Terror in Frankreich und Tunesien: Mit zwei Gesichtern
Nach dem Terror-Freitag mit Anschlägen bei Lyon und in Sousse laufen die Ermittlungen. Was ist über die Attentäter bekannt?
Es gibt Parallelen zwischen den blutigen Anschlägen vom vergangenen Freitag: Die Attentäter handelten im Namen des „Islamischen Staates“ – und keiner von ihnen konnte den Ermittlern entkommen. Doch bei näherer Betrachtung hat jeder Terrorist seine eigene Geschichte.
Was weiß man über den Täter von Lyon?
Auf den ersten Blick passt Yassine Salhi nicht in das Bild, das man sich von der verlorenen Jugend macht, die in Vorstadtghettos aufwächst und sich ohne Schulabschluss an den Rand der Gesellschaft verdrängt sieht. Der 35-jährige mutmaßliche Attentäter ist seit zehn Jahren verheiratet, Vater dreier Kinder, und hat einen festen Arbeitsvertrag als Fahrer einer Lieferfirma. Sein Polizeiregister weist keine Einträge auf. Als Jugendlicher verlor er seinen algerischen Vater, wuchs aber, wie frühere Nachbarn berichten, in stabilen Verhältnissen auf. Er sei ein „ruhiger, angenehmer Schüler“ gewesen, erinnert sich einer seiner Lehrer.
Doch das ist wohl nur die eine Seite des diskreten Biedermanns. Ein Sportlehrer, der ihn und mehrere Freunde, die Salhi als seine „Brüder“ bezeichnete, vor Jahren in Kampfsportarten unterrichtete, beschreibt ihn als „Mann mit zwei Gesichtern“. Er habe plötzlich vor Zorn explodieren können. Wutausbrüche wie bei Salhi habe er noch nie bei einem Menschen erlebt.
Was Salhi zu dem Attentat mit der makabren Inszenierung des Selfies mit dem abgetrennten Kopf seines Arbeitgebers getrieben haben könnte, ist noch unbekannt, er soll sich jedoch kürzlich mit seinem Opfer einen Streit geliefert haben. Salhi hat das Bild offenbar an eine Nummer in Syrien geschickt. Vorher hatte es geheißen, es sei nach Kanada versendet worden. Salhi hat die Tat zwar gestanden, aber über weitere Aussagen wurde bisher nichts mitgeteilt.
Welche Verbindungen hatte Yassine Salhi zum „Islamischen Staat“?
Um 2004 geriet er im benachbarten Besançon, wo er inzwischen wohnte, in den Umkreis eines Islamisten, der sich im Gefängnis radikalisiert hatte. Wegen dieser Verbindungen verhängten die Sicherheitsdienste 2006 eine punktuelle Beobachtung über Salhi. Da sich keine Anhaltspunkte für kriminelle Absichten ergaben, wurde diese 2008 eingestellt. Danach soll er regelmäßig mehrere Monate von der Bildfläche verschwunden sein. Ob diese Abwesenheiten auf Verbindungen zum IS schließen lassen, ist noch unklar. Laut Behörden soll Salhi vermutlich alleine gehandelt haben.
Warum wurde seine Beobachtung durch Sicherheitskräfte wieder eingestellt?
Salhi stand von 2006 bis 2008 auf einer Liste, die nicht nur Terrorverdächtige, sondern auch gewaltbereite Hooligans führt – insgesamt etwa 6 000 Personen. Für jeden Namen, der gestrichen werden kann, sind die Behörden dankbar. Da gegen Salhi nichts gefunden worden war, wie Innenminister Bernard Cazeneuve sagte, wurde seine Überwachung 2008 eingestellt. 2014 bekam die Polizei Hinweise auf verdächtige Kontakte Salhis zu „bärtigen Männern“. Sein Telefon sollte abgehört werden, doch da man keine auf seinen Namen laufende Nummer fand, wurde davon abgesehen.
Welche Folgen hat der Vorfall für Frankreichs Anti-Terror-Kampf?
Die Ermittler müssen sich jetzt die Frage gefallen lassen, wie ihnen die Bedeutung vager Hinweise auf einen radikalen Islamisten entgehen konnte. Die Opposition hat Präsident François Hollande sofort mit der Frage nach Versäumnissen konfrontiert. Einen „republikanischen Burgfrieden“ wie nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ im Januar wird es diesmal nicht geben. Seitdem ist die Überwachung sensibler Orte massiv verstärkt worden. Mit dem neuen Geheimdienstgesetz sind den Diensten zudem umfassende Vollmachten zur Überwachung von Verdächtigen eingeräumt worden.
Was ist über die Angreifer auf das Hotel
im tunesischen Sousse bekannt?
Entgegen erster Angaben war er vermutlich ein Einzeltäter, teilten die Behörden mit. Es werde aber nach Hintermännern gefahndet, die dem Attentäter geholfen haben könnten. Er stammt vermutlich aus dem Umfeld des IS. Auf Bildern, die in sozialen Netzwerken zirkulieren, posiert er mit zwei Kalaschnikows und bekennt sich zur Terrormiliz. Bei dem Mann soll es sich um einen 23-jährigen Tunesier namens Seifeddine Rezgui handeln. Er sei den Sicherheitsbehörden bisher nicht als Extremist bekannt gewesen, hieß es. In einem bisher unbestätigten Bekennerschreiben aus dem Dunstkreis der Terror-Organisation, das auf Twitter auftauchte, heißt es: Ein „Soldat des Kalifats“ habe den „abscheulichen Hort der Prostitution, des Lasters und des Unglaubens“ angegriffen. Über den Täter weiß man bisher wenig: Er soll aus dem westlich von Sousse gelegenen Dorf Gaafour stammen, wo er nicht als Fanatiker auffiel, sondern als „ganz normaler Mann“ galt. Erst als er in Kairouan, einer Islamistenhochburg, Elektrotechnik studierte, soll er Extremisten getroffen haben.
Wie reagiert die Regierung in Tunis?
Regierungschef Habib Essid kündigte an, dass Soldaten und Armeereservisten Sehenswürdigkeiten und Hotels im ganzen Land bewachen werden. Essid erklärte nach einer Krisensitzung der parteiübergreifenden Regierung, dass rund 80 inoffizielle Moscheen, in denen Hass gepredigt würde, geschlossen werden. Er sprach von „einem Krieg“ gegen den Terrorismus, den Tunesien gewinnen müsse.
Fliehen die Urlauber aus Tunesien?
Mehrere tausend Urlauber brachen ihre Ferien in Sousse ab und wurden am Wochenende von ihren Reiseveranstaltern nach Hause geflogen. Darunter waren allein 2500 Briten. Tui, der größte deutsche Reisekonzern, sprach von „insgesamt etwa 250 deutschen Gästen“, die ihren Urlaub beendet hätten. Die Mehrheit der Gäste wolle bleiben. Viele Reiseveranstalter bieten kostenlose Stornierungen von Tunesien-Reisen an.