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Auf der Computermesse CeBit begutachtet Merkel ein Handy mit Bundesadler. Dass ihr eigenes abgehört werden könnte, hatte sie sicher nicht vermutet.
© dpa

Abgehört durch die NSA?: Merkels Handy wird zur Staatsaffäre

Der Bundesanwalt prüft die Vorwürfe, die NSA habe das Handy der Kanzlerin abgehört. Westerwelle bestellte unterdessen den US-Botschafter ein. Merkel findet: "Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht".

Berlin/Brüssel - In den Fall um das mutmaßlich vom US-Geheimdienst NSA ausspionierte Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben sich jetzt Deutschlands oberste Strafverfolger eingeschaltet. Wie ein Sprecher des Generalbundesanwalts in Karlsruhe am Donnerstag mitteilte, wurde mit Bekanntwerden der Vorwürfe ein „Beobachtungsvorgang“ angelegt. Die Bundesanwaltschaft möchte von den zuständigen Bundesbehörden über deren Kenntnisse zu dem Fall informiert werden. Hintergrund sind mögliche Ermittlungen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Die Affäre belastet das Verhältnis zu den USA immer stärker.

Außenminister Guido Westerwelle bestellte am Donnerstag US-Botschafter John B. Emerson ein, um ihm deutlich die Position der Bundesregierung zu übermitteln, wie eine Sprecherin sagte. Neben dem zwischen verbündeten Staaten ungewöhnlichen diplomatischen Akt kam in Berlin zugleich das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium zu einer Sondersitzung zusammen. Dort informierte Kanzleramtschef Ronald Pofalla über den Spionagevorwurf. „Sollte sich das bewahrheiten, wäre dies ein schwerwiegender Vertrauensbruch und völlig inakzeptabel“, sagte Pofalla im Anschluss. Zu den Details wollte sich niemand äußern. Allerdings hieß es aus Teilnehmerkreisen, der Vorgang sei dem Kanzleramt seit einer Woche bekannt, nachdem der „Spiegel“ es mit seinen Recherchen konfrontierte. Daraufhin wurde die Prüfung veranlasst. Auslöser soll ein Dokument sein, auf dem eine Handynummer Merkels zu finden ist, sowie weitere Daten im Zusammenhang mit der Nummer. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) bestätigte dem Tagesspiegel, dass es diese Unterlagen geprüft und für schlüssig befunden habe. Um welches Handy der Kanzlerin es sich handelt, wollte der BSI- Sprecher nicht sagen. Er verwies lediglich darauf, dass die neuesten abhörsicheren Handys erst im März vorgestellt und im September vom BSI zugelassen wurden. Über welchen Zeitraum Merkel möglicherweise ausgespäht wurde, sei unklar.

Die Spähaktionen wurden kurzfristig auch zum Thema des EU-Gipfels. „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“, sagte die Kanzlerin bei ihrer Ankunft in Brüssel: „Dabei geht es nicht vordergründig um mich, sondern um alle Bürgerinnen und Bürger Deutschlands.“ Nun müsse das Vertrauen im transatlantischen Bündnis erst wieder neu hergestellt werden. „Das ist kein Arbeiten auf gleicher Augenhöhe.“ Pariser Diplomaten zufolge will der französische Staatschef François Hollande in einem bilateralen Treffen mit Merkel die gemeinsame Reaktion besprechen. Am Montag hatte die Zeitung „Le Monde“ unter Berufung auf den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowdon enthüllt, dass die NSA in nur einem Monat 70,3 Millionen Telefonate in Frankreich mitgehört und Personen des öffentlichen Lebens überwacht habe. Das Weiße Haus bestreitet die Vorwürfe.

Einem Bericht der britischen Zeitung „The Guardian“ zufolge überwachte die NSA in der Vergangenheit die Kommunikation von 35 internationalen Spitzenpolitikern. Die Telefonnummern hätten die Spione von einem Beamten der US-Regierung erhalten, schrieb die Zeitung am Donnerstag in seiner Onlineausgabe. Die SPD stellte als Konsequenz der jüngsten Enthüllungen die Verhandlungen von EU und USA über ein Freihandelsabkommen infrage. EU-Parlamentschef Martin Schulz verlangte, die Gespräche auszusetzen. „Ich glaube schon, dass wir jetzt mal unterbrechen müssen“, sagte der SPD-Politiker. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte in Berlin, das geplante Abkommen bis zur Klärung der Überwachungsvorwürfe zurückzustellen.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Markus Kerber, forderte dagegen „eine zügige Fortsetzung der Verhandlungen“. Immerhin könne das Abkommen 100 000 Arbeitsplätze schaffen. Der US-Gesandte James Melville sagte, die Vorwürfe dürften nicht als Vorwand dienen, die Wirtschaftsgespräche aufzuschieben.

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