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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
© AFP/Bernd Lauter

Worauf wartet die Kanzlerin noch?: Merkel sollte die CDU unterstützen – jetzt, sofort

Es ist Unsinn, dass eine scheidende Kanzlerin keinen Wahlkampf machen kann. Schließlich geht es doch um die Partei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wie kann sie nur? Wie kann Angela Merkel nur so geradezu stoisch zusehen, dass ihre Christlich-Demokratische Union gegen den Niedergang kämpft? Als hätte das nicht auch mit ihr zu tun. Oder sogar besonders mit ihr.

Was Deutschland alles braucht! Modernisierung an Haupt und Gliedern, will sagen: in der Infrastruktur, dazu Digitalisierung und gesellschaftliche Vitalisierung. Ja, die auch. Und das alles nach 16 Jahren Merkel als Kanzlerin. Für die CDU. Kaum zu glauben, nicht zu fassen.

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Aber wann immer jemand in aller Öffentlichkeit zu fundamentaler Kritik gegen die CDU ausholt, wie jetzt wieder Rezo – von einer ist nichts dazu oder dagegen zu hören: Merkel.

Dabei war sie ja nicht nur ewig lange Bundeskanzlerin, am Ende wahrscheinlich noch länger als Helmut Kohl – sie war dazu vorher noch Ministerin, für Frauen und Familien, für Umwelt, herausragend wichtige Themen. Und sie war sehr lange CDU-Bundesvorsitzende. Auch nicht zu vergessen: CDU-Generalsekretärin – früher gleichbedeutend mit Chefprogrammatikerin – war Merkel außerdem noch.

Politik als Labor - so ist sie

Also wer heute den Zustand der Politik und der Gesellschaft beklagt, ist bei Merkel genau an der richtigen Adresse. Na ja: wäre. Denn es ist schon faszinierend, dass die Mehrheit in diesem Land ihr diese Distanz zu sich selbst und zum eigenen Wirken durchgehen lässt. Merkel wirkt halt so. Ja, wie? So – überlegt, ruhig, kundig. Als trüge sie einen weißen Kittel. Politik als Labor. Damit sediert sie Ängste. Was offenkundig sehr willkommen ist. Merkel ist immer noch der Vertrauensanker der Deutschen, und das mit weitem Abstand.

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Was daraus folgt? Verantwortung. Und zwar mannigfacher Hinsicht: für das, was kommt in Deutschland. Für das, was war, oder eben alles nicht war. Für das, was wird mit der CDU, noch Deutschlands großer Volkspartei.

Dass Annegret Kramp-Karrenbauer keine Chance mehr hatte als CDU-Chefin nach Merkel – das hat auch, nicht zuletzt, mit Merkel zu tun. Denn AKK hat ja nicht nur Fehler gemacht. Sie hat den Niedergang der CDU aufhalten wollen; hat sich deshalb Merkel aufgedrängt als Generalsekretärin; hat die Vergangenheit aufgearbeitet, vor allem die Flüchtlingskrise. Und dann tatsächlich selbst Kanzlerin werden wollen. AKK hat es gewagt, Politik und Wirken anders zu verstehen. Das war zu viel. Oder so: Merkel wurde es zu viel. Der Rest ist Geschichte.

Erst die Partei hat sie dahin gebracht, wo sie heute ist

Jetzt Armin Laschet, der nächste CDU-Vorsitzende. Kanzlerkandidat. Es ist doch Unsinn, dass eine scheidende Kanzlerin keinen Wahlkampf mehr machen kann oder sollte, weil die Zukunft nicht mehr ihre ist. Das ist nicht mal ein Hilfsargument.

Es ist vielmehr eine frappante Geringschätzung dessen, was unsere parlamentarische Demokratie am Leben erhält: Parteien. Die organisieren die Beteiligung am staatlichen Geschehen, stellen die allermeisten Volksvertreter, die in Fraktionen dann die Kanzler wählen. In Merkels Fall ist das die Union, voran ihre CDU. Die hat ihren sagenhaften Aufstieg erst möglich gemacht, sie dorthin gebracht, wo sie jetzt ist. Der Arbeit der Vielen verdankt sie das, nicht nur sich selbst. Ohne Partei wird keiner Kanzler; das merkt Laschet gerade.

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Schon gar, nachdem der Partei in den Merkel-Jahren so viel abhanden gekommen ist. Konservativ, sozial, liberal – was die CDU einmal war, ist bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen. „Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“, einst vieldiskutiertes Leitmotiv, ist als Attraktion längst verblasst.

Wer weiß schon, woran Merkel glaubt. Und dann schaut sie zu, wie die CDU dem Abgrund entgegen geht. Ihr Dank für die Treue in diesem Wahlkampf? Jetzt der Besuch im Flutgebiet, davor Bemerkungen zu Rot-Rot-Grün. Deren Wirkung müsste ihr zeigen, wie sie ihrer Partei helfen könnte. Wie sie ihr etwas zurückgeben könnte. Worauf wartet Angela Merkel noch?

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