Energieforschung: Mehr Wind machen
Hunderte Millionen Euro investiert die Bundesregierung in Energieforschung - aber kaum jemand weiß es
In Forschungskreisen steht der Name Kopernikus nicht mehr allein für Nikolaus Kopernikus. Der Astronom und Mathematiker hat das mittelalterliche Weltbild infrage gestellt und herausgefunden, dass die Erde um die Sonne kreist und keineswegs umgekehrt. In den kommenden zehn Jahren steht Kopernikus auch für eines der größten Energieforschungsprojekte, die das Forschungsministerium bisher finanziert hat. Rund 400 Millionen Euro Bundesmittel sollen in die vier Teilprojekte mit mehr als 230 Partnern fließen. Doch im Parlament war das gar kein Thema. Nicht einmal im Forschungsausschuss gab es eine größere Debatte darüber. Aber dafür gab es einen Beteiligungsprozess der Fachöffentlichkeit, der seinesgleichen sucht.
Allein 2013 haben Bund und Länder 906 Millionen Euro in die Energieforschung investiert, berichtet der Projektträger Jülich, der jedes Jahr in einer Studie die Aufwendungen der Länder für die Energieforschung zusammenträgt. 2013 lag der Länderanteil bei 311 Millionen, der Bundesanteil bei 595 Millionen Euro.
Mit dem sechsten Energieforschungsprogramm hat die Bundesregierung 2011 die Grundlagen für eine starke Ausweitung der Energieforschung gelegt. In den Jahren zuvor waren die Forschungsausgaben zum Teil dramatisch zurückgegangen. Und bis 2009 nahm die Atomforschung den größten Raum in der Energieforschung ein. Erst seither wächst der Anteil der Forschung zu erneuerbaren Energien deutlich an.
Neuausrichtung der Energieforschung
Nach dem Beschluss, aus der Atomenergie auszusteigen, begann in der Regierung auch eine Neuausrichtung der Forschungsförderung für die Energiewende. Mit dem groß angelegten Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“, an dem die Nationalakademie Leopoldina, die Technikakademie Acatech und die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften beteiligt sind, geht das erste Projekt schon in die zweite Förderrunde. Nach drei Jahren Förderung läuft das Projekt nun bis 2019 und soll die Politik bei ihren weiteren Entscheidungen auf dem Weg der Energiewende beraten. Die bisher vorliegenden Grundsatzpapiere sind „die Grundlage für die Kopernikus-Projekte“, sagte Forschungsstaatssekretär Georg Schütte bei der Vorstellung der Forschungsinitiative.
Bei Kopernikus soll es nun also ins Detail gehen. In vier großen Forschungskonsortien sollen die praktischen Fragen des Umbaus des deutschen Energiesystems verhandelt werden. „Ensure“ heißt das Projekt, das sich mit den Stromnetzen der Zukunft beschäftigen soll. 22 Projektpartner sind beteiligt, darunter der Energiekonzern Eon, der Übertragungsnetzbetreiber Tennet (früher Eon), Siemens und ABB als Industriepartner, die die entsprechende Technik entwickeln und liefern können, aber auch die Deutsche Umwelthilfe, die jahrelang im direkten Dialog mit den Bürgern, die mit neuen Stromleitungen konfrontiert werden, nach praktischen Lösungen gesucht hat. Rund 30 Millionen Euro sollen in der ersten Förderphase fließen, um technische Fragen der Netzsteuerung zu klären. Es soll aber geklärt werden, ob sich ein Teil der bis 2015 auf rund 34 Milliarden Euro geschätzten Netzausbaukosten einsparen lassen, wenn mehr in Verteilnetze, in einigen Regionen womöglich sogar in die Unabhängigkeit vom Stromnetz, investiert wird. Koordiniert wird das Projekt vom Karlsruher Forschungszentrum KIT.
Die Linke kritisiert großtechnische Lösungen
Ralph Lenkert (Linke) ist allerdings nicht überzeugt von dem Forschungsprojekt. Ihm missfällt, dass es dabei vor allem um „großtechnische Lösungen“ gehen soll, wie das Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) bei der Vorstellung gesagt hatte. „Was da völlig fehlt, sind die Stadtwerke und die Bürgerenergiegenossenschaften“, sagt Lenkert. Der Grundsatz „So viel dezentral wie möglich und so viel zentral wie nötig“ kommt ihm in diesem Projekt zu kurz. Lenkert gehört zu den wenigen Bundestagsabgeordneten, die auf Anhieb sagen können, um was es bei Kopernikus geht. Er ist Mitglied im Forschungsausschuss, der sich allerdings im Detail auch nicht mit den Projekten beschäftigt hat, und er gehört zu den Energiepolitikern seiner Linksfraktion.
