Flüchtlingskrise und Diplomatie: Mit Putin reden? Na klar!
Assad, Putin, Erdogan – warum die Flüchtlingskrise die Dialogbereitschaft des Westens verstärkt. Das mögen Puristen Appeasement nennen, es ist aber - ja, doch! - alternativlos. Ein Kommentar.
Reden ist Gold, Schweigen ist Blech. Wer einen Konflikt lösen will, muss diese Devise beherzigen. Denn Frieden schließt man nicht mit Freunden, sondern mit Feinden. Das gilt für die Rüstungskontrollverhandlungen im Kalten Krieg wie für den Friedensprozess in Nahost, für das Atomabkommen mit dem Iran wie für die kubanisch-amerikanische Annäherung. Die puristische Perspektive dagegen – mit dem Teufel wird keine Suppe gegessen! München 1938! Appeasement! Prinzipienlosigkeit! – mag moralisch plausibel klingen, führt aber praktisch nie aus der Sackgasse heraus und zum Erfolg. Solche Moral nützt nur dem, der Feindbilder zur Identitätswahrung braucht.
Lebensbedingungen in der Türkei verbessern
In der Flüchtlingskrise richtet sich der außenpolitische Fokus auf zwei Länder – Syrien und die Türkei. Syrien steht im Zentrum des Bürgerkriegs, die Türkei ist neben Jordanien und Libanon das Land, das die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Rund zwei Millionen Syrer leben dort bei Verwandten oder auf der Straße, in Flüchtlingslagern oder Billigwohnungen. Ernsthafte Bemühungen um ihre Integration hat es nie gegeben, weil die Regierung in Ankara davon ausging, dass die Menschen entweder in ihre alte Heimat zurückkehren oder in Richtung Europa weiterziehen würden.
Weil eine Rückkehr in die Heimat kurzfristig ausgeschlossen ist und die Weiterreise nach Europa (sprich: Deutschland) die Krise bei uns verschärfen würde, müssen die Lebensumstände der Flüchtlinge in der Türkei schleunigst verbessert werden. Kinder müssen Schulen besuchen können, Erwachsene Arbeit finden. Eine Milliarde Euro hat die EU der Türkei dafür zur Verfügung gestellt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagt: „Wir brauchen die Zusammenarbeit mit der Türkei dringender denn je.“ Kurdenkonflikt hin, erzwungene Neuwahlen her.
Dem Westen bietet Putin ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS an
Die Lage in Syrien ist komplizierter. Wladimir Putin verstärkt seit Wochen die russische Militärpräsenz auf dem Restgebiet, das Syriens Präsident Baschar al Assad noch kontrolliert. Das richte sich auch gegen das Vordringen der Dschihadisten-Miliz „Islamischer Staat“, heißt es. Dem Westen bietet Putin ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS an.
Inzwischen haben die USA ihr Misstrauen gegen diese Offerte überwunden und sich zu Gesprächen mit Russland bereit erklärt. An diesem Sonntag kommt US-Außenminister John Kerry nach Berlin, um darüber mit Steinmeier zu beraten. Seit dem Iran-Abkommen, an dem auch Russland beteiligt war, ist viel diplomatische Bewegung in die Frage der Bildung einer großen internationalen Koalition zur Lösung des Syrien-Konflikts gekommen.
Es wäre töricht, hier nicht alle Chancen auszuloten – und zwar ohne Vorbedingungen wie etwa die nach einem Sturz Assads. Hilfreich wäre auch ein Treffen zwischen Putin und Barack Obama am Rande des UN-Gipfels in New York. Es kann nicht darum gehen, Syrien als staatliche Einheit wiederzubeleben. Möglich aber wäre die Schaffung von Schutzzonen für Zivilisten und klar begrenzten Einflussgebieten für Sunniten, Kurden und Alawiten. Wem sich beim Gedanken daran, dass in diesem Fall der Schlächter Assad weiter an der Macht bliebe und Putin die Rückkehr aufs internationale Parkett gelänge, die Hand zur Faust ballt, möge eine gute Antwort auf die einfache Frage finden: Wie sonst?