Friedrich Merz und die CDU: Nach dem Rummel um Merz braucht es mehr Realitätssinn
Zehn Thesen zu Friedrich Merz - und der Annahme, mit ihm kehre ein wirtschaftspolitisches Schwergewicht in die Politik zurück. Ein Gastbeitrag.
Was ist Friedrich Merz im Vorfeld des CDU-Parteitags nicht alles vorgeworfen worden, um den Erfolg seiner Kandidatur als Parteivorsitzender zu torpedieren. Dumm nur, dass ausgerechnet die Tatsachen, die dabei eigentlich gegen ihn sprachen (und sprechen), so gut wie nie auf der Liste seiner vermeintlichen Schandtaten zu finden waren. Um jedwedem Missverständnis vorzubeugen: Im Folgenden geht es keineswegs um eine Lobhudelei - ganz im Gegenteil: Die zehn Thesen dienen dazu, der schleichenden Heroisierung, die Friedrich Merz aktuell widerfährt, mit Realitätssinn entgegenzutreten.
1. Als Wirtschaftsanwalt, auch ein einkommensmäßig erfolgreicher wie Merz, ist man noch lange kein erfahrener, geschweige denn begnadeter Wirtschaftspolitiker. Eigentlich haben die beiden Berufe nur sehr indirekt miteinander zu tun.
2. Ein Wirtschaftsanwalt ist hauptsächlich damit befasst, Entscheidungen, die andere getroffen haben, in die optimale juristische Form zu gießen bzw. diese in beratender Funktion im Vorfeld anstehender Entscheidungen auf ihre optimale rechtliche Gestaltung zu prüfen.
3. Friedrich Merz war in seiner amerikanischen Kanzlei nicht operativ als Wirtschaftsanwalt tätig. Vielmehr war er ein "Türöffner". Also ein Mann, der für seine Firma Mandate akquirieren kann, weil er die Kanzlei im Wesentlichen geschickt auf der gesellschaftlichen und politischen Bühne repräsentiert. Der von seinem Engagement erhoffte wirtschaftliche Erfolg hat sich für die deutsche Dependance der amerikanischen Kanzlei indes nicht eingestellt.
Blackrock ist gar keine "Heuschrecke"
4. Die eigentliche Tragödie der CDU besteht nicht einmal darin, dass Friedrich Merz nicht zum Parteichef gewählt wurde. Sie besteht eher darin, dass er in der Partei als Wirtschaftsexperte par excellence galt und gilt. Dies belegt die Wirtschaftsfremdheit der heutigen CDU, der Partei Ludwig Erhards, auf eine atemberaubende Art und Weise.
5. Zu den fehllaufenden Vorwürfen gegen Merz gehört etwa die Charakterisierung von Blackrock als "Heuschrecke". Dieser Terminus ist ein seinerzeit von Franz Müntefering geprägtes Schimpfwort, das auf einige - aber wohlgemerkt nur einige - Private Equity-Firmen und Hedgefonds anwendbar ist. Und zwar diejenigen, die im puren Eigeninteresse bei der Strukturierung von Unternehmensfinanzierungen alle nur denkbaren Spielräume ausnutzen, selbst wenn dies etwa den aufgekauften Unternehmen potentiell den Hals bricht. Blackrock hingegen ist im Kern ein Vermögensverwalter, der zudem noch ein riesiges Indexfondsgeschäft, also rein passive Investments, betreibt.
6. Der Umgang mit der Wirtschaftskarriere von Friedrich Merz, gerade auch als Aufsichtsrat, ist ein bezeichnendes Indiz für unsere immer mehr gesinnungsorientierte Neidgesellschaft und ihre medialen Vollstrecker. Es belegt, wie man "extreme political correctness" zum Einsatz bringt, um sich den jeweiligen Gegner so zurechtzuschneiden, wie man ihn in der eigenen Wahrnehmung gesamtgesellschaftlich braucht.
