Gescheiterte italienische Regierung: Ministerpräsident Conte tritt zurück
Italiens Regierungschef Conte hat seine Koalition für beendet erklärt. Anschließend reichte er seinen Rücktritt beim Präsidenten ein.
Der italienische Regierungschef Giuseppe Conte hat seinen Rücktritt eingereicht. Das erklärte das Büro von Staatspräsident Sergio Mattarella am Dienstagabend. Er reagierte damit auf den Koalitionsbruch der Fünf-Sterine-Bewegung und der rechten Lega.
Zuvor hatte Conte die Regierung aus rechter Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung für beendet erklärt. „Die derzeitige Krise gefährdet unweigerlich die Arbeit der Regierung, welche hier endet“, sagte Conte am Dienstag im Senat in Rom. Conte will noch am Dienstag sein Rücktrittsgesuch bei Staatspräsident Sergio Mattarella einreichen.
Conte hatte schon am Nachmittag schwere Vorwürfe gegen den rechtspopulistischen Innenminister Matteo Salvini erhoben. Salvinis Entscheidung vor zwei Wochen, die Koalition aus rechter Lega und Fünf-Sterne-Bewegung aufzukündigen, sei objektiv betrachtet "schwerwiegend" für das Land und lediglich auf persönliche Interessen zurückzuführen, sagte Conte am Dienstag im Senat in Rom. Conte warf Salvini auch "politischen Opportunismus" vor. Die Krise sei schädlich für das Land.
Die Lega habe „14 Monate intensiver Regierungsaktivitäten befleckt, nur um die mediale Werbetrommel zu rühren“, moniert Conte. Jubel, Applaus und Buh-Rufe im aufgebrachten Senat. „Hört auf, hört auf“, ruft Senatspräsidentin Elisabetta Casellati immer wieder dazwischen, „wir stehen vor einer Regierungskrise, kapiert ihr das nicht.“
Contes Ansprache ist die Abrechnung mit einem Politiker, der sich in Italien immer mehr in den Vordergrund gespielt hat, fast betrunken von den guten Umfragewerten. Der wie im Rausch durch das Land tingelt, um die Menschen mit Cocktailgläsern in der Hand an Stränden, Plätzen und bei unzähligen Wahlkampfveranstaltungen auf seine Seite zu ziehen.
Der nun zum Gegenangriff ansetzt und sagt, er würde alles wieder genauso machen. Der zum tausendsten Mal über „Merkel und Macron“ lästert, denen die EU-Regeln „vollkommen wurst“ seien. Der es „leid“ ist, dass „jeder unserer Schritte von einer Unterschrift von irgendeinem EU-Funktionärs abhängt“. Und der die armen Italiener zur Wahl aufruft, um ihn als Retter der Nation zu bestimmen.
"Die verrückteste Regierungskrise der Welt"
Ginge es nach Salvini, wäre das schon im Oktober der Fall. Doch Italiens Regierungskrisen sind notorisch kompliziert. Und diese hier ist besonders kompliziert. Die Zeitung „Corriere della Sera“ sprach von der „verrücktesten Regierungskrise der Welt“. Analysten wie die von der Großbank Barclays beschreiben die jetzige Krise als „eine der unvorhersehbarsten“ in der modernen italienischen Geschichte. Der Polit-Analyst Wolfango Piccoli sieht ein „absurdes politisches Theater“. Denn alle Parteien spielen ein taktisches Spielchen.
„Heute ist nach 14 Monaten eine der schlimmsten Erfahrungen in der Geschichte der Republik zu Ende“, erklärte Ex-Regierungschef Matteo Renzi vom sozialdemokratischen Partito Democratico (PD). „Ganz Europa weiß jetzt, dass die Populisten im Wahlkampf funktionieren, aber in einer Regierung scheitern.“ Renzi dürstet es nach einer demütigenden Abwahl seiner Partei im letzten Jahr nach Rache. Denn die Sozialdemokraten könnten Salvini zusammen mit den Fünf Sternen noch ausbooten und in die Opposition verdammen.
Nämlich dann, wenn beide Parteien sich zu einer Allianz zusammenraufen würden. Eigentlich sind sie sich spinnefeind - aber sie hätten beide etwas davon: Die Wahlen würden sich verzögern. In Umfragen sind beide weit abgeschlagen. Doch Beobachter warnten schon vor einer „Koalition der Verlierer“, die gegen die vorherrschende Stimmung im Land gehe.
Auch wenn die sommerliche Politkrise schon surreale Züge trägt. Zum Lachen gibt es eigentlich nichts. Es sind vor allem zwei Themen, die Europa und damit auch Deutschland Sorgen bereiten sollten.
Streit um Seenotrettung
Zum einen ist da der Streit um die Einwanderung. Während sich in Rom machthungrige Männer gegenseitig demontieren, springen verzweifelte Migranten von dem spanischen Rettungsschiff „Open Arms“ vor der Insel Lampedusa von Bord. Als eines von vielen Rettungsschiffen ist es seit Wochen auf dem Meer blockiert. Es ist offensichtlich, dass Salvini mit den NGOs Wahlkampf betreibt. Er will beweisen, dass er keinen einzigen Migranten von einem NGO-Schiff an Land lässt. Damit schart er immer mehr Anhänger um sich.
An Italien scheiterte zuletzt der Versuch, eine vorübergehende Lösung für die Verteilung von Bootsflüchtlingen zu finden. Vor allem Deutschland und Frankreich hatten sich dafür stark gemacht. Mehrere Länder haben sich auch bereit erklärt, Migranten von Schiffen zu übernehmen - doch Salvini lehnt es kategorisch ab, die Schiffe erst mal in Italien anlegen zu lassen.
Schulden und Abwanderung von Fachkräften
Geht es nun mit oder ohne ihn weiter? Und wenn ja, wie? Anfang September soll auf Malta ein EU-Spitzentreffen zur Migration stattfinden. Möglicherweise könnte eine vorübergehende Einigung auf eine Verteilung der geretteten Migranten leichter mit einer Allianz aus PD und Fünf Sternen zustande kommen. Sicher ist das aber nicht.
Auch beim zweiten Thema brennt es an allen Ecken und Enden: Italien ist so hoch wie kaum ein anderes Land auf der Welt verschuldet. Die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone kommt wirtschaftlich nicht auf die Beine. Gut ausgebildete Menschen wandern ab, es werden keine Kinder mehr geboren, der Süden hängt immer weiter hinterher.
Obwohl das Land auf einem riesigen Schuldenberg sitzt, hat die Populistenregierung teure Wahlversprechen wie das Herabsetzen des Rentenalters und ein Bürgereinkommen durchgesetzt. Salvini pocht zudem auf Steuererleichterungen - dafür werde er viel Geld in die Hand nehmen, verspricht er im Senat.
Bis Ende des Jahres muss das Haushaltsgesetz verabschiedet sein. Doch wer bringt den Haushalt für 2020 durch? Wer holt die heißen Kohlen aus dem Feuer? Für Staatspräsident Sergio Mattarella wird diese Frage Priorität haben, wenn dieser Tage die Konsultationen bei ihm beginnen, wie es in der Krise weitergehen soll. Wieder einmal lasten auf dem besonnenen, stillen Mann auf dem Quirinalshügel alle Hoffnungen, dass er es schon richten wird und Italien aus dem Schlamassel holt. dpa)