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Angela Merkel mit ihrer Entlassungsurkunde.
© Jens Schlueter, AFP

Demokratie in Deutschland: Merkel, Schäuble, Laschet – im Abgang waren sie ganz groß

Macht kommt, Macht geht. Wer sich an sie klammert, beschädigt die Demokratie. Wer loslassen kann, verdient Respekt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Vielleicht sind dies Zeiten, in denen Dinge, die an sich klein und selbstverständlich sind, groß und wundersam wirken. Drei Menschen traten am Dienstag ab. Sie erlebten eine Zäsur in ihrem Leben, in ihrer Karriere. Wie sie es taten, verrät viel über sie, unser Gemeinwesen und den Zustand der Demokratie in Deutschland.

Erste Szene. Angela Merkel erhält in Schloss Bellevue von Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungsurkunde. Sie nimmt das Dokument, geht zurück auf ihren Stuhl und setzt sich. Erst nach einem Wink des Bundespräsidenten fällt der soeben entlassenen Bundeskanzlerin ihr Lapsus auf. Sie steht auf, geht zurück und präsentiert sich und die Urkunde den Fotografen. Dazu lächelt sie ihr Merkel-Lächeln. Still, bescheiden, fast ein wenig scheu. Am Morgen hatte sie im Bundestag auf der Zuschauertribüne Platz genommen. Eine Ära geht zu Ende, die mehr noch als durch Worte durch Gesten geprägt war.

Laschet sah sich als künftigen Bundeskanzler

Zweite Szene. Wolfgang Schäuble hält seine letzte Rede als Parlamentspräsident. Er ermahnt die neuen Abgeordneten, sich nicht als Vertreter ihrer eigenen Interessenverbände oder Berufsgruppen zu verstehen, sondern als die des ganzen Volkes. Die Juristin müsse sich mit Fragen der Landwirtschaft vertraut machen, der Handwerksmeister Entscheidungen über eine Pflegereform treffen. Schäuble warnt vor dem Glauben, das Parlament müsse exakt so zusammengesetzt sein wie die Gesellschaft. Repräsentativität sei nicht gleich Repräsentation. Es folgen lange anhaltende stehende Ovationen. „Bringen Sie mich bitte nicht zu sehr in Rührung“, sagt der 79-Jährige sichtlich gerührt.

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Dritte Szene. Am Montag hatte Armin Laschet, der Unglückselige, beim Landtagspräsidenten von Nordrhein-Westfalen seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklärt. An diesem Mittwoch soll er in einer Sondersitzung offiziell verabschiedet werden. Dann ist er einfacher Bundestagsabgeordneter. Vor vier Wochen sah er sich noch als künftigen Bundeskanzler. Seine Niederlage bei der Bundestagswahl hat er ohne Wenn und Aber akzeptiert. Er hat die alleinige Verantwortung für das Ergebnis übernommen, alle Mitschuld-Zuweisungen vermieden.

Der globale Trend weist ins Autokratische

Es sind drei Abgänge, die Respekt einflößen. Zumal in einer Zeit, in der demokratische Normen erodieren. Man blicke in die USA, wo ein Präsident zum Sturm auf den Kongress aufrief, nach Ungarn, nach Polen, nach Brasilien, nach Indien.

Seit 2004 erstellt die Bertelsmann-Stiftung alle zwei Jahre den sogenannten Transformationsindex. Er gibt Aufschluss über die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsführung in 137 Staaten. Im vergangenen Jahr war er auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebung. Ob Gewaltenteilung oder Pressefreiheit, Demonstrationsrechte oder politische Polarisierung: Der globale Trend weist ins Autokratische.

Merkel, Schäuble, Laschet: Die Art ihrer Abgänge sollte Norm sein, weder zu Dankbarkeit Anlass geben noch zu Lob. Aber vielleicht sind dies Zeiten, in denen Dinge, die an sich klein und selbstverständlich sind, groß und wundersam wirken.

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