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Ein Tornado der Bundeswehr in Incirlik.
© Bundeswehr/Falk Bärwald/dpa

Wehrbeauftragter zum Türkei-Streit: "Militärisch wäre es am besten, in Incirlik zu bleiben"

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) im Interview über die schwierige Mission in der Türkei, den Einsatz des Militärs im Innern – und die kleinste Bundeswehr aller Zeiten.

Herr Bartels, sind die auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationierten deutschen Soldaten sicher?

Sie sind auf dem Stützpunkt sehr sicher. Ob sie dort gut aufgehoben sind, ist eine andere Frage.

Warum?

Die Situation in der Region ist extrem angespannt, denken Sie an das Eingreifen türkischer Bodentruppen auf syrischem Territorium oder die Terrorangriffe des sogenannten „Islamischen Staates“ auch in diesem Teil der Türkei. Der Zugang zum Stützpunkt läuft im Moment nur noch über den Luftweg, keiner darf die Base durchs Tor verlassen. Die Verhältnisse dort sind außerdem für viele unserer Soldaten ziemlich beengt, weil die USA ihre Kräfte auf dem Stützpunkt massiv verstärkt haben.

Dazu verbietet die Türkei auch noch Besuche von Abgeordneten. Die Verteidigungsministerin will an Incirlik festhalten – und sogar zusätzlich Awacs-Aufklärungsflugzeuge für den Anti-IS-Einsatz in die Türkei schicken. Ist das verantwortbar?

Ich erwarte nicht, dass der Bundestag den neuen Einsatz unter allen Umständen durchwinken wird. Nicht zuletzt das türkische Besuchsverbot für Abgeordnete bei unserer Parlamentsarmee schafft eine politisch sehr heikle Situation. Wir werden sehen, ob der für Anfang Oktober geplante Besuch von Mitgliedern des Verteidigungsausschusses in Incirlik stattfinden kann.

Und wenn Ankara bei seiner Obstruktionspolitik bleibt? Müssen wir die Soldaten dann abziehen?

Das ist eine politische Entscheidung größerer Tragweite. Die wäre zu treffen, wenn man weiß, was geht und was nicht. Rein militärisch wäre es gewiss am besten, in Incirlik bleiben zu können.

Wenn wir den Blick weiten: Vor welchen Herausforderungen sehen Sie die Bundeswehr in den kommenden Jahren?

Wir haben eine völlig veränderte strategische Lage. Die russische Annexion der Krim im Jahr 2014 markiert einen Epochenwechsel, mit dem die Ära nach dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 jetzt in eine neue, ungewisse Zeit übergegangen ist. Bis dahin herrschte in Europa die Überzeugung vor, die Grenzen des Kontinents seien sicher und Konflikte würden auf dem Weg von Verhandlungen, Kompromissen und Verträgen gelöst. Die meisten Staaten haben ihr Militär drastisch reduziert. Zugleich trat 2014 der „Islamische Staat“ auf den Plan. Zum ersten Mal in der Geschichte eroberte und kontrollierte eine moderne Terrororganisation ein riesiges Territorium.

Was bedeutet das konkret für die deutsche Verteidigungspolitik und die Bundeswehr?

Weil die Nato auf das aggressive Ausgreifen Russlands im Osten Europas reagieren muss, hat die Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung auch für Deutschland wieder einen neuen Stellenwert. Damit hatte bis vor wenigen Jahren niemand gerechnet. Allein 5300 deutsche Soldaten werden dieses Jahr für die „Nato Response Force“ in ständiger Bereitschaft gehalten. Außerdem unterstützen wir auch direkt unsere Partner in Osteuropa, die sich angesichts der Entwicklungen in Russland und der Ukraine zurecht Sorgen um ihre Sicherheit machen.

Ist die Belastung für die Bundeswehr seit dem Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan denn nicht erheblich geringer?

Vom Umfang her ist die Einsatzbelastung der Bundeswehr außerhalb des Nato-Bündnisgebiets, „out of area“, wie es früher hieß, geringer geworden. Das ist richtig. Insgesamt hatten wir mal bis zu 11.000 Soldaten weltweit im Einsatz, nun sind es um die 3000. Viele der aktuellen Einsätze haben mit islamistischem Terror zu tun. Dazu kamen die neuen Nato-Verpflichtungen. Und zeitweise auch die Flüchtlingshilfe.

Was folgt daraus?

Alle Bundesregierungen nach 1990, egal ob Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder Schwarz-Rot, verfolgten eine Verteidigungspolitik, die darauf hinauslief, die Bundeswehr immer weiter zu reduzieren und immer weniger Geld für sie auszugeben. Die Friedensdividende war enorm. Jetzt findet eine Trendwende statt. Es gibt riesige Lücken im Personalkörper. Die 185.000 Bundeswehrsoldaten, die auf dem Papier stehen, gibt es ja in Wirklichkeit gar nicht.