Doch dass sich ein Abgeordneter sowohl in der Forschungs- als auch in der Energiepolitik auskennt, ist nicht die Regel. Um den Wissenstransfer zwischen beiden Bereichen zu ermöglichen, gibt es etwa in der Unionsfraktion immer wieder Treffen zwischen den Mitgliedern des Forschungs- und des Wirtschaftsausschusses, wo die Energiepolitik angesiedelt ist. Zu solchen Treffen würden auch Abteilungsleiter aus dem Forschungsministerium eingeladen.
Bei den Grünen bemängeln die Energiepolitiker, eigentlich überhaupt nicht über das Projekt Kopernikus informiert worden zu sein. Kommende Woche will das Kabinett den Energieforschungsbericht beraten. Dann wollen die Grünen darauf drängen, diesen Bericht auch im Forschungsausschuss zu beraten - um womöglich doch noch Einfluss auf Kopernikus zu nehmen.
Die Elektrifizierung des Energiesystems
Neben dem Netze-Projekt befasst sich ein Forschungskonsortium um die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen und das Forschungszentrum Jülich mit Speicheroptionen, die aus Strom Gas, flüssige Treibstoffe oder Chemikalien machen sollen. Das Projekt firmiert unter dem Namen Power-to-X. Bisher sind solche Speichervarianten teuer und ineffizient. Die Energieverluste, wenn Strom zu Gas umgewandelt und dann wieder zu Strom gemacht wird, sind beträchtlich. Auf absehbare Zeit sind diese Technologien nicht wettbewerbsfähig. In dem Projekt soll aber auch untersucht werden, unter welchen Bedingungen sie womöglich wettbewerbsfähig werden könnten.
In einem weiteren Kopernikus-Projekt unter Leitung der TU Darmstadt geht es um Industrieprozesse und mögliche Flexibilitäten im System. Zum Beispiel wenn sehr energieintensive Prozesse in der chemischen Industrie nur dann stattfinden, wenn viel Sonnen- oder Windstrom zur Verfügung stehen.
Das vierte Projekt unter der Leitung des neuen wissenschaftlichen Leiters des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts IASS, Ortwin Renn, soll die Systemintegration untersuchen. Dabei geht es um Zielkonflikte, um Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit, um die von Renn beschworene „Akzeptanz der Energiewende“ sowie um politische oder wirtschaftliche Anreizmodelle. Renn sagt, aus einem besseren Verständnis des „hochkomplexen Energiesystems“ sollen „Lösungsoptionen für eine gesicherte, sozial akzeptierte und verträgliche Energiewende“ erarbeitet werden, „die auch international Impulse gibt“. 64 Projektpartner sollen gemeinsam Antworten finden.
Grundlagen der Energiewende
Im Akademienprojekt wird derweil an den Grundlagen weitergearbeitet. Bis 2019 soll es um die Rohstoffe für die Energiewende gehen, ein Thema, das einmal als Kopernikus-Projekt geplant war, es dann aber nicht in die Endplanung schaffte.
Auffällig an den Energieforschungsprojekten ist, dass sie mit ihren Fragestellungen nicht allein sind. Schon vor Kopernikus finanzierte die Bundesregierung, diesmal über das Wirtschaftsministerium, eine Forschungsinitiative Stromnetze und eine weitere zu Energiespeichern. Offenbar gehen diese Forschungsplattformen nicht in den neuen Kopernikus-Projekten auf. Ministerin Wanka versprach bei der Vorstellung des neuen Konzepts, dass das Forschungsforum Energiewende fortgesetzt werden soll - auch wenn die Geschäftsstelle gerade aufgelöst worden ist. In diesem Gremium versuchen Ministerium und Forschungsinstitute, die Energieforschung zu koordinieren. Über den Erfolg dieser Bemühungen schweigt sich Wanka allerdings aus.
Barbara Praetorius, die für den Thinktank Agora Energiewende im Kopernikus- Beirat über die Vergabe mitentschieden hat, ist ganz angetan: „Die vier Projektkonsortien sind im doppelten Sinne innovativ: Sie haben überzeugende Konzepte für komplexe Fragen vorgelegt und denken dabei ganzheitlich, also nicht in den Strukturen der reinen Technikforschung.“ Der Beirat seit vielfältig besetzt, die Entscheidungen seien am Ende dann auch einstimmig gefallen. Der einzige kleine Schönheitsfehler ist der, dass all das am Parlament fast völlig vorbeigegangen ist.
Dieser Text ist im gedruckten Tagesspiegel/Agenda am 19.4.2016 erschienen.
Dagmar Dehmer