Global Solutions 2018: Merkels Plädoyer für globale Zusammenarbeit
Der Multilateralismus sei "sehr in der Krise", sagt die Bundeskanzlerin bei der Konferenz Global Solutions. Dennnoch ist er für Angela Merkel alternativlos.
Das Problem ist, dass Angela Merkel das Problem genau kennt; nur ist eine Lösung zu finden so ungeheuer schwer. Das Problem hat Tagungspräsident Dennis Snower klar umrissen, als er am Montag den Global Solutions Summit in Berlin eröffnet: Die G20, zu deren Satellitenorganisationen die Global Solutions Initiative gehört, sind in einer Welt der Widersprüche eigentlich ein ideales Gremium – bloß sehen das sehr viele Menschen völlig anders.
Dabei stehen die regelmäßigen Treffen der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer wie kaum ein anderes Format für den Willen, globale Probleme multilateral und im Gespräch zu lösen, statt die Welt den blanken ökonomischen Machtverhältnisse zu überlassen. Aus der Finanzkrise geboren, beschäftigen sich die G20 längst mit sozialen, ökologischen und Entwicklungsfragen. Vertreter der Dritten Welt, von Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft sind ständige Gäste.
G20 ist ein Prozess geworden, der kluge Köpfe aus aller Welt immer wieder bei Treffen wie dem Berliner Gipfel zusammenbringt.
Und doch stand G20 für viele Bürger auch lange vor den Krawallen von Hamburg nicht für die Lösung, sondern für das Übel. Das Unbehagen an der rasenden Globalisierung findet an den Mega-Gipfeln der Staats- und Regierungschefs einen simplen Angriffspunkt.
Diskrete Sympathie bei normalen Bürgern
Die meisten verurteilen die Gewalt junger Autonomer. Aber über Millionenkosten für Gipfel-Events erregt sich fast jeder. Obendrein stößt die Erzählung der G-20-Gegner, dass in ihren Camps und Demonstrationen ein Kampf gegen die Globalisierung stattfinde, selbst bei normalen Bürgern auf diskrete Sympathie.
Dem Multilateralismus hingegen, sagt Snower, im Hauptberuf Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, fehlt eine positive Erzählung. Stattdessen gewinnen selbst innerhalb der G-20-Gruppe Nationalisten vom „America first“- und „Ungarn den Ungarn“-Typus an Boden, die mit dem Märchenbild vom heimeligen Idyll hinter streng bewachten Grenzzäunen locken. „Was die G20 brauchen, ist ein menschliches Gesicht“, fasst der Ökonom zusammen.
Angela Merkel ist Stargast im früheren Staatsratsgebäude
Merkel, wie gesagt, ist das Problem bewusst – schließlich ist sie nach Donald-Trump-Wahl, Brexit und anderen Katastrophen schon von manchen zu diesem Gesicht ausgerufen worden. Der multilaterale Ansatz sei „sehr in der Krise“, konzediert die Kanzlerin am Nachmittag bei ihrem Auftritt als Stargast im früheren Staatsratsgebäude, das heute Sitz der Europäischen Schule für Management und Technologie ist. Protektionismus fordere das Prinzip heraus, „um es sehr zurückhaltend zu sagen“. Den Trend zu Alleingängen und dazu, bereits gefundene Lösungen international nicht mehr zu unterstützen, nennt die Regierungschefin „besorgniserregend“. Schließlich seien die Regelwerke und weltweiten Organisationen der Nachkriegszeit die Lehre aus zwei Weltkriegen gewesen mit dem Ziel, den Frieden zu erhalten. Also: „Um so wichtiger bleiben die G20.“
Die Kanzlerin verteidigt den Hamburger Gipfel
Denn das schlechte Image der Organisation, deren Vorsitz Deutschland gerade an Argentinien übergibt, will Merkel nicht einfach so stehen lassen. Der Hamburger Gipfel habe durchaus Ergebnisse gebracht – von einer Verständigung gegen Überkapazitäten auf dem Stahlmarkt bis dazu, dass außer den USA alle 19 anderen die Pariser Klimaziele weiter unterstützen wollten. Als Positivbeispiel für internationale Zusammenarbeit wertet sie auch die Milleniumsziele der Vereinten Nationen – tatsächlich sei es ja gelungen, die extreme Armut auf der Welt so gut wie zu beseitigen, vor allem dank des Aufschwungs in Asien.
