zum Hauptinhalt

Wahl in Niedersachsen: Merkels Mac zieht in den Kampf

Eigentlich ist es einfach: McAllister braucht die Liberalen unbedingt, sonst kann die CDU in Niedersachsen nicht weiterregieren. Aber wie kriegt man die FDP am Sonntag in den Landtag? Eine dringliche Frage. Schließlich geht es auch um die Zukunft von Schwarz-Gelb in Berlin.

Mit der Bescheidenheit haben sie’s in der Niedersachsen-CDU neuerdings nicht mehr ganz so dringlich. Dabei haben sie das doch zwei Jahre lang geübt, das Stille, das Unauffällige, den höflich-dienenden Umgang mit dem Wähler; und er, David McAllister, er ganz besonders hat sich zurückgenommen bis fast ins Wachsfigurenhafte. Aber wer am Montagabend in der hereinbrechenden Dunkelheit durch das Hildesheimer Gewerbegebiet Nord fährt auf der Suche nach der Halle 39, vorbei an dem Puff mit dem verrutschten „Welcome“ über der Tür, neben dem taucht er plötzlich an der Ampel auf – überlebensgroß von der Plakatwand lächelnd, die Hände einladend ausgebreitet: „Der Richtige.“ Für einen, der vor einer Zitterpartie steht, ist das ein recht großer Auftritt.

Am Sonntag wählt Niedersachsen den neuen Landtag. Einigermaßen sicher lässt sich nur vorhersagen, dass es knapp wird. Sicher ist hingegen, dass es je nachdem, wer hinterher die Nase vorn hat, für die anderen verdammt eng werden kann. Die erste Landtagswahl im Bundestagwahljahr ist eine Testwahl, auch wenn etliche Betroffene das leugnen. Aber der Urnengang hat das Zeug zu noch sehr viel mehr als einem ersten Kräftemessen. Hier kann manche Zukunft enden.

In der Halle 39 ist, was dies angeht, die Stimmung freilich entspannt. Die hohe Halle mit Flaschenzügen an der Decke war ursprünglich ein Flugzeughangar. Inzwischen treten hier mittelbekannte Kabarettisten auf oder die Chippendales, eine Männertruppe, die mit entblößten Muskelpaketen Frauen mittleren Alters zum Kreischen bringt. Hildesheim ist auf seine Weise typisch für Niedersachsen, soweit etwas überhaupt typisch sein kann für dieses weite Patchwork-Land, das vom schwarzen Emsland bis zum roten Kalirevier von Salzgitter reicht, von der Nordsee und den Hamburger Pendlerbezirken bis zum Weserbergland. Hildesheim liegt da irgendwie im Mittelfeld: vor tausend Jahren mal wichtig, wovon einige grandiose Kirchen zeugen, im Krieg bombardiert, der Rest zur „autogerechten Stadt“ betoniert, heute ein bisschen Tourismus, ein bisschen Mittelstand und rundherum viel Gegend. Auch politisch repräsentiert das Städtchen die Gesamtlage: „Mal haben wir gewonnen, mal die anderen“, sagt ein örtlicher CDU-Funktionär.

Diesmal also sollen es wieder sie sein. In der Halle warten gut 2000 Fans auf den Hauptakt des Abends, lassen bis dahin eine Rockband namens „Die Allerwertesten“ über sich ergehen und schwenken auf Kommando übungshalber runde Tafeln mit der Aufschrift „I’M A MAC“.

McAllister hat das Bekenntnis auf Pappe aus dem US-Wahlkampf importiert. Den hat er sich angeschaut, als er der junge Kerl hinter Christian Wulff war – Generalsekretär, Fraktionschef, Landesparteivorsitzender, kurz: Erbfolger. Jung ist er immer noch, gerade 42 geworden. Das Erbe hat er seit zwei Jahren. Wulff kommt in seiner Rede aber nur einmal kurz vor, wie ein CDU-Ministerpräsident aus fernerer Vergangenheit.

Im Wahlkampf spielt Wulff generell keine Rolle; nicht mal die Konkurrenz hackt auf dem vielfach Gescheiterten rum. Das war nicht immer absehbar. Aber McAllister hat einen brutalen Schnitt zwischen sich und dem politischen Ziehvater gezogen. Seither malt er noch eifriger als früher das Selbstbild vom einfachen Jung, der gesellschaftliche Verlockungen der Landeshauptstadt meidet und keinen schöneren Urlaub weiß als im Strandkorb vor Cuxhaven.

