Unvermindert Gefechte im Donbass: Minister-Berater: "Frieden gibt es nur, wenn Putin seine Truppen zurückpfeift"
Keine Beruhigung in Sicht: In der Ostukraine gehen die Gefechte unvermindert weiter. Vor allem der Flughafen in Donezk ist heftig umkämpft. Kiew fordert Moskau auf, seine Soldaten abzuziehen - und macht seinerseits mobil.
International wird unter Hochdruck eine friedliche Lösung des Konfliktes in der Ostukraine gesucht, doch die Lage im Donbass spitzt sich seit Tagen zu. Den OSZE-Beobachtern ist es nicht gelungen, den stark umkämpften Flughafen in Donezk zu untersuchen, der Beschuss war in den letzten Tagen zu stark.
Ein Experte der OSZE, der bis vor wenigen Tagen als Beobachter in der Region Donezk unterwegs war, berichtet dem Tagesspiegel, die Spannung in der Ostukraine sei spürbar. An zahlreichen Stellen sei Militär zu sehen. Zudem werden offenbar immer öfter Wohnhäuser von Zivilisten gezielt beschossen. Auch in einem Wohngebiet vor dem Flughafen der Großstadt Donezk wurde am Donnerstagabend geschossen, dabei wurden zahlreiche Zivilisten verletzt, zwei Soldaten der ukrainischen Streitkräfte wurden getötet. Wie hoch die Verluste auf Seiten der prorussischen Separatisten sind, blieb unklar.
Anton Geratschenko, Berater des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow, sagte dem Tagesspiegel: „Die Ostukraine ist voll von russischen Soldaten, 8500 oder mehr stehen dort, Frieden gibt es nur, wenn Putin seine Truppen zurückpfeift.“
Während der Westen auf Weiterführung des Dialogs pocht, wird in der Ukraine seit Tagen über Aufrüstung und Mobilisierung debattiert. Am Donnerstag stimmte das Parlament drei neuen Mobilisierungswellen zu, die bis Juni dieses Jahres 200.000 zusätzliche Männer und Frauen an die Waffen bringen sollen.
Ukrainischer Verteidigungsminister warnt vor erneutem Kriegsausbruch und Terror
Verteidigungsminister Stephan Poltorak sagte am Freitag vor dem Parlament in Kiew, das Land müsse weiterhin "wachsam sein, der Feind steht im Land". In die gleiche Kerbe schlug der Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Alexander Turtschinow. Er warnte die Ukrainer in seiner Parlamentsrede vor einer möglicherweise bevorstehenden militärischen Großoffensive der russischen Armee. Der Parteifreund von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk sagte: „Wir rechnen in der nächsten Zeit mit zwei Szenarien: einem erneuten Kriegsausbruch oder terroristischen Aktivitäten durch Russland. Zweifellos geht die russische Aggression gegen uns weiter.“
In den sozialen Netzwerken der Ukraine finden sich am Freitag Augenzeugenberichte, die von den neuen Angriffen rund um den Flughafen berichten. „Die Situation ist sehr schwierig, es gibt zahllose Tote unter den Zivilisten und auf Seiten der Militärs“, zitiert die Tageszeitung "Segodna" Augenzeugen. Demnach sollen in dem Wohnquartier nahe dem Donzeker Flughafen mehrere Häuser komplett zerschossen worden sein, auch eine Schule und kleinere Gewerbeeinheiten seien betroffen.
Beide Seiten schieben sich die Schuld gegenseitig zu
Wer für die Schüsse verantwortlich ist, bleibt unklar. Alle Seiten schieben sich die Schuld dafür zu. Im politischen Kiew ist Russland der Schuldige. Präsident Petro Poroschenko ließ über seine Pressestelle mitteilen, er beglückwünsche die "tapferen Soldaten der Ukraine, die heldenhaft jeden Zentimeter des Flughafens in Donezk verteidigen". Dabei stehen sich auf dem Gelände Truppen gegenüber, die sich auf einem Trümmerfeld beschießen. Der erst 2012 eröffnete Großflughafen ist eine Ruine, alle Gebäude, der Tower und die Landebahnen sind zerstört, doch die Gegner feuern weiter aufeinander.
Präsident Poroschenko bat aber erneut auch Bundeskanzlerin Angela Merkel um Hilfe. In einem Telefonat habe der ukrainische Staatschef darum gebeten, Berlin solle alle seine Möglichkeiten einsetzen, um auf die russische Führung Einfluss zu gewinnen, hieß es.
Insider sagen, mit dem Kampf um den Flughafen solle von einer Truppenneuaufstellung in der Ostukraine abgelenkt werden. Offiziell befinden sich 7500 bis 8500 russische Soldaten auf dem Gebiet der Ostukraine. Ein Mitarbeiter der US-Botschaft in Kiew sagte dem Tagesspiegel, man schließe nicht mehr aus, dass die Kämpfe dort wieder voll ausbrechen. Zwei Termine seien in den nächsten Wochen entscheidend: das Weltwirtschaftstreffen in Davos und die Sicherheitskonferenz in München. Sollte es der internationalen Gemeinschaft dort nicht gelingen, neue Impulse für einen Friedensplan für die Ostukraine auf den Weg zu bringen, könnte es Ende Februar wieder zu offenen Kämpfen im Donbass kommen.
Die jungen Leute sind kriegsmüde
Doch in der Ukraine sind vor allem die jungen, gutausgebildeten Menschen kriegsmüde. Dmitri ist 24 Jahre und arbeitet als Programmierer in Odessa. In dieser Woche besucht er Familienmitglieder in Kiew, den Besuch hat er auch dazu genutzt, um vor dem Parlament sein Missfallen an der Politik der ukrainischen Regierung zum Ausdruck zu bringen. Mit einem Plakat mit dem Slogan: „Ihr Lügner tötet mein Land, die Ukraine“, steht der junge Mann vor dem Parlament. Er fordert eine konsequente Reformpolitik und ein Ende des Krieges im Osten. In der Rada liefern sich die Abgeordneten derweil eine Auseinandersetzung mit Verteidigungsminister Poltorak. Er will keine Details zur neuen Truppenstationierung in der Ostukraine verraten: „Das sind Staatsgeheimnisse“, sagte der Minister.