Nach dem Terroralarm in München: Mutmaßungen, Gerüchte - und ein bisschen Normalität
Nach dem Terroralarm kehrt in München langsam die Normalität wieder ein. Aber es bleiben Fragen. Wurde ein Anschlag vereitelt? War es ein Fehlalarm? Ein Bericht aus einer leicht verunsicherten Stadt.
Ein Neujahrsvormittag am Münchner Hauptbahnhof. Die einen stecken mit der Bierflasche in der Hand noch in der Silvesternacht fest, die anderen sind schon ganz im neuen Jahr angekommen und ziehen das Rollköfferchen Richtung Gleise. Die Züge fahren pünktlich. Nur die an vielen Stellen dieses großen Bahnhofsgebäudes stehenden und patrouillierenden Polizisten sind Zeichen dafür, dass diese Silvesternacht in München keine gewöhnliche war.
Es gab einen Terroralarm, einen "sehr konkreten Hinweis", wie der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä in einer eilig anberaumten Pressekonferenz sagt. Am Silvesterabend um 19.40 Uhr kam die Warnung, offenbar vom französischen Geheimdienst: Fünf bis sieben Terroristen wollten sich am Hauptbahnhof und am Bahnhof München-Pasing, der immerhin der drittgrößte in ganz Bayern ist, in die Luft sprengen, jeweils zu zweit. Das ganze sollte um Mitternacht geschehen, sagte Andrä. Die Terror-Pläne werden dem so genannten "Islamischen Staat" (IS) zugeschrieben. Die verheerenden Anschläge von Paris hat dabei jeder vor Augen.
Es blieb nicht viel Zeit, gerademal vier Stunden. Beide Bahnhöfe wurden evakuiert, der Zugverkehr umgeleitet, viele S-Bahnen fuhren nicht. 550 Polizisten aus ganz Bayern waren im Einsatz. Gefunden wurde - nichts. Gefasst wurde - niemand. Das ist das bislang gute und gleichwohl ernüchternde Ergebnis dieser dramatischen Stunden. "Die intensiven Ermittlungs- und Kontrollmaßnahmen", so der Polizeipräsident Andrä, "haben zu keinerlei Konkretisierung der Informationen geführt." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte noch in der Nacht, die Einschätzung der Gefährdung sei vergleichbar mit jener unmittelbar vor dem Fußballspiel in Hannover gewesen, das nach den Paris-Anschlägen kurzfristig abgesagt worden war. An Neujahr gegen 3.30 Uhr wurden die Münchner Bahnhöfe dann wieder geöffnet, die Züge konnten weiterrollen.
War es ein Fehlalarm?
Wurde ein womöglich furchtbarer Anschlag in der bayerischen Landeshauptstadt vereitelt? Oder war es ein Fehlalarm, ein Phantom-Attentat? Keiner weiß an diesem 1. Januar 2016 Genaueres dazu zu sagen, die Polizei gibt nur spärliche Informationen. Die "fünf bis sieben" mutmaßlichen Terroristen stammen aus dem Irak und aus Syrien. "Etwa die Hälfte von ihnen" seien mit Namen und anderen Personendaten identifizierbar. Wie viele konkret nun "etwa die Hälfte" sind, will Andrä nicht sagen. Und: "Ob es diese Personen überhaupt so gibt, wissen wir nicht". Ob sie sich in München oder Deutschland befinden, wie sie eingereist sind - zuhauf bleiben die Fragen offen.
Die vorhandenen Angaben zu ihnen seien allerdings "so konkret, dass wir Personen identifizieren könnten", meint Andrä. Wenn man denn welche hätte. Nun werden alle Datenbestände durchforstet. Von der anderen Hälfte der mutmaßlichen Attentäter existiert gar nichts außer der Geheimdienst-Information, dass sie diese Anschläge verüben wollten.
Die Gefahrenlage ist in München immerhin, da sind sich Polizei, bayerisches und Bundesinnenministerium sicher, nun wieder so wie vor den nächtlichen Silvesterereignissen.
In der Stadt selbst und auf die vielen Silvesterpartys haben die Terrorwarnungen und Bahnhofssperrungen kaum Auswirkungen gehabt. "Ich sehe, dass ausgiebig gefeiert wurde", meint Hubertus Andrä. Es gab besorgte Anrufe, viele Bürger informierten sich über die Facebook- und Twitter-Accounts der Polizei. Einige Party-Veranstalter meldeten sich. Abgesagt oder unterbrochen wurde aber nichts. Auch bei dem alternativen Tollwood-Festival auf der Theresienwiese feierten Tausende. Die Polizei hat ihre Aktionen auf die zwei Bahnhöfe beschränkt - "chirurgische Eingriffe" waren das laut Präsident.
Obwohl alles ruhig abgelaufen war und keine Panik aufkam, kursieren Mutmaßungen, Gerüchte, Spekulationen. Schon eine Woche zuvor hatte es eine Terrorwarnung gegeben, lässt sich die Polizei entlocken, offenbar vom US-Geheimdienst. Die eine hängt mit der anderen zusammen, wenngleich es sich nicht um dieselben mutmaßlichen Täter handelt. Klar scheint: Ohne die erste Warnung wäre die zweite anders beurteilt worden und es hätte den Terroralarm nicht gegeben. Der Behauptung, dass kürzlich in München zwei sogenannte IS-Gefährder festgenommen wurden, widerspricht die Polizei. Den Münchnern empfiehlt Andrä: "Die Leute sollen jetzt weiter so leben, wie sie es gewohnt sind, und ihrem Vergnügen nachgehen."