zum Hauptinhalt
Gedenken. Bundespräsident Gauck, seine Lebensgefährtin Schadt und Griechenlands Präsident Papoulias (rechts) am Ort des Wehrmachtsmassakers. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
© dpa

Gauck in Griechenland: "Mit Scham und Schmerz"

Im Oktober 1943 ermordete die Wehrmacht im griechischen Bergdorf Ligiades mehr als 80 Menschen, vor allem Frauen, Kinder und Greise. Jetzt hat Bundespräsident Joachim Gauck am Ort des Massakers um Verzeihung gebeten.

Es ist eine Sache, in den Geschichtsbüchern oder Akten davon zu lesen, was im griechischen Bergdorf Ligiades am 3. Oktober 1943 geschah: das Massaker der deutschen Wehrmacht, dem mehr als 80 Frauen, Kinder und Greise zum Opfer fielen. Eine ganz andere Sache ist, am Ort des Verbrechens zu stehen. Man merkt das Bundespräsident Joachim Gauck an, als er am Freitag gemeinsam mit seinem griechischen Amtskollegen Karolos Papoulias vor die große marmorne Gedenktafel in dem Dorf tritt, in die die Namen der Opfer von damals eingemeißelt sind. „Das wird kein leichter Weg für mich“, hatte der Bundespräsident schon tags zuvor gesagt.

Eine Ehrenformation der griechischen Streitkräfte ist für den deutschen Gast aufmarschiert an der Gedenkstelle im Dorf. Die Häuser der Ortschaft schmiegen sich eng an die Flanke des Mitsikeli-Massivs. Ein eisiger Wind weht von den schneebedeckten Bergen herab, treibt Wolkenfetzen über den Gebirgskamm. Es beginnt zu regnen.

Mit versteinerter Miene und gesenktem Blick hört Gauck zu, wie eine Frau die Namen der Toten von Ligiades verliest: „Eleni Lappa, 60 Jahre; Ioanna Lappa, 28 Jahre; Katerini Lappa, 5 Jahre…“ Jeder Name ein Schicksal. Das jüngste Opfer war zwei Monate, das älteste 100 Jahre alt. Als die quälend lange Lesung endlich beendet ist, rufen die versammelten Dorfbewohner: „Unsterblich!“

Joachim Gauck spricht in Griechenland von Versöhnung

„Als Menschenkinder geboren, vom Feuer verschlungen“ – mit diesem Zitat eines Überlebenden beginnt der Bundespräsident seine Rede zum Gedenken an die Dorfbewohner, die damals als Rache für einen Partisanenüberfall von den Wehrmachtssoldaten erschossen wurden. „Sie alle waren arglos, sie alle waren wehrlos“, sagt Gauck.

Und dann sagt er jenen Satz, auf den viele warten: „Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung“. Dann spricht Gauck von Versöhnung, von der Gestaltung der gemeinsamen Zukunft beider Länder. Er erwähnt auch die Pläne zur Gründung eines deutsch-griechischen Jugendwerkes.

Aber es ist die Vergangenheit, es sind die dunklen Schatten der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg, die Gauck auf dieser Reise immer wieder einholen. Schuld und Schulden, das ist das Spannungsfeld, in dem sich dieser Besuch bewegte und aus dem er sich befreien kann. Gauck spricht von „moralischer Schuld“. Aber sein Gastgeber, der griechische Präsident Karolos Papoulias, erinnert den Bundespräsidenten immer wieder daran, dass da noch andere Schulden offen sind. Nie zuvor hat die griechische Seite einen deutschen Politiker so direkt und so nachdrücklich mit der Forderung nach Reparationen für die Besatzungsjahre konfrontiert, wie es Papoulias tat.

Dass der griechische Präsident sich damit auch an die eigene Öffentlichkeit wandte, dass dies ein Stück Innenpolitik ist, macht die Forderung nicht weniger brisant. Sie wird das deutsch-griechische Verhältnis in den nächsten Jahren begleiten und wohl auch belasten.

Gauck kann als Staatsoberhaupt zu diesen komplizierten rechtlichen Fragen wenig sagen, und er kann schon gar keine andere Ansicht äußern als die Bundesregierung, nach deren Lesart die Reparationsfrage fast 70 Jahre nach Kriegsende „ihre Berechtigung verloren hat“. Seine Unzuständigkeit unterstrich Gauck während des Besuchs mehrfach. Er will nach vorn blicken. „Wenn wir Erinnerungswege beschreiten, dann nicht, weil wir auf die Vergangenheit fixiert wären. Auch nicht, weil wir in ihrem Bann stehen“, sagt Gauck. Er schließt seine mit hörbarer Bewegung vorgetragene Rede mit der Mahnung: „Achtet und sucht die Wahrheit. Sie ist eine Schwester der Versöhnung.“

Demonstranten fordern Wiedergutmachung

Der Bundespräsident ist schon wieder auf dem Rückweg zu seiner Limousine, da entrollen einige Demonstranten ein Spruchband. Sie stimmen einen Sprechchor an: „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit…“ Auf ihrem Plakat steht: „Wir fordern Wiedergutmachung“.

Anlässlich des Besuchs des Bundespräsidenten war auch Panagiotis Babouskas aus Eleusis, wo er heute lebt, nach Ligiades gekommen. Er ist der einzige Überlebende des Massakers. Damals war er erst vier Monate alt. Man fand den noch lebenden Säugling zwei Tage nach dem Massenmord in den Armen seiner toten Mutter. Babouskas hat die Rede des Bundespräsidenten angehört. Er sagt: „Das sind nur Worte. Sie bedeuten nichts. Ich will Gerechtigkeit, und das heißt Wiedergutmachung.“

Zur Startseite