7. Der Gipfel des Unsinns bestand in der Wagenburgmentalität, die der Kandidatur von Friedrich Merz entgegengebracht wurde. Man tat so, als sei die deutsche Politik ein extrem leistungsorientiertes Gebilde, dessen optimale Leistung von jedwedem Fremdkörper, der in seiner Karriere auch nur partiell außerhalb der Politik gearbeitet hat, zerstört würde. (Neben der möglichen Wiederkehr von Friedrich Merz fällt einem aktuell als prominenter "Quereinsteiger" eigentlich nur Robert Habeck, der Ex-Philosoph, ein. Case closed.)
Am meisten dürfte die Kanzlerin lachen
8. Am meisten dürfte über den gesamten Rummel, der um Friedrich Merz gemacht wurde und wird, die Bundeskanzlerin lachen. Dies weniger deshalb, weil es Angela Merkel gelungen ist, AKK in ihre vormalige Position als CDU-Bundesvorsitzende zu bugsieren. Sondern deshalb, weil nun Merz - und nicht ihr - der Ruf eines bedenkenlos wirtschaftsfreundlichen (soll heißen: wirtschaftsbossefreundlichen) Menschen anhängt. Die vermeintlich so scharfsinnige linksliberale Medienwelt hat anscheinend nicht bemerkt, wie gerne Angela Merkel, die "Heilige Angela", als Schutzpatronin der Bosse deutscher Konzerne, dabei vor allem der Autobosse operiert - von Martin Winterkorn über Josef Ackermann bis hin zu Dieter Zetsche. Noch verblüffender ist die Beobachtung, dass die Kanzlerin in ihrer Unterwerfung dabei viel weitergeht als Gerhard Schröder dies als Bundeskanzler je gegenüber CEOs getan hat. Denn der hat die Wirtschaftsbosse durchaus manchmal gemaßregelt und erfolgreich in die Schranken gewiesen. Trotz der "Niedersachsen Connection" wäre er, um den mit dem VW-Skandal 2015 eingetretenen Schaden zu limitieren, ganz bestimmt nicht mit der Merkelschen Zaghaftigkeit mit der deutschen Autoindustrie umgesprungen.
Seine Kandidatur hat das Thema zutage befördert, immerhin
9. Worum es beim Thema Merz eigentlich geht, ist das Fehlen wirtschaftspolitischen Verstandes in der Politik. Es gibt heute kein gestalterisch veranlagtes, wirtschafts- / ordnungspolitisches Schwergewicht mehr in der Politik wie Erhard, Lambsdorff, Schiller, Strauß oder Clement. Es ist bezeichnend, dass selbst langjährige CDU-Mitglieder, die als Unternehmer im Weltmarkt und als Arbeitgeber enorm erfolgreich sind wie Martin Herrenknecht, sich in Verzweiflung von der sozialdemokratisierten CDU abwenden. Die Merz-Kandidatur hat diese Problematik zu Tage befördert, weil er (jedenfalls nach Auffassung der Hälfte der CDU) ein wirtschaftspolitisches Schwergewicht ist. Friedrich Merz kann sich zugutehalten, dass er für die Verbesserung einiger Themen steht, die im Argen liegen. Dazu zählt etwa die Vereinfachung des krakenhaften Steuersystems, das alle Einkommensschichten betrifft oder auch die ergänzende Umstellung der Altersvorsorge von der Generationenumlage auf ein System mit langfristigen Kapitalmarktanlageinstrumenten.
10. Ist Merz mit seinem potentiellen Wiedereintritt in die Politik ein Schwergewicht wie die vorgenannten? Ohne die Übernahme von Regierungsverantwortung lässt sich das für ihn nicht beurteilen. Seine öffentlichen Stellungnahmen und seine berufliche Erfahrung geben jedenfalls - trotz evidenter kommunikativer Fehler während seiner Kandidatur - Anlass zur Hoffnung. Ihn aber von diesem Vorhaben kategorisch ausschließen zu wollen, könnte sich schon sehr bald rächen. Denn nach den Wohljahren unter Merkel steuern wir tendenziell auf eine Rezession zu. Da gilt es, die Wirtschaftskompetenz rechtzeitig zu stärken.
- Stephan-Götz Richter ist Chefredakteur des Online-Magazins "The Globalist".
Stephan-Götz Richter
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