Terrorgefahr in Europa: Misstrauen gegen Muslime soll geschürt werden
Die Strategie des IS: Durch möglichst spektakuläre Anschläge soll das Misstrauen gegenüber Muslimen in Europa geschürt werden. Das wiederum soll Muslime in Europa radikalisieren. Ein Kommentar.
Hannover, Brüssel, New York, München. Nach den Terroranschlägen von Paris liegen die Nerven all jener blank, die für die Sicherheit der Bürger verantwortlich sind. Jede Warnung muss ernst genommen, jedem Hinweis nachgegangen, jede Möglichkeit in Betracht gezogen werden. Weil das Unfassbare Wirklichkeit wurde, ist das Unwahrscheinliche möglich geworden. In Brüssel begann das Neue Jahr ohne Feuerwerk, in München riegelte die Polizei zwei Bahnhöfe ab und riet der Bevölkerung, Menschenansammlungen zu meiden. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Der Ausnahmezustand ist zum Regelfall geworden.
Dabei folgen auf vereitelte Anschläge meist nur einige Seufzer der Erleichterung, dann wendet sich die Öffentlichkeit wieder ihrem Tagewerk zu. Ist ja nichts passiert. Keine Täter, keine Opfer. Das hilft, nicht in andauernde, diffuse Ängste zu verfallen. Es ist eine Art Selbstschutzmechanismus. Außerdem wissen allein die Sicherheitsbehörden, wie akut die Gefahr war – und wie angemessen die Reaktion darauf. Das Volk ist zum Vertrauen verdammt, dass die Maßnahmen richtig und notwendig waren. Die meisten Hinweise kommen von „befreundeten Geheimdiensten“. Das schließt Transparenz der Informationen und eine Kontrolle der Behörden aus.
In Syrien und dem Irak ist es der Koalition der IS-Bekämpfer offenbar gelungen, die Expansionsdynamik der Terrormiliz zu brechen. Statt stetig weitere Gebiete zu erobern, sieht sie sich gezwungen, bereits eroberte Gebiete zu räumen. Die Verluste sind hoch, der erhoffte Aufbau eines Kalifats ist in weite Ferne gerückt. Das schmälert die Attraktivität der militanten Islamisten und erklärt, warum sie – gewissermaßen als Ausgleich – nach Kräften bemüht sind, den Terror nach Europa zu tragen.
Das Misstrauen gegenüber Muslimen in Europa soll geschürt werden
Denn die Strategie des IS ist klar: Durch möglichst spektakuläre Anschläge soll das Misstrauen gegenüber Muslimen in Europa geschürt werden. Das wiederum soll Muslime in Europa radikalisieren. Je tiefer der Keil getrieben wird, desto mehr Nachwuchs lässt sich rekrutieren. Hinzu kommt: Die Flüchtlingskrise und die Furcht vor Tausenden unregistrierten Zufluchtsuchenden erhöht offenbar die Bereitschaft, in Flüchtlingen auch potenzielle Terroristen zu sehen. Symptomatisch dafür war nach der Münchner Terrorwarnung die höhnische Aufforderung von Pegida-Chef Lutz Bachmann, die „WelcomeKlatscher“ mögen alle zum Hauptbahnhof kommen.
Für Deutschland und Europa folgt daraus dreierlei. Erstens muss die Zusammenarbeit der Geheimdienste weiter intensiviert werden. Dass etwa die BND-Führungselite seit vielen Monaten vorrangig damit beschäftigt ist, sich um die Folgen der durch Edward Snowden ins Rollen gebrachten Affäre zu kümmern, ist hanebüchen. Zweitens muss die Militäroperation gegen die IS-Miliz unvermindert fortgesetzt werden. Nur wenn es gelingt, ihr den Nimbus der Stärke zu nehmen, kann der ideologische Kampf gewonnen werden.
Drittens sollte alles unterlassen werden, was die Kluft zwischen Nicht-Muslimen und Muslimen vertieft. Andernfalls könnte der Kreislauf einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung in Gang gesetzt werden: Wer Muslime in Deutschland ablehnt, treibt sie in die Arme von Extremisten und sieht anschließend seine Vorurteile bestätigt.