Neuer Präsident in Frankreich: Nach der Wahl ist vor der Wahl
Wie viel Macht der frisch gekürte Staatspräsident Macron hat, entscheidet sich im Juni. Von der Zusammensetzung der Nationalversammlung hängt ab, ob er eine parlamentarische Mehrheit hat.
Monatelang ging es nur um eines: Wer wird der neue Präsident in Frankreich? Darüber geriet fast in Vergessenheit, dass es noch eine Art „dritten Wahlgang“ gibt: die Parlamentswahlen im Juni. Die 577 Abgeordneten für die Nationalversammlung werden mit dem Mehrheitswahlrecht in zwei Etappen am 11. und 18. Juni für fünf Jahre gewählt. Dabei entscheidet sich, wie viel Macht der Präsident tatsächlich bekommt, ob es ihm gelingt, eine parlamentarische Mehrheit zu erreichen. Dieses Mal könnte das schwierig werden.
Sollte es nicht gelingen, kommt es zur „Cohabitation“, eine Art große Koalition, bei der Präsident und Premierminister zu anderen politischen Parteien gehören und somit die Macht geteilt ist. Damit könnte Frankreich lahmgelegt werden, wichtige Wirtschaftsreformen, die nötig wären, auf die lange Bank geschoben werden, weil man sich nicht einigen kann. Möglich ist auch, sich mit anderen kleineren Parteigruppen zu verbünden, um so auf die Mehrheit zu kommen, wie es bereits Präsident François Hollande gemacht hat. Eine Cohabitation gab es schon häufiger, zuletzt von 1997 bis 2002 mit dem Konservativen Jacques Chirac als Präsidenten und dem Sozialisten Lionel Jospin als Premier.
Bisher war es allerdings meist recht einfach, eine Mehrheit zu erlangen, denn die klassischen Volksparteien, die konservativen Republikaner und die Sozialisten, waren die starken Kräfte im Land. Doch in diesem Jahr hat sich die Parteienlandschaft im Präsidentschaftswahlkampf zersplittert. Stärker als die Sozialisten waren neue Kräfte wie die politische Bewegung La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) des Linkspolitikers Jean-Luc Mélenchon, En Marche des Sozialliberalen Emmanuel Macron sowie der Front National (FN) von Marine Le Pen.
Unklar ist, ob die Bewegung En Marche zur Parlamentswahl antritt
Bei der 2016 gegründeten Bewegung En Marche ist allerdings noch nicht klar, wer überhaupt zur Parlamentswahl antreten wird. Vage waren die Äußerungen von Emmanuel Macron dazu, wer zusätzlich zu den jungen Mitgliedern noch aus anderen Parteien für seine Bewegung in Frankreich aufgestellt wird. Deshalb galt es bisher eher als fraglich, ob En Marche die Mehrheit schafft.
Und so werden die im Präsidentschaftswahlkampf abgeschlagenen Republikaner wieder wichtiger. Bei diesen hat der ehemalige Finanz- und Wirtschaftsminister François Baroin schon die Führung für die Parlamentswahlen übernommen. Die Republikaner setzen alles daran, nach der Wahlniederlage mit François Fillon wieder einflussreich zu werden und ihre Ehre zu retten. Der 51-jährige Baroin, der unter Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy verschiedene Ministerämter inne hatte und für eine klare, ideologische Abgrenzung zum FN steht, will Premierminister werden.
Doch laut neuester Studien könnte En Marche bei der Parlamentswahl möglicherweise doch die stärkste Kraft werden. Das Umfrageinstitut OpinionWay kam in einer Untersuchung zum Ergebnis, dass En Marche 249 bis 286 Sitze allein in Frankreich (ohne Überseegebiete, das sind 535 Wahlkreise) holen könnte. „Wenn man die Überseegebiete dazurechnet, könnte die Bewegung die Mehrheit erreichen“, betonte Bruno Jeanbart, stellvertretender Direktor von OpinionWay. Bei der Analyse legten die Experten die Umfragen für den ersten Wahlgang der Parlamentswahlen und Wählerstrukturen bei früheren Abstimmungen zugrunde.
Das Mehrheitswahlrecht bedeutet für den FN ein großes Problem
Die Republikaner und die Zentrumspartei UDI kämen demnach auf 200 bis 210 Sitze. Marine Le Pens Front National könnte es gelingen, 15 bis 25 Sitze zu erreichen und damit eine Fraktion in der Nationalversammlung bilden, wozu 15 Sitze notwendig sind. Ganz abgeschlagen sind die Sozialisten, die nur auf 28 bis 43 Sitze kämen, bisher waren es mit Bündnispartnern 285. Auch die Linke von Jean-Luc Mélenchon könnte nur sechs bis acht Sitze erreichen – im derzeitigen Parlament sitzen zehn Vertreter des Front de Gauche. Mélenchon hat trotz seines guten Abschneidens bei den Präsidentschaftswahlen ein Problem: Er konnte sich mit der kommunistischen Partei noch nicht einigen, gemeinsame Kandidaten für die Wahl im Juni aufzustellen, das Spektrum könnte sich deshalb spalten. Bei den Präsidentschaftswahlen lag er allerdings in 67 Wahlkreisen im ersten Wahlgang vorn, er hat daher noch mehr Potenzial.
Das Mehrheitswahlrecht bedeutet für den FN ein großes Problem, weil sich die anderen Parteien in der Stichwahl in vielen Gebieten meist gegen die rechtsextreme Partei verbünden. Bei den Parlamentswahlen 2012 gelang es dem FN nur, zwei Anhänger ins Amt zu hieven: Marion Maréchal-Le Pen, die Nichte von Marine Le Pen, für das Département Vaucluse, und Gilbert Collard für das Département Gard. Allerdings gibt es bei den Parlamentswahlen eine Ausnahme, von der der FN profitieren könnte, die sogenannten „Triangulaires“. Dabei qualifizieren sich nicht zwei, sondern drei Kandidaten für den zweiten Wahlgang. Es reicht dafür schon, 12,5 Prozent der Stimmen der eingeschriebenen Wähler im ersten Wahlgang zu holen, nicht nur die ersten zwei kommen weiter. Um gleich im ersten Wahlgang gewählt zu werden, braucht man mehr als 50 Prozent der Stimmen und 25 Prozent der eingeschrieben Wähler. Auch Viererwettkämpfe sind möglich, aber sehr unwahrscheinlich.
2012 gab es einen Dreikampf in 34 von 577 Wahlkreisen, in 28 Fällen davon war der FN dabei. Doch 2017 kann sich die Situation ganz anders darstellen, weil die Parteienlandschaft sich durch die neuen politischen Kräfte völlig verändert hat. Französische Medien haben anhand der Ergebnisse des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen schon Schätzungen aufgestellt, wie das im Jahr 2017 aussehen könnte. Danach könnte es bei einer Wahlbeteiligung von etwa 60 Prozent bis zu 82 Dreierkämpfe geben, viele davon mit einem FN-Kandidaten. Die Zeiten, in denen Le Pen und der FN nur mit zwei Abgeordneten in der Nationalversammlung vertreten waren, dürften jedenfalls vorbei sein.