Europa und die USA: "Mein dringender Rat an deutsche Außenpolitiker: Wartet nicht, bietet eure Ideen jetzt an"
Wie könnte die US-Außenpolitik 2021 aussehen? Was passiert, wenn Biden, was wenn Trump gewinnt? Ein Gespräch mit der Brookings-Expertin Constanze Stelzenmüller.
Constanze Stelzenmüller ist Senior Fellow an der Brookings Institution in Washington D.C. Wir haben mit ihr über eine Analyse gesprochen, die in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Internationale Politik" erschienen ist. Dieses Interview war auch in "Twenty/Twenty" zu lesen, unserem Newsletter zur US-Wahl, der jeden Donnerstag erscheint. Anmeldung hier: tagesspiegel.de/twentytwenty.
Frau Stelzenmüller, Sie haben analysiert, wie es knapp vier Monate vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl um die verschiedenen außenpolitischen Schulen in den USA steht – und Szenarien entworfen, wie es danach weitergehen könnte. Welche Schulen haben die Trump-Regierung überhaupt überlebt?
Fangen wir mit der republikanischen Seite an. Die klassischen republikanischen Denkschulen – die Internationalisten, die Neokonservativen und die Realisten – sind heute marginalisiert. Stark sind jetzt die Nahost-Falken, die China-Falken und die Nationalkonservativen. Die Nahost-Falken sehen den gesamten Mittleren Osten durch das Prisma der Feindschaft zwischen dem Iran und Israel. Sie wollen das iranische Regime in die Knie zwingen und ordnen dem alles andere unter. Die China-Falken glauben, dass Amerika in der Vergangenheit viel zu viel Energie auf diesen Konflikt verschwendet hat. Die eigentliche Gefahr für die amerikanische Vormachtstellung sehen sie in China; diesem neuen Konflikt sei alles andere unterzuordnen. Aber auch die Nationalkonservativen sind eine ernstzunehmende Gruppe, die von Außenminister Pompeo angeführt wird. Der ist, anders als er häufig beschrieben wird, keineswegs ein reiner Opportunist, sondern hat eine klare, ideologische Weltsicht.
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Für den Fall, dass Trump doch gewinnt, würde das nationalkonservative Lager weiter Einfluss ausüben?
Dieser Schule ist in Washington lange nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Trump’sche Außenpolitik wurde entweder entlang der Linien klassischer amerikanischer Werthaltungen und Interessen analysiert oder auf persönliche Konflikte oder Beziehungen des Präsidenten mit anderen Staatschefs reduziert — ob mit Angela Merkel oder Wladimir Putin.
Welche außenpolitischen Haltungen oder Entscheidungen der Trump-Regierung würden Sie konkret den Einflüssen dieser Schule zuschreiben?
Zum Beispiel die scharfe Ablehnung der EU. Aus Sicht der Nationalkonservativen ist die EU ein diabolisches Imperium, das die Souveränität der Nationalstaaten untergräbt — und letztlich nur ein Konstrukt, das deutsche Hegemonialbestrebungen verschleiern soll.
Und bei den Demokraten, welche Schulen sind da derzeit prägend?
Die Demokraten müssen große Differenzen im eigenen Lager überbrücken und gleichzeitig möglichst viele republikanische Wähler an sich binden. Und: Mit Außenpolitik gewinnt man keinen amerikanischen Wahlkampf. Aus allen diesen Gründen fehlt es den Demokraten bei diesem Thema an Tiefenschärfe. Aber man kann zwischen Restaurierern und Erneuerern unterscheiden. Die Restaurierer sind die alte Garde, die schon unter Barack Obama oder sogar Bill Clinton gedient hat: Sie wollen die Uhr auf vor 2016 zurückdrehen. Die Erneuerer sagen, Moment, die Welt hat sich unter Trump verändert, darauf müssen wir uns einstellen.
Nehmen wir an, Biden gewinnt. Wer würde sich durchsetzen, die Erneuerer oder die Restaurierer?
