EU-Gipfel: Mit Mehr Geld gegen die Jugendarbeitslosigkeit
EU-weit sind ein Viertel aller jungen Menschen ohne Job, gleichzeitig suchen viele Deutsche Firmen dringend Fachkräfte. Beim heute beginnenden Gipfeltreffen sollen Austauschprogramme finanziell gestärkt werden.
Für seine Arbeit braucht Javier Saintmartin nicht viele Worte. Der 26-jährige Mechaniker steht in der Werkstatt, legt den Kopf in den Nacken und zeigt auf eine lose Schraube. Über ihm schwebt auf Eisenstützen eine Lok, der Motor muss repariert werden. Sein Kollege nickt, Saintmartin lacht. Seit zwei Monaten arbeitet er hier bei der Rurtalbahn in Düren nahe Aachen. Er spricht wenig Deutsch, die Kollegen nur schlecht Englisch und Spanisch sowieso nicht, trotzdem verstehen sie sich. Saintmartin kam vor einem Jahr mit einem europäischen Auszubildenden-Austausch für drei Monate in die Werkstätten der Rurtalbahn. Als seine Lehre im spanischen Sevilla zu Ende war, gab es dort keine Arbeit, doch in Düren wurde eine Stelle frei.
Während in Deutschland viele Firmen dringend Fachkräfte suchen, waren im April EU-weit knapp ein Viertel aller jungen Menschen ohne Job, in Spanien und Griechenland sind es sogar mehr als die Hälfte. Auch in Saintmartins Freundeskreis ist jeder Zweite ohne Arbeit. „Das Schlimmste ist die Hoffnungslosigkeit“, sagt er, „man weiß einfach nicht, ob und wann es besser wird.“ Viele seiner Freunde müssen weiter bei den Eltern wohnen, das Warten macht sie müde und depressiv. Allein 2011 wurde der europaweite volkswirtschaftliche Schaden durch die Abkopplung junger Menschen vom Arbeitsmarkt auf etwa 153 Milliarden Euro geschätzt, manche nennen sie gar schon „die verlorene Generation“. Saintmartin wollte nicht warten. Also verließ er Sevilla, die Stadt in der er geboren ist und in der er eigentlich auch alt werden wollte.
Dass Saintmartin so gute Kontakte ins Ausland hat, ist Christine Stommel zu verdanken. Sie ist Mobilitätsberaterin bei der Handwerkskammer Aachen. Es ist ihr Job, im Rahmen des europäischen Da-Vinci- Programms deutschen Auszubildenden Praktika im Ausland zu vermitteln und umgekehrt. Sie organisierte vor zwei Jahren den Kontakt zu Saintmartins Schule. „Dass er dann im Anschluss an den Austausch hier auch eine Stelle gefunden hat, ist natürlich toll“, sagt sie. Seit Beginn der Krise bekommt sie viel mehr Anfragen aus Spanien, Italien und Griechenland – viele wollen schon während der Lehre Kontakte nach Deutschland knüpfen. Stommels Stelle und die ihrer 34 Kollegen in Handwerkskammern in ganz Deutschland werden zu 50 Prozent aus dem Europäischen Sozialfonds bezahlt. Der vergibt schon jetzt zehn Milliarden Euro im Jahr für solche Projekte – beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs soll nun mehr Geld gegen die Jugendarbeitslosigkeit zusammenkommen.
Mithilfe einer sogenannten Jugendgarantie soll jungen Menschen innerhalb von vier Monaten nach ihrem Abschluss eine Arbeit oder eine Weiterbildung garantiert werden. Dafür sind bisher sechs Milliarden Euro eingeplant. Auf dem Gipfel wollen die Regierungschefs nun ermöglichen, dass das Geld von Januar 2014 an bereitsteht. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt die Kosten einer effektiven Jugendgarantie in Europa allerdings auf sogar bis zu 21 Milliarden Euro. Geld für Projekte soll auch von der Europäischen Investitionsbank kommen, das haben die Mitgliedstaaten schon im Januar beschlossen. Ihre Mittel werden um 60 Milliarden Euro aufgestockt. Beschlüsse über mehr Geld oder neue Initiativen wird es auf dem EU-Gipfel jedoch nicht geben.
Ein weiteres Ziel des Gipfels soll sein, jungen Arbeitsuchenden mehr Mobilität zu ermöglichen. Dazu gehören eine bessere grenzübergreifende Arbeitsvermittlung, aber auch Austauschprogramme während der Ausbildung, wie eben das Pilotprojekt „Mobilitätsberatung“ der Handwerkskammern in Deutschland. Das europäische Parlament fordert zusätzlich eindeutigere Zielvorgaben für die Jugendgarantie. In einem sind sich die EU-Institutionen aber einig: Die größte Verantwortung liege weiterhin bei den Mitgliedstaaten. Daniel Gros vom europäischen Thinktank Ceps sagt sogar: „Dieser Gipfel ist kontraproduktiv, weil er suggeriert, dass die EU etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun kann“, sagt er. „Das ist aber zuallererst Sache der Mitgliedstaaten.“ Aus den Institutionen heißt es, die Krisenländer sollten ihre Wirtschaft reformieren – und auch ihre Ausbildungssysteme – überarbeiten.
Da die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland bei aktuell 7,5 Prozent liegt, gilt das hiesige Ausbildungsmodell als vorbildlich. „Langfristig werden wir die Jugendarbeitslosigkeit nur mit Strukturreformen in den Griff bekommen“, sagt die FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch, Mitglied im Ausschuss für Soziales und Beschäftigung. „Auch in anderen Ländern wie Spanien muss die Ausbildung praxisorientierter werden – ähnlich der Dualen Ausbildung in Deutschland.“ Denn das Ziel sei, dass junge Menschen zuallererst in ihrem Heimatland einen Job fänden.
Javier Saintmartin glaubt nicht, dass die Krise in Spanien schnell vorbei sein wird. Auch seine Freundin zieht jetzt nach Deutschland. Sie ist 22 und gelernte Kosmetikerin. Sie hat vorübergehend einen Job bei der Reinigungsfirma, die die Züge der Rurtalbahn putzt. Beide gehen zweimal die Woche abends in den Deutschkurs. Für Saintmartin bezahlt das Unternehmen den Kurs. Demnächst will er sich bei einem Fußballverein anmelden.
Elisa Simantke