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Das LaGeSo nutzt bis mindestens Herbst das ICC als temporären Standort.
© imago/Markus Heine

ICC als Flüchtlingsamt: Mit Ansage ins Chaos

Die "Bearbeitungsstraße Flüchtlinge" im ICC löst keine Probleme, sondern schafft sie. Gastbeitrag eines Freiwilligen Helfers.

Jetzt wird alles besser. Das LAGeSo organisiert sich neu. Nach Monaten des Chaos, nach Bildern von unhaltbaren Zuständen, die in der halben Welt für Entsetzen und Kopfschütteln gesorgt haben und die den Flughafen BER als peinlichsten Ort der deutschen Hauptstadt abgelöst haben, will man nun Ordnung herstellen. Ein begrüßenswerter, längst überfälliger Schritt. Doch leider riecht der Plan ein bisschen nach Wahlkampf, im September wird in Berlin gewählt.

Bisher wurden die Termine im LAGeSo nach Tagen vergeben, nicht nach Uhrzeiten. Man hatte also irgendwann am 2. März einen Termin. Wurde einem nicht gerade ein Termin an einem Feiertag vergeben, an denen das LAGeSo natürlich geschlossen hat, aber trotzdem Termine vergab, weil das unchristliche Computerprogramm des LAGeSo sich konsequent weigerte, Ostern und Pfingsten als Feiertage zu erkennen, so hatte man irgendwann an diesem Tag einen Termin. Das führte dazu, dass die Geflüchteten schon mitten in der Nacht auf dem LAGeSo-Gelände auftauchten, zu häufig war es vorgekommen, dass man nach zehn Stunden des Wartens wieder gehen musste und noch immer obdachlos war, weil man seinen Termin nicht bekommen hatte. Von nun an soll es drei Zeitfenster pro Tag geben. Zwar bleibt zu erwarten, dass die Betroffenen weiterhin früher kommen, denn das Vertrauen ist aufgrund der Erfahrungen sehr begrenzt, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

„Turmstraße (ICC)“ lautet die missverständliche Adresse

Doch nicht nur die Zeitfenster sollen dabei helfen den Prozess zu optimieren, auch die neue „Bearbeitungsstraße Flüchtlinge“, über deren Wortwahl sich einiges sagen ließe, aber das nur am Rande. Diese neue Bearbeitungsstraße mit farblichem Sortiersystem gibt es allerdings nicht beim LAGeSo in der Turmstraße, wo weiterhin die einzelnen Fälle bearbeitet werden, sondern nur im ICC. Das steht nicht nur in den nächsten Monaten leer, es ist zudem klimatisiert, womit man das Warten in der Hitze vor dem LAGeSo verhindern wolle. Warum man dann nicht einfach klimatisierte Wartezelte oder Leichtbauten auf das LAGeSo-Gelände baut, erschließt sich allerdings nicht. Was jeder Zirkus im Sommer schafft, soll hier nicht Gelingen? Schulterzucken. An den Kosten kann es kaum liegen, denn der Betrieb von zwei Standorten und doppelten Strukturen inklusive Sicherheitspersonal, Reinigungskräften und so weiter ist nicht billiger.

Bis zu 800 Personen mit Terminen sollen sich also täglich ab dem 20. Mai beim ICC einfinden. Am Anfang dürften allerdings viele der Geflüchteten mit Terminen nicht dort ankommen, denn bedauerlicherweise hat man es versäumt, auf den Terminvorladungen darauf hinzuweisen, dass man ins ICC muss – und auch keine Adresse angegeben. Dort steht lediglich: „Turmstraße (ICC)“. Dass nun jedem Geflüchteten automatisch klar sein wird, dass „Turmstraße (ICC)“ bedeutet, man solle nicht in die genannte und bekannte Turmstraße, sondern zum „(ICC)“ fahren, an einen bisher unbekannte Behördenstandort deren Anschrift nicht genannt wird, ist mehr als fraglich. Wenn es also die Betreiber von Unterkünften und die dortigen Freiwilligen nicht schaffen, rechtzeitig diese Information zu verbreiten, werden die Menschen weiterhin in die Turmstraße gehen, in die sie aber nicht gelangen werden, denn der unkontrollierte Zugang ist dort dann nicht mehr möglich. Kontrolliert geht das schon, aber dazu später.

