Demokratieerziehung: Mit mehr Politikunterricht gegen Pegida und AfD
Nach dem Pisa-Schock wurden an der Schule die Naturwissenschaften gestärkt. AfD und Pegida aber zeigen: Die Demokratieerziehung braucht mehr Gewicht. Ein Gastkommentar.
Wohin man auch blickt, gewinnen demokratieablehnende Parteien an Zuwachs. Parteien, deren Demokratieverständnis nur die Menschen einschließt, die vermeintlich „biologisch“ zu dem „eigenen Volk“ gehören. Und Menschen, die auf der Flucht sind, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen, denen alles genommen wurde, gehören nicht dazu. Auch Migrantinnen und Migranten, die seit Jahrzehnten in unserem Land leben, werden ausgeschlossen. Auf der Agenda dieser Anhängerschaft haben solche Menschen keinen Platz in Europa, keine Chance auf ein Leben in der neuen demokratischen Heimat. Und das Schlimme ist: Diese rassistischen Phänomene entstehen in der Mitte der Gesellschaft und sie sind keine Randerscheinungen!
Leider findet man auch in Deutschland immer mehr Menschen, die sich von demokratiefeindlichen, von völkisch nationalen Parolen angesprochen fühlen. Menschen, die das Vertrauen in die Demokratie, die Institution des Staats und in die „Lügenpresse“ verloren haben. Die rechtsextremes Gedankengut verharmlosen und bagatellisieren. Allen voran Parteien wie die AfD, die sich selbst zum Anwalt des deutschen Volkes stilisieren möchte und die Pegida-Bewegung als pöbelnde Assistentin duldet. Das Motto dabei: „Man wird doch wohl mal sagen dürfen!“ Wie gerade wieder eindrucksvoll bewiesen, äußern sich Agitatoren wie Björn Höcke in extrem rassistischer Weise über Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund. Sie agieren als braune Rattenfänger, indem sie Stereotype und angstbesetzte Szenarien heraufbeschwören. Alleine bei der Vorstellung, dass ein solcher Hetzer als Lehrer auch für die Demokratieerziehung unserer Schülerinnen und Schüler verantwortlich war, wird mir angst und bange.
Die richtigen Weichen schon in Schule und Kita stellen
Da stellt sich natürlich die Frage, wie es um die Demokratieerziehung in unseren Schulen steht. Wie kann man Schüler zu demokratischen, mündigen Bürgern erziehen? Sie anleiten oder gelungene Impulse setzen, damit sie ein Verständnis für Demokratie, Solidarität und Zivilcourage gegenüber allen Menschen entwickeln und weniger empfänglich für Fundamentalismen jeglicher Art sind? Ob rechtsextrem, linksextrem, islamistisch, homophob, sexistisch und so weiter – wie kann solch extremen, demokratiefeindlichen Einstellungen schon vor Entstehen entgegengesteuert werden?
Insbesondere junge Menschen müssen schon in der Schule die Grundwerte der Demokratie erlernen und erleben. Die Schule als Mikrokosmos der Gesellschaft ist der am besten geeignete Ort, um Werte auszuhandeln, zu vermitteln und zu erfahren. Wir werden nicht als Demokraten geboren, sehr wohl aber zu Demokraten erzogen, durch Erziehung, Bildung und nachhaltige soziale Prozesse, die wir in Kindheit und Jugend erfahren. Das ist keine Binsenweisheit, sondern eine Tatsache, die von Bildungsforschen mehrfach wissenschaftlich belegt ist. Es liegt also an uns als demokratischer Gesellschaft, die richtigen Weichen schon in der Kita und Schule zu stellen.
Zu dieser demokratischen Wertevermittlung gehört in der heutigen Zeit auch unbedingt die Schlüsselkompetenz der interkulturellen Bildung. Wir verstehen interkulturelle Bildung prozesshaft, das heißt sie ist ein andauerndes konstruktives Sich-Auseinandersetzen mit kultureller, sprachlicher und religiöser Pluralität, mit unterschiedlichen Formen von Diversität und Anti-Diskriminierung. Kulturelle Bildung kann als Grundpfeiler für ein demokratisches Leben in Vielfalt gesehen werden. Nur so können aus vermeintlich „Fremden“ Freunde werden. Gleichzeitig zeigt die Schulbuchstudie „Migration und Integration“, dass die Darstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund immer noch Stereotype bedienen, überholt und tendenziös sind. Schulbücher müssen die vielfältige Realität der Schüler und ihre Lebenswelt abbilden. In einer Gesellschaft, in der 33 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 15 Jahre Migrationserfahrung haben, ist die Normalisierung von migrationsbedingter Heterogenität und der offene Umgang damit unbedingt notwendig.
