zum Hauptinhalt
In Ankara demonstrieren die Menschen nach dem Tod einer Studentin gegen mehr Polizeigewalt.
© AFP

Türkei: Mord an Studentin facht Debatte über Todesstrafe an

Eine 20-Jährige wurde nach einem Vergewaltigungsversuch getötet. Nun überbieten sich türkische Politiker gegenseitig mit Forderungen nach harten Strafen, sogar über die Wiedereinführung der Todesstrafe wird diskutiert.

Morde an Frauen gibt es viele in der Türkei, doch kaum ein Fall der letzten Zeit hat das Land so sehr in Empörung versetzt wie der Tod von Özgecan Aslan, einer 20-jährigen Studentin im südtürkischen Tarsus. Aslan war vergangene Woche von einem Minibusfahrer nach einem Vergewaltigungsversuch getötet worden; der Täter verbrannte anschließend ihre Leiche. Nun überbieten sich Politiker gegenseitig mit Forderungen nach harten Strafen, sogar über die Wiedereinführung der Todesstrafe wird diskutiert. Kritiker halten der Regierung jedoch vor, nichts gegen die wirklichen Ursachen der Gewalt gegen Frauen im Land zu unternehmen.

Aslan, eine bildhübsche Psychologie-Studentin, war am letzten Tag ihres Lebens der einzige Fahrgast im Minibus Suphi Altindöken, als dieser die normale Wegstrecke verließ, eine entlegene Gegend ansteuerte und den Bus anhielt. Die junge Frau wehrte sich mit Pfefferspray und zerkratzte ihrem Peiniger das Gesicht, doch der 26-jährige Altindöken griff zum Messer und stach zu. Als er sah, dass Aslan noch lebte, erschlug er sie mit einer Eisenstange. Anschließend rief er einen Freund und seinen Vater zur Hilfe und verbrannte die Leiche; vorher soll er seinem Opfer noch die Hände abgeschnitten haben, um zu verhindern, dass die Ermittler Reste seiner Haut unter ihren Fingernägeln finden.

Bei der Fahndung nach der als vermisst gemeldeten Studentin stoppte die Gendarmerie Altindökens Minibus und entdeckte Blutspuren sowie den Hut des Opfers. Der Fahrer und seine beiden mutmaßlichen Komplizen sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Altindöken hat eine erste Aussage widerrufen, in der er den Vergewaltigungsversuch gestanden hatte; jetzt sagt er, von einer versuchten Vergewaltigung könne keine Rede sein. Vielmehr sei die Studentin aggressiv geworden, weil er die vorgesehene Fahrtstrecke verlassen habe. Er habe sie nicht töten wollen.

Zwangskastrierung von Vergewaltigern

Die brutale Tat löste eine Welle der Empörung aus. Frauenverbände gingen auf die Straße, Prominente kleideten sich aus Protest gegen die Tat ganz in Schwarz. Politiker unternahmen ebenfalls alles, um ihre Anteilnahme zu zeigen. Präsident Recep Tayyip Erdogan schickte seine beiden Töchter zur Familie des Opfers, während sich Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bei einem Redeauftritt nach dem Mord demonstrativ ausschließlich von weiblichen Leibwächtern begleiten ließ. Die Regierung werde all jenen die „Hände brechen“, die Frauen belästigten, sagte Davutoglu.

Einige gehen noch weiter. Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci forderte, bei Fällen wie dem Mord an Aslan die Todesstrafe wieder einzuführen. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im türkischen Parlament, Ahmet Iyimaya, sprach sich dafür aus, über die Rückkehr des Strangs und über die Zwangskastrierung von Vergewaltigern zu reden. Die Türkei hatte die Todesstrafe Anfang des vergangenen Jahrzehnts mit Rücksicht auf ihre EU-Bewerbung abgeschafft.

Für Frauenrechtlerinnen liegt das Problem aber nicht im Verzicht auf die Todesstrafe, sondern in einem gesellschaftlichen Klima, das Gewalt gegen Frauen toleriert. Allein im vergangenen Jahr wurden mindestens 281 Frauen von Männern ermordet, das entspricht mehr als fünf Opfer jede Woche. Seit 2010 zählte das Online-Portal Bianet 1134 Morde an Frauen.

Gewalt gegen Frauen wird Opfern selbst angelastet

Yasemin Yücel von der regierungskritischen Lehrergewerkschaft Egitim-Sen in Tarsus warf der islamisch-konservativen Regierung von Davutoglu und Erdogan vor, eine Überlegenheit der Männer zu propagieren. Erdogan selbst hatte noch vor kurzem einer Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen eine Absage erteilt. Minister der Regierung forderten, Frauen sollten sich auf die Mutterrolle beschränken. Nach Ansicht von Frauenverbänden gibt es bei Polizei, Justiz und Behörden, aber auch in der Gesellschaft insgesamt zudem die Tendenz, Gewalt gegen Frauen den Opfern selbst anzulasten, statt die Täter hart zu bestrafen.

Dass dieser Vorwurf nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, zeigten vereinzelte Reaktionen, die Verständnis für den Täter von Tarsus erkennen ließen. So kommentierte der bekannte Schlagersänger Nihat Dogan, wer Miniröcke anziehe, dürfe sich nicht beschweren, wenn er von Perversen attackiert werde. Nach einem Aufschrei der Empörung entschuldigte sich der Sänger.

Zur Startseite