Beschluss der Bundesregierung: Mindestlohn soll 2020 auf 9,35 Euro steigen
Finanzminister Olaf Scholz hält jedoch zwölf Euro für angemessen. Die Statistiker melden: Ein Fünftel der Deutschen ist nach wie vor von Armut gefährdet.
Die zuletzt ordentlichen Tarifabschlüsse wirken sich aus: Die Bundesregierung beschloss am Mittwoch, den Mindestlohn 2019 um fast vier Prozent anzuheben und für das Jahr 2020 nochmals um 1,7 Prozent. Damit steigt der garantierte Stundenlohn, den Arbeitgeber zahlen müssen, von derzeit 8,84 Euro auf 9,19 Euro im kommenden Jahr. 2020 sollen es dann 9,35 Euro sein. Erhöhungen des Mindestlohns, der 2015 auf Druck der SPD eingeführt worden war, werden von einer unabhängigen Kommission empfohlen, in der Arbeitgeber und Gewerkschaften vertreten sind. Das Bundeskabinett billigte nun die Empfehlung vom Juni, die sich wiederum an den Tarifabschlüssen orientiert.
Bundesfinanzminister OIaf Scholz (SPD) hält das Niveau allerdings für zu gering und bekräftigte seine Forderung, einen Mindestlohn von zwölf Euro zu zahlen. Diese Höhe wäre angemessen, schrieb er in der „Bild“-Zeitung. Im Arbeitgeberlager sorgt das für Unmut. „Löhne dürfen nicht in willkürlicher Höhe von Politikern festgesetzt, sondern müssen von Unternehmen erwirtschaftet werden - dieses Basiswissen sollte die Politik nicht ignorieren“, sagte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arbeitgeberverbände. Es sei „irritierend“, dass der Vizekanzler die von einer großen Koalition beschlossenen Spielregeln öffentlich infrage stelle.Der FDP-Politiker Johannes Vogel nannte Scholz einen "Befehlsgeber der Mindestlohnkommission".
DGB: Mindestlohn bringt Wachstum
Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes fördert der Mindestlohn das Wirtschaftswachstum um einen Viertelprozentpunkt, indem er zu höherem privaten Konsum führt. Ärmere geben in aller Regel Lohnzuwächse in Gänze aus. Das führt auch in der Summe zu etwas höheren Staatseinnahmen. Auf dem Kabinettstisch lagen auch die Berichte zum Existenzminimum und zur Steuerprogression. An ihnen orientiert sich die regelmäßige Erhöhung des steuerfreien Einkommens, also des Grundfreibetrags und des Kinderfreibetrags, und die Anpassung des Steuertarifs an die Inflation. Der Grundfreibetrag steigt demnach im kommenden Jahr um 168 auf 9168 Euro und im Jahr darauf um weitere 240 Euro. Der Kinderfreibetrag liegt 2020 dann bei 5172 Euro, derzeit sind es 4788 Euro. Nach dem Progressionsbericht sind etwa 32 Millionen Steuerpflichtige von dem Phänomen der kalten Progression betroffen, die entsteht, wenn die Steuerbelastung nicht an die Inflation und damit an die reale Kaufkraft angepasst wird. Dann ergibt sich eine faktische Höherbelastung von Steuerpflichtigen, die keine oder nur Einkommenszuwächse unterhalb der Preissteigerung haben. Die Wirkung der kalten Progression liegt 2018 im Durchschnitt bei 104 Euro. Entsprechend soll der Steuertarif angepasst werden.
Entlastung schon vorweggenommen
Im Finanzministerium weist man darauf hin, dass die Koalition mit dem Familienentlastungsgesetz vom August dies zum Teil schon vorweggenommen habe. Da die Inflationserwartungen zudem im Frühjahr, als das Gesetz auf den Weg gebracht wurde, höher waren als zuletzt, würden die Steuerzahler sogar etwas stärker entlastet. Zu den Entlastungen gehört auch die Senkung des Beitrags zur Krankenversicherung (durch den nunmehr wieder eingeführten Arbeitgeberanteil) und zur Arbeitslosenversicherung. Dem steht der um 0,5 Prozentpunkte höhere Beitrag zur Pflegeversicherung entgegen. Laut Finanzministerium liegt damit die Gesamtentlastung eines kinderlosen Ehepaares mit einem gemeinsamen Einkommen von etwa 66000 Euro 2019 bei 419 Euro im Jahr, 2020 dann bei 588 Euro. Ein Paar mit zwei Kindern käme bei diesem Familieneinkommen auf eine Entlastung von 545 Euro im kommenden Jahr und 838 Euro im Jahr darauf. Eine Alleinerziehende, die gut 40000 Euro verdient, wird im ersten Schritt um 319 Euro, im zweiten um 482 Euro entlastet.
Mindestlohn und Entlastung ändern allerdings wenig daran, dass immer noch nahezu ein Fünftel der Bevölkerung von Armut gefährdet ist. Die Zahl für 2017 hat das Statistische Bundesamt mitgeteilt. Die Quote von 19 Prozent lag etwas niedriger als 2016 (19,7 Prozent). Armutsgefährdung bedeutet nicht, dass dieses Fünftel tatsächlich insgesamt in Armut lebte, also staatliche Unterstützungsgelder bekam. Als gefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Das gilt in Deutschland für 16 Prozent der Bevölkerung. Darin enthalten sind gut drei Prozent der Haushalte, denen das Geld fehlt, um alle Rechnungen bezahlen zu können, etwa für Miete und Heizung – es sind gut drei Prozent der Bevölkerung. Dazu kommen Haushalte mit einer sehr geringen Erwerbsbeteiligung. Insgesamt sind 16 Millionen Deutsche von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.