Widerstand gegen Rot-Rot-Grün in Thüringen: Montagsdemo und Parteiaustritt - Kritiker in der SPD machen mobil
In Thüringen könnte es erstmals in Deutschland eine rot-rot-grüne Regierung geben - mit einem linken Ministerpräsidenten an der Spitze. Doch nicht alle in der Thüringer SPD finden das gut. Nun machen die Kritiker mobil.
Christel Wilinski lehnt es rundheraus ab, dass ihre SPD in Thüringen eine Regierung mit der Linkspartei bildet. „Dann trete ich aus“, kündigt sie an. Knapp zwei Jahrzehnte saß die inzwischen 78-jährige Sozialdemokratin im Stadtrat von Ilmenau im Thüringer Wald. Für ihr Engagement als Vorsitzende des Seniorenbeirats wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Doch mit der neuen Farbenlehre im Freistaat, der bisher von CDU und SPD regiert wurde, will sie sich so gar nicht anfreunden. Derzeit bereiten Linke, SPD und Bündnisgrüne mit Hochdruck ein Regierungsbündnis vor. Für die Gegner ist das auch deshalb ein Tabubruch, weil mit Bodo Ramelow erstmals in der Bundesrepublik ein Linken-Politiker zum Ministerpräsidenten gewählt werden soll.
„Die Linkspartei hat mit ihrer Vergangenheit überhaupt nicht aufgeräumt“, klagt Christel Wilinski. Es sei nicht ehrlich gemeint, wenn nun auch Ramelow die DDR einen „Unrechtsstaat“ nenne. Sie erinnert an Zwangsadoptionen in der DDR, Zwangsaussiedlungen aus dem Grenzgebiet oder die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es ihre Familie aus Berlin-Charlottenburg nach Thüringen verschlagen. Als junge Frau ging Wilinski sogar in der SED. Doch als die DDR 1961 die Grenze zum Westen dichtmachte, trat sie aus. „Danach bin ich drangsaliert worden bis zum geht nicht mehr“, sagt sie.
Es sind vor allem Sozialdemokraten mit DDR-Erfahrung, die Rot-Rot-Grün ablehnen. „Die Jugend begrüßt mit wehenden Fahnen die Linken. Sie haben keine Ahnung von dem, was gewesen ist“, meint Wilinski. Der SPD-Landesvorstand hat Rot-Rot-Grün bereits einstimmig gebilligt. Bis Montag läuft eine Befragung unter den rund 4.300 Genossen. Parteivize Heike Taubert rechnet mit einer Zustimmung von 70 Prozent. Gerade in Städten wie Erfurt, Jena und Gera sind offenkundig viele bereit, mit der Linken zu koalieren und - auch ein wichtiges Motiv - die CDU in die Opposition zu verbannen.
Seit 20 Jahren streiten die Thüringer Sozialdemokraten erbittert um die Frage, wie sie es mit der PDS und deren Nachfolgerin Linkspartei halten. So machten nach der Landtagswahl 2009 die Anhänger von Rot-Rot derart Stimmung, dass Landeschef Christoph Matschie von einem „beinharten Machtkampf“ sprach. Einer seiner Gegner von damals, der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein, ist seit dem vergangenen Wochenende selbst SPD-Chef. Damit scheint klar, dass Rot-Rot-Grün kommt.
Parteivize Höhn hört in seinem ländlichen Südthüringen keine Zustimmung
Doch die innerparteilichen Kritiker wollen sich damit noch nicht abfinden. Parlaments-Vize Uwe Höhn etwa, im ländlichen Südthüringen zuhause, hört hier nach eigenem Bekunden keine Zustimmung für Rot-Rot-Grün. Der frühere Landeschef Gerd Schuchardt erklärte in einem Interview der Ostthüringer Zeitung, er werde bei der Mitgliederbefragung gegen Rot-Rot-Grün stimmen. Volker Schemmel, ein geachteter Ex-Staatssekretär warnt, es sei nicht das Ziel der friedlichen Revolution in der DDR gewesen, Leute aus der SED-Nachfolgepartei wieder in Positionen zu bringen. Und die jüngst aus dem Landtag ausgeschiedene Abgeordnete Sabine Doht hat mit ihrem Mann Matthias, dem früheren Oberbürgermeister in Eisenach, den Aufruf „Gegen eine SPD-Unterstützung eines linken Ministerpräsidenten“ unterschrieben. Im Fall eines rot-rot-grünen Bündnisses will sie aus der SPD austreten.
Montagsdemo: Ein Kerzenumzug soll an die Opfer der SED-Diktatur erinnern
Der Chef des SPD-Ortsvereins Ilmenau, Stefan Sandmann, hat für den kommenden Montagabend sogar eine Demonstration angemeldet. Offiziell steht sie unter dem Motto: „Für Freiheit und Demokratie. Gegen das Vergessen.“ Sandmann plant einen „stillen Kerzenumzug“ zum Mahnmal für die Opfer der SED-Diktatur an der Ilmenauer Jakobuskirche. Er wolle diejenigen bei SPD und Grünen „aufrütteln“, die Rot-Rot-Grün unterstützten. Der Anklang an die Montagsdemos der friedlichen Revolution ist beabsichtigt. „Das Licht von 1989 darf nicht ausgehen“, sagt der Organisator. Er rechnet mit rund 300 Teilnehmern.
Sandmann ist der lautstärkste Kritiker von Rot-Rot-Grün. Bei einer SPD-Basiskonferenz jüngst in Weimar zog sich der 35-Jährige einigen Unmut zu. „Ich könnte kotzen, dass die SPD jetzt mit Kommunisten gemeinsame Sache macht“, hatte er ausgerufen. Das sei eine „Riesensauerei“. Nach eigenem Bekunden hat er ältere Freunde, die schlimme Erfahrungen in der DDR gemacht hätten. „Einige saßen in verschiedenen Haftanstalten, weil sie die DDR verlassen wollten oder das System kritisiert haben.“
Wenn Christel Wilinski sich gut fühlt, will sie am kommenden Montag auch zur Demo in Ilmenau gehen. Sie bewundere den Mut von Sandmann, sagt sie. Die Rentnerin hat aus Zorn über die Thüringer Bündnispläne schon darüber nachgedacht, ob sie nicht ihr Bundesverdienstkreuz zurück gibt. Doch nun will sie es behalten. Schließlich, sagt sie, „habe ich es ja nicht von der SPD bekommen“.
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