Zuerst einmal würden die Konflikte zwischen den beiden Lagern sehr viel deutlicher werden. Dabei haben die Restaurierer die Erfahrung und das Machtwissen auf ihrer Seite. Die Reformer — die vielfach zunächst für „progressive“ Kandidaten wie Pete Buttigieg, Elizabeth Warren und Bernie Sanders gearbeitet haben, fühlen sich aber im Aufwind. Den Sieg Trumps über Hillary Clinton sehen sie auch als ein Scheitern der älteren Generation von Demokraten. Und sie fühlen sich durch die landesweiten Proteste gegen Trump ermächtigt. Sie fordern zum Beispiel eine klarere Kante gegen autoritäre Regime. Mein Brookings-Kollege Tom Wright hat kürzlich geschrieben: Biden mag als Restaurierer gewählt werden, er wird als Reformer regieren müssen. Besonders China legt ein aggressives, autoritäres Verhalten an den Tag – und eben nicht nur innerhalb der Region und nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft des Westens, sondern zunehmend in Amerika und in Europa. Das erfordert eine Neuausrichtung auch der demokratischen Außenpolitik.
Biden hat gerade seine Wirtschaftsagenda vorgestellt. Viele Kommentatoren haben sie als „national-ökonomisch“ bezeichnet. Biden schlägt unter anderem vor, „Buy American“-Programme zu stärken. Welche Richtung lesen Sie darin?
Das ist zunächst einmal eine Geste in Richtung progressives Lager, aber auch eine Konsequenz aus dem Verhalten Chinas. Sie erfordert, dass strategisch wichtige Güter vor Angriffen geschützt werden müssen. Das ist mittlerweile auch in Europa konsensfähig, man schaue nur auf die Industriepolitik von Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Kritisch wird es, wenn das in protektionistische Handelsbarrieren umschlägt, die Europäer und Amerikaner gegeneinander errichten – und die dann von China oder Russland ausgenutzt werden.
Es gibt in Teilen einen großen außenpolitischen Konsens zwischen den politischen Lagern – Sie erwähnen in Ihrem Text das Quincy Institute, gegründet von so unwahrscheinlichen Verbündeten wie dem Liberalen George Soros und dem Ultrakonservativen Charles Koch. Was verbindet sie?
Das Quincy Institute hat einen zentralen Nerv getroffen: das in beiden Lagern verbreitete Gefühl der strategischen Erschöpfung und Überdehnung, verbunden mit der Überzeugung, dass Amerika sich zurückziehen muss, um sich zu regenerieren und seine Vormachtstellung in einem neuen Systemkonflikt verteidigen zu können. Die Quincy-Leute können sich allerdings mit dem Verlust der Dominanz abfinden — anders als ein Donald Trump oder die China-Falken. Aber auch in der Forderung der China-Falken nach voller Konzentration auf Peking steckt ja ein Eingeständnis: dass Amerika nicht mehr die Kraft hat, sich an mehreren Schauplätzen gleichzeitig zu behaupten.
Was heißt das für Europa?
Das Eingeständnis der strategischen Überdehnung macht Verbündete um so wichtiger. Alliierte sind nicht länger ein „Nice to Have“ oder legitimierendes Dekor für Interventionen. Amerika braucht ihre Ressourcen tatsächlich. Deshalb ist es aus Perspektive der US-Konservativen so wichtig, dass die Verbündeten jetzt auch spuren – das sehen wir zum Beispiel in dem Druck, den die USA ausüben, um ihre Alliierten dazu zu bewegen, Huawei vom Ausbau ihrer 5G-Netze auszuschließen.
In Deutschland gibt es eine Tendenz zu sagen: Wir müssen unsere Transatlantik-Politik völlig neu aufstellen, weil es auch unter Joe Biden keine Rückkehr in alte Zeiten geben würde. Wie sehen Sie das?
Es stimmt, dass es kein Zurück gibt. Und eine Biden-Administration wird innen- und außenpolitisch um Größenordnungen mehr zu reparieren haben als Barack Obama. Aber gerade deshalb wird diese Regierung auf Europa als Partner angewiesen sein – und gleichzeitig sehr viel offener sein für europäische Ideen. Europa wiederum fehlen die Ressourcen — und wenn wir ehrlich sind, die innere Einheit — für eine eigenständige Außenpolitik. Europäische Regierungen sollten deshalb nicht abwarten, mit welchen Anfragen eine mögliche Biden-Regierung nach der Findungsphase dann irgendwann 2021 auf sie zukommt. Mein dringender Rat an deutsche und europäische Außenpolitiker ist, schon jetzt Ideen und Konzepte anzubieten — in Form von programmatischen Texten, auch in amerikanischen Medien. Sie werden sicher mit großem Interesse gelesen.
Interview: Anna Sauerbrey