Dieses Phänomen müssen Sie uns erklären…

Im Juni, also vor zwei Monaten, hatten wir die kleinste Bundeswehr aller Zeiten. Da meldete das Verteidigungsministerium eine Stärke von 167.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten, inklusive Freiwillig Wehrdienstleistende. Praktisch bedeutet das: Es gibt sowieso zu wenig Dienstposten für die Aufgaben, die die Bundeswehr leisten muss – und diese Dienstposten sind nicht einmal alle besetzt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will nun in den nächsten sieben Jahren 7000 zusätzliche Stellen für Soldaten schaffen. Weil die Bundeswehr im Moment aber allein bei Zeit- und Berufssoldaten 3000 unter dem Soll liegt, muss sie insgesamt 10.000 neue Freiwillige zusätzlich einstellen. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, denn die Zahl der jungen Menschen in Deutschland wird ja auch nicht größer, sondern kleiner.

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) beim Truppenbesuch - begleitet vom Kommandeur der Marineschule Mürwik, Flottillenadmiral Carsten Stawitzki (l.), und dem Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause.
Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) beim Truppenbesuch - begleitet vom Kommandeur der Marineschule Mürwik, Flottillenadmiral Carsten Stawitzki (l.), und dem Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause.
© picture alliance / dpa

Die Verteidigungsministerin entdeckt aber ständig neue Aufgaben für die Bundeswehr, neue Einsätze im Ausland, Einsatz im Innern, dazu Flüchtlingshilfe und Flüchtlingsausbildung. Überfordert sie die Bundeswehr?

Deutschland kann sich seiner Verantwortung in Europa nicht entziehen. Dafür muss die Bundeswehr gestärkt werden. Und zwar jetzt. Die Diskussion um den sogenannten Einsatz im Innern ist allerdings eine Scheindebatte. Das Grundgesetz regelt die Befugnisse der Bundeswehr im Inneren in vier Artikeln ziemlich klar. Außerdem hat das Verfassungsgericht 2012 darüber entschieden, welche Amtshilfeaufgaben die Bundeswehr nach Artikel 35 in besonderen Gefahrenlagen übernehmen kann, auch bei extremen Terrorlagen. Käme es zum inneren Notstand, kann die Bundeswehr laut Grundgesetz zum Objektschutz und zur Verkehrslenkung herangezogen werden, und sie kann auch Waffen einsetzen, wenn die Polizei der organisierten Gewalt nicht mehr Herr wird. Das ist alles Gott sei Dank sehr hypothetisch, aber geregelt. Wir brauchen deshalb keine Verfassungsänderung.

Ist es sinnvoll, für den Fall besonderer Herausforderungen gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr abzuhalten?

Das ist sehr sinnvoll. Sicherheit entsteht nicht durch Debatten über die Änderung des Grundgesetzes, sondern zum Beispiel dadurch, dass Polizei und Bundeswehr gemeinsam üben, besondere Herausforderungen so zu bewältigen, wie das Grundgesetz es vorsieht.

Einige Unionspolitiker wollen angesichts der Terrorbedrohung sogar die Wehrpflicht wieder einzuführen…

Ich sehe dafür sicherheitspolitisch zur Zeit überhaupt keine Notwendigkeit. Die Bundeswehr verfügt auch gar nicht mehr über die Strukturen, Hunderttausende von Rekruten jedes Jahr neu auszubilden. Ihr fehlt es dafür schlicht an allem: Personal, Material und Platz. Allerdings ist die Wehrpflicht ja nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Sollte sich die Lage dramatisch ändern, ähnlich wie zu Zeiten des Kalten Krieges, könnte sie wieder aufleben. Doch davon sind wir weit entfernt. Die Welt um uns herum hat sich zwar verändert, aber eine konkrete territoriale Bedrohung für Deutschland zum Beispiel gibt es nicht.

Wie viel Geld braucht die Bundeswehr, um mit gutem Material für ihre Aufgaben gerüstet zu sein?

Die Ministerin hat ein 130-Milliarden- Programm für die nächsten 15 Jahre angekündigt. Um das tatsächlich zu erreichen, muss der Etat für Rüstungsinvestitionen jedes Jahr zwei bis drei Milliarden Euro über der heutigen Finanzlinie liegen. Das sehe ich im kommenden Haushalt noch nicht. Meiner Meinung nach sollte das größte Plus nicht am Ende stehen, 2030, sondern am Anfang. Sonst bleibt es zu lange bei hohlen Strukturen.

Als Wehrbeauftragter sind die direkter Ansprechpartner für die Soldatinnen und Soldaten. Welche Probleme gibt es ganz konkret im Alltag?

Ein großes Problem ist: Für Pendler, die keinen Anspruch auf Trennungsgeld haben, gibt es keine Unterkünfte mehr. Das betrifft über 20.000 Soldatinnen und Soldaten. Nur ein Bruchteil von ihnen kann in der Kaserne schlafen. Die Bundeswehr hat viel zu viel Infrastruktur abgegeben. Viele können sich heute eine zweite Wohnung am Standort aber schlicht nicht leisten. Deshalb: Jeder Soldat sollte Anspruch auf ein Bett in der Kaserne haben.

Das dürfte viel Geld kosten…

Die Bauerei hat schon in der Vergangenheit viel Geld gekostet. Nur war das am Ende oft verbranntes Geld, weil da Kasernen gebaut oder saniert wurden, in die keiner mehr einzog, als sie fertig waren.

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