jawlinski und Ksenia Sobtschak gibt es zwei Kandidaten für systemkritische Wähler, die sich zur Teilnahme entschlossen haben. Sobtschak sammelt eifrig die nötigen 100.000 Unterstützungsunterschriften und scheint trotz ihrer umstrittenen öffentlichen Auftritte Rückhalt bei einem Teil des urbanen Publikums zu finden – das eigentlich Nawalnys Klientel ist. Der 41-Jährige kann indes nicht viel mehr machen, als die Wahlfarce zu skandalisieren. Anders als Sobtschak oder Jawlinski ist er aus dem politischen Spiel vollständig ausgeschlossen. In den staatlichen und Kreml-nahen Fernsehkanälen hat er Auftrittsverbot; sein Name wird mit keinem Wort erwähnt.
Je näher der Wahltermin rückt, desto intensiver gehen die Behörden gegen seine Einrichtungen vor. Die Polizei durchsuchte Nawalnys Büro am Sonntagmorgen, angeblich wegen einer Bombendrohung. Mehrere Mitarbeiter wurden festgenommen. Das Justizministerium hat die Schließung von seiner Kampagnen-Organisation verlangt; ein Gericht gab dem Antrag statt. Die Botschaft ist klar: Nawalnys Aktivitäten sollen mit allen Mitteln verhindert werden. Der 41-Jährige wehrt sich mit Gegenklagen und auf seinem Youtube-Kanal.
Jutta Sommerbauer