Die Spottlust vom Zügel lassen

In der Halle 39 lässt er andere diese Geschichte erzählen. Auf der Leinwand erscheinen normale Bürger in einer Fußgängerzone vor der CDU-Kamera, wie sie „Der is’n Mensch wie Sie und ich“ sagen oder ihn als „volksnah“, „bescheiden“ und „nett“ preisen. Bevor es ganz peinlich wird, wird ein kleines Türkenmädchen eingeblendet: „Er sieht gut aus ... also, für sein Alter ... find’ ich.“ Der Saal kichert – wie süß!

Außerdem: Sogar der Teenie mit Migrationshintergrund kennt den Ministerpräsidenten. Beim Herausforderer wäre das nicht sicher. Auf der ersten SPD-Plakatstaffel dieses kurzen Winterwahlkampfs, der ja erst nach Neujahr überhaupt losging, sah man infolgedessen immer zwei Gesichter: Eins gehörte dem örtlichen SPD-Kandidaten oder der -Kandidatin – den oder die kannte jeder. Das andere gehörte dem Spitzenkandidaten, der sich huckepack dem Wahlvolk vorstellte: Gestatten, Stephan Weil, bisher Oberbürgermeister von Hannover.

McAllister tut nichts dafür, die Bekanntheit des Konkurrenten zu steigern. „Dieser Herr ...“, fast wäre ihm der Name rausgerutscht in seiner Rede, aber er kriegt knapp die Kurve. Gern und oft erwähnt wird bei der CDU hingegen ein anderer Sozialdemokrat, auch ein Spitzenkandidat. In Hildesheim übernimmt den Part Lokalmatador Eckard von Klaeden. Peer Steinbrück, erinnert der Staatsminister im Kanzleramt das Publikum, sei ja von der SPD just an diesem Tag für einen Nachmittagstee bei einer einfachen Wählerfamilie vermittelt worden, privat und ohne Kameras. Klaeden grinst bübisch: „Sie suchen Freiwillige, die die Tür aufmachen, wenn er klingelt!“

Der Saal kichert. Es wirkt schadenfroh. Steinbrück ist ihr bester Wahlkämpfer. Wenn es um den Holterdiepolter-Kandidaten von der SPD geht, lässt McAllister sogar kurz seine alte Spottlust vom Zügel, die er sich im Sinne der Verlandesvaterung eigentlich abtrainiert hatte: „Es geht ums Dienen, nicht ums Verdienen!“

Man sollte vielleicht schon mal vermerken, dass an dieser Stelle Angela Merkel da oben auf dem Podium mitklatscht. Aber bevor die Kanzlerin zu Wort und an die Reihe kommt, muss erst noch an den Dritten erinnert werden, der in McAllisters Reden nicht auftaucht. Auch den hat er einmal einen Freund genannt, damals, als Philipp Rösler Fraktionschef war wie er und Hoffnungsträger gleichermaßen.

Inzwischen lautet die einschlägige Passage zum liberalen Koalitionspartner in McAllisters Rede: „Die niedersächsische FDP wird den Sprung in den niedersächsischen Landtag schaffen.“ Die beiden „niedersächsisch“ betont er sozusagen doppelt dick unterstrichen. Es gibt zwei Sorten FDP, soll das heißen: die hier, die Guten mit ihrem netten Spitzenkandidaten Stefan Birkner, und die anderen, die Zwei-Prozent-Bundessplitterpartei mit ihrem unglückseligen Bundesvorsitzenden. Diese Sicht scheinen ja übrigens selbst FDP-Anhänger zu teilen. Die Schizophrenie geht so weit, dass Rösler bei seinen zahlreichen Auftritten hier immer noch ein wenig wie der frühere Landesliebling behandelt wird und nicht wie der zum Dreinhauen freigegebene Boxsack, der der Bundes-Rösler längst ist.

Womit wir langsam bei der Kampflage wären, so, wie sie sich heute darstellt. Sie ist eigentlich einfach, aber im Detail doch recht kompliziert. Einfach ist, dass David McAllister unbedingt die FDP wieder im Landtag braucht, weil sonst wohl keiner da ist, mit dem er weiter regieren könnte.