Demokratie ist als Erziehungsziel in allen Schulgesetzen verankert. Damit ist die Schule durch unterschiedliche didaktische Konzepte, Wissensvermittlung von Demokratie, Teilhabe der Schülerschaft durch zum Beispiel Schülervertretungen und den Austausch mit der Gesellschaft außerhalb der Schulmauern legitimiert, demokratische Werte so früh wie möglich in den Schulalltag zu implementieren. Die Umsetzung lässt aber oft zu wünschen übrig.
Fach Politik muss durch die KMK gestärkt werden
Schüler müssen und sollen in der Schule immer wieder die Erfahrung machen, dass ihre Belange von Bedeutung sind. Dass sie mithilfe ihrer Stimme und Meinung in das Geschehen eingreifen können. Leider wird diese Beteiligungskultur an Schulen bislang nur halbherzig gelebt. Dass Schüler ernst genommen werden, ist jedoch ein notwendiger und nachhaltiger Erfahrungswert in der Vermittlung von Demokratie. Auf politischer Ebene kann ein früheres Wahlrecht das Interesse und die Teilhabe der jungen Menschen fördern. Da angehende Lehrer, unabhängig von ihrer Fächerwahl, in ihrer Ausbildung nicht verpflichtet sind, Demokratiepädagogik zu belegen, fehlt ihnen oft das Knowhow, um demokratische Prozesse möglich und sichtbar zu machen. Das muss sich ändern. Spätestens seit den Hattie-Studien ist klar, dass die Person der Lehrerin und des Lehrers mit ihrer Vorbildfunktion den stärksten Einfluss auf die Schülerschaft hat. Das gilt ebenso für die politische Wertvermittlung.
Soziale Kompetenzen rückten in den Hintergrund
Als Folge des Pisa-Schocks haben die Schulen ihr Augenmerk auf die Kernfächer wie Mathematik oder die Naturwissenschaften gelegt. Soziale Kompetenzen rückten in den Hintergrund. Das Fach Politik wurde immer stiefmütterlicher behandelt. Dabei ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass zwischen dem Umgang mit dem Politikunterricht in der Schule und dem politischen Engagement der Schüler ein positiver Zusammenhang besteht. Gerade die Vermittlung von politischen Kompetenzen, die ja sehr wohl auch in Pisa als Problemlösung oder soziale Kompetenzen abgefragt werden, ist heute wichtiger denn je. Die Stärkung des Fachs Politik/Politische Weltkunde muss ein Ziel der Kultusministerkonferenz sein. Ähnliches gilt für die Medienkompetenz. Insbesondere durch das Internet und die sozialen Medien werden undemokratischem Gedankengut Tür und Tor geöffnet, wenn nicht schon junge Menschen den Umgang, sowohl die Nutzen als auch die Risiken der Medien, in der Schule erlernen. Deshalb ist es umso dringlicher, dass die Schulen Medienkompetenz fächerübergreifend in ihren Unterricht einbauen. Damit so alle Schüler dazu befähigt sind, sich frei und emanzipatorisch im Internet zu bewegen.
Abschließend kann man positiv festhalten, dass wir sehr wohl Einfluss auf eine demokratische Grundhaltung und Teilhabe unserer Kinder und Jugendlichen haben. Schule trägt essentiell dazu bei, dass junge Menschen sich zu demokratisch mündigen Bürgern entwickeln, die sich gegen diskriminierende und intolerante Strömungen zu behaupten wissen.
Wir müssen endlich Schule, die ja um der Schülern Willen existiert und nicht umgekehrt, und ihre immer komplexer werdenden Bedürfnisse neu denken. Und wo wäre dieser progressive Schritt sinnvoller als in Deutschland. Gerade hier ist der Begriff der Bildung untrennbar mit den Werten der Aufklärung verbunden. Schon Kant wusste, dass Bildung bedeutet, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. In diesem Sinne muss die Schule demokratische Wertvermittlung durch Teilhabe als ihr Kerngeschäft sehen und mit ihrem pädagogischem Personal vorleben. Natürlich klappt das nur, wenn die Schulen hierfür personell sowie materiell angemessen ausgestattet sind. Die Bundesregierung darf die Bundesländer und die Schulen bei dieser Mammutaufgabe nicht alleine lassen.
Özcan Mutlu ist Berliner Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Bildungspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.