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Die Bundeskanzlerin bei ihrer Rede vor den britischen Parlamentariern.
© reuters
Update

Besuch in London: Merkel gegen grundlegende EU-Reform

Vor einem Jahr verlangte der britische Premier David Cameron eine grundlegende EU-Reform – doch die Kanzlerin macht dabei nicht mit.

In einer historischen Rede im britischen Parlament hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Briten aufgefordert, bei den bevorstehenden Reformen in Europa als starker Partner mitzuwirken. So solle sichergestellt werden, dass die EU auch im 21. Jahrhundert ihre „Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsversprechen halten kann“, sagte Merkel am Donnerstag in ihrer mit Spannung erwarteten Rede vor beiden Häusern des Parlaments.

Merkel wurde in London mit großen Erwartungen empfangen. Außenminister William Hague hatte Deutschland als wichtigsten Partner, gar „Sympathisanten“ für die EU-Reformprojekte von Premier David Cameron beschrieben. Doch Merkel sicherte sich gleich zu Beginn ihrer Rede geschickt nach allen Seiten ab: Sie werde den Weg für eine grundlegende Erneuerung der europäischen Architektur, wie Cameron sie den Briten verspricht, nicht ebnen, erklärte die Kanzlerin. Anderseits werde sie die Reformwünsche des britischen Regierungschefs nicht völlig abschmettern, fügte sie hinzu.

Merkels Antwort auf Camerons Europa-Rede von 2013

Merkels Rede war dann aber ganz der Möglichkeit grundsätzlicher Reformen in Europa gewidmet. Konkrete Versprechungen an die Adresse der Briten blieben aber aus. Die Ansprache war gewissermaßen Merkels Antwort auf die Europa-Rede Camerons im Januar 2013. Damals hatte der Premierminister einen Umbau des europäischen Hauses gefordert und ein anschließendes britisches Referendum über die EU in Aussicht gestellt. Camerons Rede löste in zahlreichen anderen EU-Ländern zunächst Unverständnis und Ablehnung aus, weil der britische Regierungschef offenbar eine Beschneidung der Brüsseler Kompetenzen im Auge hat. „Stillstand kann schnell zu Rückschritt werden“, sagte Merkel nun im britischen Parlament.

Merkel sprach auch die Freizügigkeit innerhalb der EU an, die bei den Briten besonders kontrovers geführt wird. Die „vier Grundfreiheiten des gemeinsamen Marktes“ gehörten zusammen, erklärte die Kanzlerin. Dazu gehöre auch die Niederlassungsfreiheit. Allerdings müsse man „Fehlentwicklungen“ berücksichtigen, um die Unterstützung der Bürger zu erhalten.

„Wenn Ihr Volk nicht seine Existenz aufs Spiel gesetzt hätte.“

Die Briten dürften sich in diesem Punkt besonders angesprochen fühlen: Nach am Donnerstag veröffentlichten neuen Zahlen des nationalen Statistikamts ONS ist die Nettoeinwanderung 2013 in Großbritannien um über 30 Prozent auf 212.000 Personen angestiegen. Verantwortlich für diese Zunahme ist die seit einem Jahr steigende Zuwanderung aus südeuropäischen Ländern wie Spanien, Portugal, Griechenland und Italien. Die neuen Zahlen machen auch das erklärte politische Ziel Camerons zunichte, die Einwanderung auf unter 100 000 Personen pro Jahr zu senken.

Seit Willy Brandt im Jahr 1970 wurde keinem deutschen Bundeskanzler die Ehre zuteil, vor beiden Häusern des britischen Parlaments zu sprechen. Merkel zitierte aus einer Rede des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der 1986 im gleichen Saal erklärte, Großbritannien müsse seine europäische Berufung nicht beweisen. „Was wäre aus Europa geworden“, sagte sie nun angesichts der kriegerischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, „wenn Ihr Volk nicht seine Existenz aufs Spiel gesetzt hätte.“

Matthias Thibaut

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