zum Hauptinhalt
Vereint in Trauer - hier ein Bild vom Schauplatz des Anschlags nahe der Blauen Moschee in Istanbul, wo zwölf deutsche Touristen starben.
© Peer Kneffel/ dpa
Update

Erste deutsch-türkische Regierungskonsultationen: Merkel und Davutoglu sprechen über Flüchtlinge, Terror - und Geld

In der Flüchtlingskrise sind Deutschland und die EU auf die Türkei angewiesen. Die Türkei will mehr Geld. An diesem Freitag ist die halbe Regierung aus Ankara in Berlin.

Es war die Bundeskanzlerin selbst, die das neue politische Format zwischen Ankara und Berlin begründete. Nach dem Terroranschlag von Istanbul gebe es nun "umso mehr Gründe", die ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen am heutigen Freitag in Berlin durchzuführen, sagte Angela Merkel am Wochenende in ihrem Videopodcast. Neben dem Kampf gegen den Terror des "Islamischen Staates" dürfte die Flüchtlingskrise ein weiteres zentrales Thema bei dem schon seit Längerem geplanten Treffen sein.

Nach wie vor bis zu 3000 Flüchtlinge täglich

Ende November hatte sich die Türkei in ihrer Abmachung mit der EU verpflichtet, mehr gegen die Massenabwanderung syrischer Flüchtlinge aus ihrem Territorium nach Europa zu unternehmen. Bisher ist die Zahl der aus der Türkei in Griechenland ankommenden Flüchtlinge allerdings eher wegen des schlechten Winterwetters gesunken als aufgrund türkischer Gegenmaßnahmen. Die derzeitige Zahl von 2000 bis 3000 Menschen, die jeden Tag auf griechischen Inseln anlanden, sei viel zu hoch, kritisierte die EU kürzlich.

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu wird in Berlin auf die verstärkten Kontrollen der türkischen Sicherheitsbehörden entlang der Ägäis-Küste verweisen. Dort werden nach Angaben aus Ankara jeden Tag rund 500 Flüchtlinge aufgegriffen und an der Überfahrt nach Griechenland gehindert. In den kommenden Monaten soll die Türkei zudem im Rahmen eines Abkommens mit der Europäischen Union viele Flüchtlinge aus Europa zurücknehmen. Experten bezweifeln allerdings, dass dieses Abkommen so umgesetzt werden kann, wie Merkel und die EU sich das wünschen.

Potenziell wichtiger sind aber Integrationsmaßnahmen für die mehr als zwei Millionen Syrer im Land, um ihnen Anreize für einen Verbleib in der Türkei zu geben. So will Davutoglu künftig Arbeitsgenehmigungen an Syrer ausgeben. Zudem wird der Bau von Schulen für die Flüchtlinge intensiviert. "Es bewegt sich etwas", lobt die Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Michelle Müntefering (SPD).

Ankara erwartet mehr Geld

Das Angebot der EU an die Türkei besteht aus einem finanziellen und einem politischen Teil – und beide Punkte sind umstritten. Mit drei Milliarden Euro will Brüssel die Bemühungen Ankaras um eine Eindämmung des Flüchtlingsstroms unterstützen. Allerdings ist sich die EU intern noch uneins, wie das Geld aufgebracht werden soll. Die türkische Regierung steht zudem auf dem Standpunkt, dass die drei Milliarden keine Einmalzahlung sein sollten, sondern der Anfang von regelmäßigen Überweisungen. Schließlich hat Ankara die Kosten für die Versorgung der Syrer bisher allein geschultert und dafür in den vergangenen Jahren rund acht Milliarden Dollar ausgegeben.

„Wir betteln nicht um Geld von der EU“, sagte Ministerpräsident Davutoglu der Deutschen Presse-Agentur. „Aber wenn es einen ernsthaften Willen gibt, die Last zu teilen, dann müssen wir uns hinsetzen und über alle Einzelheiten der Krise sprechen.“ Er fügte hinzu: "Drei Milliarden Euro sind nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen.“

Bei der militärischen "Schutzzone" in Syrien will Berlin nicht mitmachen

Über die Finanzhilfe hinaus verspricht die EU der Türkei neue Fortschritte im festgefahrenen Beitrittsprozess sowie Erleichterungen für türkische Staatsbürger bei Reisen nach Europa. Beide Seiten sind sich aber nicht einig, was aus diesen Zusagen folgt. Für Merkel und andere Türkei-Skeptiker in der EU bedeutet die in Aussicht gestellte Beschleunigung der Beitrittsgespräche nicht, dass Ankara mit einer baldigen Aufnahme in den Club der europäischen Demokratien rechnen kann. Derzeit sind insbesondere die Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Klagen über ein rücksichtsloses Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Kurden in der Türkei problematisch. Dagegen spricht Davutoglu von einer neuen Ära in den türkisch-europäischen Beziehungen.

Grundsätzlich bleibt es dabei, dass die EU die Mitarbeit der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise braucht. Ankara ist also in einer relativ starken Position. Die türkische Regierung droht hin und wieder damit, die zugesagte Rücknahme von Flüchtlingen zu stornieren. Erdogan, bereits im Oktober zu erkennen gegeben, dass man Flüchtlinge, die nach Europa weiterwollten, nicht mit Gewalt daran hindern werde: Man rechne zwar damit, dass die meisten Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat bleiben wollten. Wer anders entscheide, habe das Recht dazu. Dies sei "eine Frage der Menschenrechte".

Merkel will auch über Kurden sprechen

Allerdings ist auch die Türkei an einer guten Zusammenarbeit mit der EU interessiert. Das betrifft weniger die Beitrittsfrage, die nach Meinung von Beobachtern für Davutoglu und Präsident Recep Tayyip Erdogan angesichts der Vision von der Türkei als eigenständiger Regionalmacht keine hohe Priorität mehr besitzt. Dagegen braucht die türkische Regierung insbesondere mit Blick auf den Syrien-Konflikt dringend Verbündete, etwa bei der Durchsetzung der von Ankara seit Langem geplanten "Schutzzone" im Norden Syriens. Bisher hat sich die Bundesregierung diesem Vorschlag konsequent verweigert. Merkels Begründung: Eine Schutzzone erfülle ihren Zweck nur, wenn sie auch militärisch gesichert werde. Eigene Soldaten in einen Bodeneinsatz in das Bürgerkriegsland schicken will sie aber ebenso wenig wie die meisten anderen westlichen Staaten.

Kritik, wonach Deutschland dem Partner nun wegen der Abhängigkeit in der Flüchtlingsfrage einen "Menschenrechtsrabatt" zubillige, weist die Bundesregierung zurück. Merkel hatte am Wochenende angekündigt, bei den Konsultationen sollten auch die Pressefreiheit und der Umgang mit den Kurden zur Sprache kommen. Es sei selbstverständlich das Recht der Türkei, auch gegen terroristische Aktivitäten der PKK vorzugehen. Aber die Auseinandersetzung müsse verhältnismäßig geführt werden.

Die an der FU lehrende Konfliktforscherin und Kurdistan-Spezialistin Gülistan Gürbey hält Gespräche über den Konflikt im Südosten für "zwingend erforderlich", auch im Interesse der Europäer selbst. Dem Tagesspiegel sagte sie: "Für eine nachhaltige Zusammenarbeit braucht es eine stabile, liberale und rechtsstaatliche Türkei."

Zur Startseite