Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Muss das Kanzleramt verschwundene Akten wiederbeschaffen?
Ob unter Adenauer oder Schmidt - Regierende ließen gern amtliche Dokumente mitgehen, wenn sie ausschieden. Heute lagen sie bei Stiftungen. Karlsruhe mahnt zur Transparenz.
Zur Praxis mancher Regierungsvertreter gehörte es, sensible Akten nach dem Ausscheiden mitzunehmen, statt sie etwa im Kanzleramt zu belassen. Der 2015 verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt war so ein Fall, ein anderer ist der Konrad Adenauers und seines NS-belasteten Staatssekretärs Hans Globke. Nach einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts könnte das Kanzleramt möglicherweise verpflichtet sein, solche Akten wiederzubeschaffen und zu Informationszwecken herauszugeben.
Zwar wiesen die Richter die Beschwerde einer Journalistin ab (Az.: 1 BvR 1978/13). Dies jedoch nur, weil sie zuvor gerichtlich gegen das Bundesarchiv in Koblenz vorgegangen war und sich nicht direkt an das Bundeskanzleramt gewandt hatte. Da die fraglichen Akten nie in den Besitz des Bundesarchivs gelangt seien, müsse sich die Journalistin „an die für die Aktenführung zuständige Behörde“ halten und bei einer Verweigerung den Klageweg beschreiten. Die Karlsruher Richter deuteten aber an, dass es einen Anspruch auf die Akten nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) geben könnte. Durch die Übergabe an private Einrichtungen, etwa Stiftungen, die Politiker-Nachlässe verwalten, hätten die Dokumente nicht ihren amtlichen Charakter verloren, heißt es in dem Beschluss. Damit wären sie dem Staat weiterhin rechtlich zugeordnet und unterlägen, auch wenn der unmittelbare Zugriff erschwert sei, staatlicher Verfügung und Verantwortung. Daher müsse nun zunächst von den Gerichten geklärt werden, ob das IFG den Behörden auch eine „Wiederbeschaffungspflicht“ für entzogene Akten auferlegt. Die Richter betonten, der Staat sei befugt, amtliche Akten von den Erben herauszufordern.
Im entschiedenen Fall geht es um Dokumente zu einem als „Aktion Geschäftsfreund“ bekannten Vorgang aus den frühen sechziger Jahren. Dabei sollen rund 630 Millionen D-Mark als Wiedergutmachungsleistung ohne Kabinettsbeschluss oder parlamentarische Entscheidung an Israel geflossen sein. Der Deal soll unter Kanzler Adenauer von dessen damaligem Amtschef Hans Globke eingefädelt worden sein. In den angefragten Dokumenten sollen die Verhandlungen abgebildet sein, die der damalige Deutsche-Bank- Chef Hermann Josef Abs im Auftrag der Regierung mit Israels Premier David Ben-Gurion geführt hatte. Mutmaßlich befinden sie sich heute in Archiven der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutschen Bank.
Eine Reaktion des Kanzleramts gab es trotz Anfrage zunächst nicht. Die Regierungszentrale hatte vor einem Jahr angekündigt, sich um Akten zu bemühen, die Altkanzler Helmut Schmidt nach seinem Ausscheiden in sein Haus nach Hamburg-Langenhorn mitgenommen hat und die heute von einer Stiftung verwaltet werden. Auch in den Nachlässen von Adenauers Vertrautem Globke, Kanzler Willy Brandt und dessen Staatssekretär Egon Bahr sowie Bundespräsident Karl Carstens sollen sich Regierungsdokumente befinden
Jost Müller-Neuhof