Ägypten: „Mursi geht in die richtige Richtung“
Ein ägyptischer Politikberater aus dem liberalen Spektrum über die ersten Entscheidungen des neuen islamistischen Präsidenten.
Ägyptens neuer Präsident Mursi hat sich beim Gipfel der Blockfreien Staaten in Teheran zum Entsetzen der Gastgeber auf die Seite der syrischen Revolution geschlagen. Beansprucht Ägypten damit erneut die Führungsrolle in der Region?
Definitiv hat sich Mursi mit seinem Besuch in Teheran, das sein Vorgänger in all den Jahrzehnten nicht einmal besuchte, symbolisch von der Politik Hosni Mubaraks abgesetzt. Gleichzeitig waren Mursis Aussagen in Teheran starke Botschaften. Aber ob ihnen auch eine konkrete Politik folgen wird – beispielsweise die Lieferung von Waffen an die syrischen Aufständischen – bliebt abzuwarten.
In Ägypten hat Mursi dem Militärrat politische Vollmachten entrissen und an sich gezogen. Ist das positiv oder gefährlich?
Jeder Schritt des ersten Präsidenten, die zivile Kontrolle über das militärische Establishment zu etablieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir können aber nicht sicher sagen, ob Mursi die Armee wirklich in die Kasernen zurückgeschickt hat oder ob es eine Art Arrangement gab. Das werden wir erst wissen, wenn wir die ersten Entwürfe für die neue Verfassung sehen: Wird das Budget der Armee darin der Kontrolle der zivilen Regierung unterstellt? Das wäre der Beweis dafür, dass der Präsident das Militär wirklich der Kontrolle der Zivilisten unterstellt hat. Ich fürchte aber, das dies nicht der Fall ist.
Wie war die Regelung bisher?
Bisher hatte keine gewählte Institution Ägyptens das Recht, die Höhe des Militärbudgets überhaupt zu kennen, geschweige denn zu diskutieren oder festzulegen. Sollte dies in Zukunft anders sein, wäre dies ein entscheidender Schritt in Richtung einer echten Demokratie.
Aber das Militär ist zudem ein Großunternehmer in Ägypten mit Zement- und Getränkefabriken, Tankstellen, Kleiderproduktionen. Daran wird nicht gerüttelt?
Viele Demokratie-Aktivisten konzentrieren sich auf diese Unternehmen, aber sie machen wohl nur einen geringen Anteil an der Wirtschaftsleistung aus und können wie staatliche Unternehmen reguliert werden. Worauf es wirklich ankommt, ist der Landbesitz – speziell in einem Land, in dem nur etwa sieben Prozent der Fläche bewohnt und genutzt werden kann. In der Vergangenheit hat die Armee im Namen der Sicherheit große Landstücke in ganz Ägypten unter ihre Kontrolle gebracht. Wenn Ägypten beispielsweise auf dem Sinai am Suezkanal ein internationales Logistik-Zentrum plant, was zur Hebung des Lebensstandards auf dem Sinai und für die ägyptische Wirtschaft dringend notwendig wäre, dann hat die Armee ihre Hand auf dem Land. Diese Macht müsste gestutzt werden.
Haben Sie Angst, dass Präsident Mursi seine derzeitigen Mega-Vollmachten missbrauchen wird? Er kann Gesetze erlassen, eine neue verfassungsgebende Versammlung bestimmen, wenn die jetzige ihre Arbeit nicht macht.
Mursi ist der erste Präsident, der infolge der Revolution an die Macht kam. Und die Revolution hat seinen Vorgänger gestürzt, weil er seine Macht missbraucht hatte. Das weiß Mursi. Er wird seine exekutive Macht voll ausüben. Das Recht zur Gesetzgebung wird er in minimaler Weise nutzen, um die Dinge am Laufen zu halten, bis ein neues Parlament übernimmt. Das Recht, eine neue verfassungsgebende Versammlung zu berufen, wird er als letzten Ausweg betrachten. Er würde nur davon Gebrauch machen, wenn Gerichte entscheiden, dass die jetzige verfassungsgebende Versammlung unrechtmäßig ist. Dann hat er keine Wahl.
Der Präsident hat die Untersuchungshaft für Journalisten aufgehoben. Gleichzeitig häufen sich die Ermittlungen gegen Journalisten: Falschmeldungen, Hetze und Verleumdung lauten die Vorwürfe. Ist hier die Meinungsfreiheit bedroht?
Das rabiate Vorgehen gegen einzelne Fernsehsender und Zeitungen sowie die Ernennung von etwa 50 neuen Chefredakteuren, die zumeist den Muslimbrüdern nahestehen, ist alarmierend. Es ist aber noch zu früh, um zu sagen, ob dies der neue Weg der Islamisten sein wird. Aber genau dies hatten die Gegner der Muslimbrüder befürchtet. Daher ist der Widerstand groß.
Ashraf Swelam war Wahlkampfberater von Amr Mussa, den Ex-Generalsekretär der
Arabischen Liga, und ist Mitglied des sicherheitspolitischen Nachwuchsprojekts Munich Young Leaders.