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Politik: Mit Herz und Steuern

Umfrage: Die Deutschen treibt das Schicksal armer Kinder um. Sie würden sogar mehr zahlen, um zu helfen.

Berlin - Dass in ihrem reichen Land Millionen Kinder in Armut aufwachsen, treibt die Deutschen anscheinend stark um – das Thema treffe auf „hohe Empathie“, sagt Thomas Krüger, der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks. Der Verband hatte in einer repräsentativen Stichprobe dazu etwas mehr als 1000 Wahlberechtigte befragen lassen.

Die Forscher von „infratest dimap“ fanden dabei heraus, dass es die Sorge um die Lage der Kinder offenbar über alle politischen Lager hinweg gibt. Das sei wohl damit zu erklären, so Krüger, dass alle, die eigene Kinder, Enkel oder die von Freunden in Schulen und Kitas hätten, das Problem kennten. Dennoch sei erstaunlich, dass die Befragten sogar bereit wären, mehr Steuern zu zahlen, um die Lage von Kindern zu verbessern.

Dabei ist der Glaube, dass direkte Geldtransfers für arme Familien helfen, anscheinend schwächer als der an Hilfen, die nur und unmittelbar den Kindern zugutekommen: Die Anhebung der Hartz-IV-Sätze und mehr Kindergeld stehen am Ende der Prioritätenliste. 70 beziehungsweise 62 Prozent der Befragten nannten dies wichtig oder sehr wichtig, während die Punkte „kostenlose Bücher und Lehrmittel in der Schule“ (97 Prozent) oder „mehr Fachkräfte und Sozialarbeiter in Schulen und Kitas, die sich um benachteiligte Kinder kümmern“ (94 Prozent) praktisch alle Befragten für wichtig oder sehr wichtig halten. Auf den nächsten Plätzen folgen kostenloses Frühstück in Kita und Schule, mehr staatlicheBeratung für Arme, kostenlose Ganztagsbetreuung und dann Gutscheine oder Kostenbefreiung für Freizeit- und Kulturangebote. Auch nach Information über Kinderarmut fragten die Demoskopen – 75 Prozent der Befragten hielten mehr Berichterstattung in den Medien für nötig.

In der vergangenen Woche hatte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf eigene Zahlen zum Ausmaß der Kinderarmut veröffentlicht. Demnach ist fast jedes fünfte Kind in Deutschland (knapp 19 Prozent) von Armut bedroht, in Ostdeutschland mit 26,3 Prozent deutlich mehr als im Westen (17,4 Prozent). Als armutsgefährdet gilt allgemein, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Netto-Einkommens zur Verfügung hat, für Eltern mit einem Kind unter 14 Jahren sind das derzeit 1564 Euro im Monat.

Die niedrigste Armutsquote ermittelten die Düsseldorfer Forscher mit 9,9 Prozent in der Oberpfalz. Auch andere Regionen Bayerns und Baden-Württembergs sind vergleichsweise wenig betroffen. Den Armutsspitzenplatz hat Bremen; in Berlin leben demnach gegenwärtig 146 538 Kinder unter 15 Jahre (34,9 Prozent von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV). Als armutsgefährdet gelten hier 26,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren.

Armut ist oft mit Ausschluss und der Unmöglichkeit verbunden, mit anderen Gleichaltrigen gleichzuziehen. So könnten in Ost und West 70 Prozent der Betroffenen keinen Urlaub machen. Ein gutes Viertel im Westen und ein Drittel im Osten habe in der Wohnung nicht ausreichend Zimmer. Thomas Krüger vom Kinderhilfswerk betonte denn auch, dass es mehr noch als um staatliche Hilfen um „armutsfeste Einkommen“ für die Familien gehe. „Wir müssen uns auch mit untertariflicher Beschäftigung auseinandersetzen“, sagte Krüger. 2,8 Millionen arme Kinder gebe es jetzt, ein Fünftel aller Kinder, während in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik nur jedes 75. Kind betroffen gewesen sei. Und die Zahl sei trotz konjunktureller Belebung kaum zurückgegangen.

Viele nachhaltige Hilfen seien nicht einmal teuer, sagte Krüger: Wenn Kinder schon in Kita und Grundschule lernten, mitzubestimmen, teilhaben und etwas bewirken könnten, stärke das ihr Selbstbewusstsein so, dass sie die Chance hätten, der Armutsfalle zu entkommen: „Das kostet kein Geld, man muss nur in den Einrichtungen darauf abstellen.“

Andrea Dernbach, Sylvia Vogt

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