Aber das bedeute dann eben auch: „Ob sich eine große Volkswirtschaft wie China an das Regelwerk hält, hat eine ungeheure Bedeutung.“ Und da helfe eben nichts als immer wieder deutlich zu machen, dass es im globalen wie im wohlverstandenen Interesse jeder Nation liege, wenn Standards für Arbeitnehmer und die Umwelt, für Fairness und Zusammenarbeit eingehalten würden.
Man müsse reden - aber ohne Drohungen
Das Publikum applaudiert; hier sind solche Sätze unstrittig. BBC-Moderator Evan Davis will es aber doch etwas genauer wissen. Zum Beispiel, was denn nun sei mit Drohungen und Gegendrohungen im Stahl-Zollstreit zwischen EU und USA? Merkel bleibt bei ihrer Linie: Man müsse reden, allerdings nicht „unter dem Damoklesschwert“. Und ja, die EU hat für den Fall der Fälle Vergeltung angedroht – allerdings nicht per Twitter, sondern hinterlegt bei der Welthandelsorganisation (WHO), wie es die Regel ist.
Davis hakt noch an einem zweiten Punkt nach: Ob sie sich eigentlich erklären könne, woher es komme, dass die Menschen sich von den multinationalen Ansätzen, von G20 bis EU, abwendeten? Vielleicht, sinniert Merkel, gebe es so eine Art doppelte Zeitenwende: Die Generation, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch erlebt habe, trete ab, die Nachfahren empfänden den Frieden als selbstverständlich. Zugleich erlebten immer mehr Menschen rasante Umbrüche. Da erscheine dann das Tischtuch schnell zu kurz, und jeder versuche erst mal an seiner Ecke zu ziehen.
Große Lösungen brauchen globale Zusammenarbeit
Dass nach einigem Gezerre allen auffällt, dass das Tuch nicht größer wird, sondern zu reißen droht, ist die Hoffnung der mecklenburgischen Hausfrau. Ja, hat sie in ihrer Rede gesagt, multilaterale Ansätze sind oft langsam und auf den kleinen gemeinsamen Nenner ausgerichtet, internationale Organisationen zu schwach. Aber was denn die Alternative sei? Selbst große Länder könnten nicht mehr alleine agieren. „Wirkliche Lösungen brauchen globale Zusammenarbeit.“
Ja, sagt sie, „zermürbend“ sei das manchmal. Nichts, was sich für einfache Lösungen eigne. Auch nichts für „Stimmenfang“. Aber „die Globalisierung findet statt und betrifft unser aller Leben“. Die Frage laute nur, ob man sich von diesem Prozess treiben lassen oder ihn mitgestalten wolle. Das Problem, mit anderen Worten, besteht weiter. Und auch die „mächtigste Frau der Welt“, wie eine amerikanische Studentin sie in der Fragerunde nennt, hat keine durchschlagende Antwort. Am präzisesten und zugleich einfachsten hat es vielleicht Ronnie Chan analysiert, Immobilientycoon aus Hongkong. Nationalisten und Populisten zielten auf die Gefühle der Menschen, gab der 69jährige in der Auftaktrunde der Konferenz zu bedenken. Multilateralismus sei dagegen bisher nur eine Sache des Verstandes.
Die Frage nach ihrer Zukunft belächelt sie nachsichtig
Merkel steht für eine Politik mit dem Kopf wie kaum jemand; sie steht dafür, mit ihren Worten immer wieder Überzeugungsarbeit zu leisten für „Einsicht in die Notwendigkeit des Interessenausgleichs“. Der Moderator will noch wissen, wie lange sie sich das antun will? Merkel lächelt nachsichtig über den Versuch. Sie habe für vier Jahr zugesagt: „Mehr ist da heute nicht zu holen.“