Wenn sich also irgendwann doch alle Personen beim ICC einfinden, wird es eng. Denn wenn man sich den Warteraum anschaut, wird einem mulmig. Rein rechnerisch passen da vielleicht 800 Personen rein. Aber das ist kein Konzert 15-jähriger Teenies. Zwar wird man einen abgesonderten Bereich mit Sitzmöglichkeiten für, wie es im Beamtendeutsch heißt, „vulnerable Personen“ bereit halten, also Alte, Kranke, Verletze, Schwangere, doch die übergroße Zahl wird stehen. Lange stehen, eng an eng. Wer auf Toilette möchte, kann immerhin wieder nach draußen in die Containertoilette gehen, wobei er natürlich keine Garantie hat, danach auch wirklich wieder an seinen vorherigen Platz zurückzukommen.

Spannend wird es auch, wenn Personen ihre Kinder dabei haben. Eine Beschäftigungsmöglichkeit für Kinder oder gar eine Spielecke? Auf die entsprechende Frage verweist man darauf, dass ein „Lernprozess“ bei den Geflüchteten einsetzen und nur der Familienvorstand erscheinen solle. In der Theorie ist das gut, niemand kann es Kindern wünschen, stundenlang im ICC oder auf dem LAGeSo-Gelände zu warten. Doch dabei wird ein wesentlicher Fakt ausgeblendet: Unter den nach Berlin geflüchteten sind zahlreiche alleinerziehende Mütter und Väter. Wo sollen sie in der Zeit ihre Kinder lassen? Gerade in den Notunterkünften werden die Eltern immer wieder - zu Recht! -  aufgefordert, ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen und ihre Kinder nicht alleine in der Unterkunft zurückzulassen. Was also sollen diese Mütter machen, wenn sie zum ICC müssen, ihre Kinder aber nicht alleine lassen können? Sie werden sie mitnehmen. Und allein damit schon die Zahl von 800 Personen deutlich nach oben treiben.

Mit dem Busshuttle zurück in die Turmstraße

Wer den Wartebereich aber überwunden hat und erst einmal ins ICC gelangt, trifft dort auf bis zu 20 Sachbearbeiter. Diese entscheiden dann darüber, ob es sich um einen kleinen Notfall handelt, der direkt abgearbeitet werden kann, wie zum Beispiel Kostenübernahmeerklärungen bei Obdachlosigkeit oder Krankenscheinen, oder ob man in die andere LAGeSo-Abteilung muss. Die ist wo? Richtig: in der Turmstraße. Dafür wird es einen Busshuttle bestehend aus neun Bussen geben, das alltägliche Verkehrschaos zwischen ICC und Turmstraße wird den Sachbearbeitern in der Turmstraße immerhin genügend Zeit geben, die Akten der erwarteten Personen bereits herausgesucht zu haben.

Und spätestens jetzt fragt man sich: Wenn eine Behörde ein Managementproblem an einem Standort nicht lösen kann, wieso soll das durch die Aufteilung auf zwei Standorte und einem kontinuierlichen Pendelverkehr besser werden? Die meisten Menschen werden nun also kontrolliert in die Turmstraße gefahren. Dort kalkuliert man mit 20 Minuten pro Fall. Dabei weiß jeder, der schon einmal beim LAGeSo vorgesprochen hat nur zu gut, dass diese oft selbst dann nicht ausreichen, wenn die Unterlagen wirklich schon rausgesucht sind und Sprachmittler zur Verfügung stehen.

Das neue Konzept scheint nicht ausgereift, Einwände von erfahrenen Helfern werden ignoriert. Die Vorteile für die Geflüchteten, um die es ja eigentlich geht, sind nur schwer zu erkennen. Ein wirklicher Vorteil aber könnte es für das Image des LAGeSo sein. Denn im Gegensatz zum weitläufigen Gelände in der Turmstraße lassen sich hier Fragen stellende ehrenamtliche Helfer und die Presse draußen halten. Chaotische Bilder wird es also nicht mehr geben. Jedenfalls nicht bis zum September. Dann nämlich wird die Bearbeitungsstraße im ICC wieder geschlossen. Und die Abgeordnetenhauswahl ist vorbei. Aber das ist natürlich nur Zufall.

Der Autor ist Freiwilliger in der Notunterkunft Rathaus Wilmersdorf.

Holger Michel

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