Die AfD in Berlin: Mehrere Direktmandate für die Rechtspopulisten
Die AfD erreicht aus dem Stand ein zweistelliges Ergebnis und kann sich sogar über mehrere Direktmandate freuen. Doch in der neuen Fraktion drohen Konflikte.
Er reißt die Arme hoch, strahlt ins Blitzlichtgewitter: Als um kurz nach 18 Uhr die ersten Prognosen verkündet werden, will Spitzenkandidat Georg Pazderski keinen Zweifel daran lassen, dass auch zwölf Prozent für die AfD ein Erfolg sind. Doch so mancher hier im Ratskeller Charlottenburg dürfte mehr erwartet haben. Noch kurz zuvor hatten sich ältere Herren mit Einstecktuch die Hände gerieben, es wurden blaue Sonnenbrillen verteilt. Jetzt heißt es neutral, „in einer Stadt wie Berlin aus dem Stand“ ein zweistelliges Ergebnis einzufahren, damit könne man ja nur zufrieden sein. Erst später am Abend tritt dann das Erhoffte ein: die Hochrechnungen gehen noch einmal stark nach oben.
Umstrittener Direktkandidat
Das hat vor allem mit den langsam eintreffenden Ergebnissen aus dem Osten Berlins zu tun. Denn dort holt die Alternative für Deutschland mehrere Direktmandate: zwei in Marzahn, jeweils einen in Treptow-Köpenick, Pankow und Lichtenberg. Aber auch in Reinickendorf und Spandau gelang dies. Schon im Vorfeld war in der AfD heftig über mögliche Direktmandate dort spekuliert worden. Tatsächlich schafft dann als Erster am Abend der Lichtenberger Kay Nerstheimer den Coup. Er gewinnt das Direktmandat im Wahlkreis Lichtenberg 1. Ausgerechnet er: Nerstheimer ist auch in der AfD keine unumstrittene Figur. Im Internet trat er 2012 als Berliner Chef der „German Defence League“ auf, die vom Bremer Verfassungsschutz als rechtsextremistisch und islamfeindlich eingestuft wird. Nerstheimer kündigte damals an, die Organisation zur Miliz ausbauen zu wollen. Bei der AfD prüft man gegen ihn ein Ordnungsverfahren – allerdings keinen Parteiausschluss.
Die gewonnenen Direktmandate haben Einfluss auf die Zusammensetzung der neuen AfD-Fraktion. Bisher war man davon ausgegangen, dass rechtskonservative und eher moderate Kräfte sich dort ungefähr die Waage halten. Die Berliner AfD gilt als außergewöhnlich heterogen. Befürchtet wird daher, dass sich ein „Baden-Württemberg-Effekt“ einstellen könnte: der schnelle Zerfall der neuen Fraktion.
Ganz auf Provokationen verzichten wollte man nicht
Im Wahlkampf hatte die Berliner AfD mögliche Konflikte weitgehend überspielen können. Dies allerdings um den Preis eines auffällig unauffälligen Wahlkampfs. Offenbar hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man auch im Schlafwagen ins Abgeordnetenhaus kommen kann. Wie schon in Mecklenburg-Vorpommern hatte die Partei krawallige Auftritte weitgehend vermieden. Auf öffentliche Veranstaltungen oder Kundgebungen verzichtete die Partei sogar komplett. Pazderski, so heißt es, habe keine Risiken eingehen wollen – weil die Partei sonst mit Gegendemonstrationen hätte rechnen müssen. Manche im Landesverband hielten dieses Argument für vorgeschoben, beklagten, dass der Landesvorstand mehr hätte tun können.
Pazderski - der "Law and Order"-Mann
Ganz auf Provokationen verzichten wollte die AfD dennoch nicht. So löste ein Plakat, das einen jungen AfD-Wähler zeigen sollte, Proteste aus. „Mein marokkanischer Dealer kriegt sein Leben komplett vom Staat finanziert. Irgendwas ist in Deutschland oberfaul“, stand darauf. Was genau die AfD damit sagen wollte, blieb offen. Fragwürdig auch das Plakat, auf dem ein schwules Paar abgebildet war. Dazu der Satz: „Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist.“
Auskünfte über die Agentur, die diese Kampagne entwarf, verweigerte die Berliner AfD. Die "Bild"-Zeitung hatte kurz vor der Wahl berichtet, dass der Werbemanager Thor Kunkel damit zu tun habe. Kunkel jedoch legt inzwischen (Stand 8. November 2016) Wert auf die Aussage, er habe mit den genannten Kampagnen der AfD "nicht das geringste zu tun". In dem Schweizer Radiosender "Radio Rottu" hatte er am 10. Oktober 2016 gesagt, er habe für die Berliner AfD eine Wahlkampfstrategie erarbeitet.
Allgemeines Motto der Partei blieb unverbindlich
Das allgemeine Motto der Partei in Berlin – „Berlin braucht Blau“ – war eher unverbindlich geblieben. Der Ex-Soldat Pazderski präsentierte sich als „Law and Order“-Mann. Eine durchaus nicht unkluge Taktik – zielte er damit doch direkt auf unzufriedene CDU-Wähler, die die Bilanz von Innensenator Frank Henkel beklagten. Anders als in Brandenburg wilderte die AfD am Ende tatsächlich vorwiegend im angestammten Wählerreservoir der Union – und weniger stark bei der Linkspartei. Dagegen war das Thema Flüchtlinge im Wahlkampf eher in den Hintergrund getreten. Die Begründung aus der AfD: Inzwischen werde man als Partei automatisch mit Kritik an der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel assoziiert, das müsse man nicht noch extra betonen.
Wenig Krawall
Am Sonntagabend blieb dann der Protest der linken Szene gegen die Wahlparty der AfD überschaubar. Autonome hatten angekündigt, das Treffen der Rechtspopulisten "crashen" zu wollen, doch es kamen nur etwa 50 junge Linke. Sie hielten Transparente hoch und riefen Parolen wie "AfD - Rassistenpack, wir haben dich zum Kotzen satt" und " Döner - Falafel - Faschisten auf die Waffel". Die Polizei hatte deutlich mehr Demonstranten erwartet und riegelte mit vielen Absperrgittern den Ratskeller und die davor liegende Fahrbahn der Otto-Suhr-Allee ab. Eingelassen wurden nur AfD-Anhänger, die eine Eintrittskarte für die Wahlparty vorweisen konnten. Angesichts der starken Polizeipräsenz verzichteten die Autonomen auf Krawall.