Nach Festnahme von "El Chapo": Mexiko droht neue Welle der Gewalt
Mexikos ranghoher Drogenboss Joaquín "El Chapo" Guzmán wurde zwar gefasst. Doch seine Verhaftung könnte für viele einflussreiche Mexikaner unbequem werden. Es ist wahrscheinlich der Beginn neuer Gewalt.
Ein Staatsfeind liegt in Ketten, ein Symbol für das Böse ist gefallen. Gefreut haben sich vor allem die USA, die die Nachricht von der Festnahme des Drogenbosses Joaquín "El Chapo" Guzmán als Erste verkündeten. Die Mexikaner hingegen waren merkwürdig blass. Präsident Enrique Peña Nieto bestätigte seinen bisher größten Erfolg in der Sicherheitspolitik nur per Twitter; die Pressekonferenz mit abschließender kurzer Präsentation des Gefangenen dauerte keine fünf Minuten und lag in den Händen des Generalstaatsanwaltes.
Was auf den ersten Blick verwundern mag, leuchtet auf den zweiten Blick ein: keiner weiß, ob und was Guzmán reden wird, und seine Aussagen könnten für sehr viele sehr einflussreiche Menschen in Mexiko und anderswo unbequem werden. Zu seinen Geschäftspartnern in Kolumbien gehörten beispielsweise Verwandte von Ex-Präsident Alvaro Uribe.
Klug, skrupellos und misstrauisch
"Viele wollen ihm an den Kragen, aber noch mehr schützen ihn", heißt es in einem berühmten Narco-Corrido über Guzmán. Denn er war nicht nur klug, skrupellos und misstrauisch, sondern vor allem verstand er es, Verbündete zu gewinnen und den mexikanischen Staat mittels Korruption völlig zu unterlaufen. Sein Geschäftsmodell hat letztlich gezeigt, wie schwach und zahnlos ein Staat ist, der von den Bürgern als illegitim und repressiv empfunden wird.
Guzmán wurde groß in Zeiten der "perfekten Diktatur", wie Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa die bis zum Jahr 2000 andauernde Einparteienherrschaft einmal genannt hat, in einer bitterarmen, von der Regierung vergessenen Region. Dort haben die Kartelle eine Parallelherrschaft aufgebaut. Die Politik duldete das – gegen entsprechende "Zahlungen"- bis der konservative Präsident Felipe Calderón 2006 zum Drogenkrieg blies und in einen Wespenhaufen stach. In den 90er Jahren gab es in Mexiko fünf große Kartelle, heutzutage sind es über 80 kriminelle Organisationen.
Beginn neuer Gewalt
Ähnlich wie einst in Kolumbien, als Pablo Escobar erschossen wurde, ist Guzmáns Festnahme daher nicht das Ende des Drogenkriegs, sondern der Beginn neuer Gewalt. Sein Milliardenimperium wird zerfallen wie das Escobars, seine Statthalter und immer jüngere, immer brutalere Nachfolger werden sich um die Überreste bekriegen. Glaubt man den Medienberichten, steht sein Nachfolger schon fest: Dámaso López alias “El Mini Licenciado”, ein junger, smarter Geschäftsmann und Sohn eines einflussreichen Politikers und Sicherheitsexperten. Dass der Name schon in der Presse stand zeigt: Guzmáns Stern war am Sinken, seine Festnahme eine Frage der Zeit. Das Drogengeschäft ist gnadenlos und umstritten: Schon 2012 verbündeten sich drei kleinere Mafiagruppen gegen den 56jährigen, um ihn in seiner Hochburg Sinaloa zu attackierten. In den vergangenen Monaten bröckelte sein einst unfehlbarer Sicherheitsapparat. Fahnder nahmen wichtige Mittelsmänner des Kartells fest.
Guzmán ist bereits der dritte ranghohe Drogenboss nach den Chefs der Zetas und des Golfkartells, der innerhalb weniger Monate fällt. Wenn der Staat die Chance zu nutzen weiß, kann er verlorenes Terrain zurückerobern wie es in Kolumbien gelungen ist. Die Zeit der großen Kartelle mit einer Macht, die staatsbedrohlich werden kann, scheint nun auch in Mexiko zu Ende. Die Gewalt wird lokaler und versprengter. Und der Drogenhandel mit seinen riesigen Gewinnspannen wird munter weitergehen.
Sandra Weiss
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