Kompliziert ist, wie man diese FDP da reinkriegt. Vor Weihnachten sahen die Umfragen derart übel aus, dass McAllister erwägen musste, den Koalitionspartner verloren zu geben und auf eine absolute Mehrheit hinzukämpfen. Wohl war ihm dabei nicht. Sicher, die Niedersachsen-CDU ist einer der letzten intakten Landesverbände. Auch die Konstellation ist günstig. Die landeseigene Linke hat ihren Ruf als Linkssektierer derart gepflegt, dass sie vermutlich aus dem Landtag fliegt. Die Piraten sind praktisch unsichtbar. Direkt vor ihrem Hildesheimer Hauptquartier hängt ein Plakat der Freien Wähler. Die Antwort der Internet rebellen baumelt darunter: Ein schmaler Pappstreifen mit dem höflichen Vorschlag „... oder Piraten wählen“.

Ältere Damen kreischen

Trotzdem muss McAllister ein Stein vom Herz gefallen sein, als die Umfragen für die FDP zuletzt nach oben zeigten. Seither versucht er eine verschämte Zweitstimmenkampagne: hier ein Satz über CDU-Wähler, die eventuell erwägen, den kleinen Partner über die Fünf-Prozent-Hürde zu stupsen; dort ein überraschender Gastauftritt auf dem freidemokratischen Landesparteitag.

Als die Matadore in die Halle 39 einziehen, kreischen ältere Damen auf. Die Begeisterung gilt dem Hauptakt des Abends. „Begrüßen Sie den Besten und die Beste“, ruft die Modatorin. „Ich bin gerne Merkels Mac“, wird McAllister hinterher rufen. Anders als der Vorgänger hat der Mann, den Merkel gern einmal zu ihrem Generalsekretär gemacht hätte, sein Heil nicht im Stänkern gegen Berlin gesucht. Jetzt will er die Ernte einfahren, ein Stück vom Glanz der Kanzlerin.

Und Angela Merkel hängt sich in den Wahkampf rein, als ginge es um sie selbst. Geht es ja auch. Das hier kann das Ende des Kandidaten Steinbrück werden oder das Ende des FDP-Vorsitzenden Rösler, aber genauso gut ein Menetekel für die nächsten Monate: die traurige Geschichte von einer CDU, die mit Kandidaten und Prozenten alle Charts stürmt und trotzdem zusehen muss, wie eine 30-Prozent-Sozialdemokratie die Macht abstaubt, weil die FDP nicht liefert. Oder weil, zum Beispiel, Steinbrück die SPD- Wähler gleich derart frustriert, dass die aus Wut die Linken wählen.

Es gibt durchaus Leute in der CDU, die sich solche Sorgen machen. Es gibt andere, die sich fragen, ob ein inhaltsarmer Personenwahlkampf wirklich reicht. McAllister lässt Zweifel nicht erkennen. Zu schön ist das Bild, das die Umfragekurven zeichnen: von klarem Rot-Grün zu beinahe Kopf an Kopf. Zu schön die Vorstellung, dass das quasi naturgesetzlich so weitergeht. „Wir haben den Blinker gesetzt“, ruft McAllister in den Saal, „wir sind ausgeschert auf die Überholspur!“ Dagegen die im rot-grünen Modell: „Die sind müde, die sind kaputt!“

Er sagt das gleich zu Anfang. Der Saal jubelt. Dann redet McAllister weiter, die Standardrede halt, Niedersachsen voran, alles prima. Irgendwann ruft einer von hinten, dass er aufhören soll: „Wir woll’n Merkel hör’n!“ Dass das eine „Richtungswahl“ sei, dass man die CDU „so stark wie möglich machen“ müsse – schon recht, aber ist der Sieg nicht sowieso unser? Kopf-an-Kopf-Rennen, Zitterpartie, jede Stimme zählt? Kein Wort davon.

Wer an diesem Abend die Halle 39 verlässt, wird freundliche Bilder vor Augen behalten. Wie Angela Merkel, die sonst so Distanzierte, sich umstandslos von Merkels Mac in den Arm nehmen lässt. Und wie sie zum Schluss, zum Wahlkampfsong, als Kinder auf die Bühne kommen und der Innenminister Tanzschritte vollführt, plötzlich sachte anfängt mitzuklatschen. „Bist du eine linke Sprotte, leg dich niemals mit uns an, unser Häuptling ist ein Schotte ...“, singen die „Allerwertesten“. Vom Band quäkt ein Dudelsack dazu. Merkel wiegt sich leicht im Rhythmus. Über die Bühne wabert künstlicher Nebel, durch den Saal wabert ein wohliges Gefühl. Hochmut, hat McAllister vorhin gewarnt, kommt vor dem Fall. Er hat aber nur die SPD gemeint.

Zur Startseite