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Über viele Jahre schwelte der Konflikt zwischen Türken und Kurden. Nun sollen die Kurden mehr Freiheiten bekommen.
© dpa

Türkei: Mehr Rechte für die Kurden

Der türkische Staatschef Erdogan gibt den Kurden mehr Freiheiten. Unter anderem dürfen sie ihre Muttersprache künftig auch im Alltag nutzen.

Die strafrechtliche Verfolgung von Buchstaben gehörte bisher zu den besonders absurden Erscheinungen der offiziellen Kurdenpolitik Ankaras. Da Q, X und W im kurdischen, aber nicht im türkischen Alphabet vorkommen, ist ihre öffentliche Verwendung verboten, und zwar seit 1928. Die Justiz leitete noch vor nicht allzu langer Zeit Ermittlungsverfahren gegen kurdische Spitzenpolitiker ein, weil sie die Buchstaben benutzt hatten. Damit soll jetzt Schluss sein. Mit einem Reformpaket, das Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Montag vorstellen will, sollen die kurdischen Buchstaben legalisiert waren. Über Erdogans „Demokratisierungspaket“ wird seit Wochen heftig spekuliert. Der Regierungschef hat eine Art Befreiungsschlag für die Rechte aller Türken versprochen, der „einige Teile der Gesellschaft verblüffen wird“, wie er sagt. Nach Presseberichten sollen nicht nur die Kurden von den Reformen profitieren, sondern auch die Christen in der Türkei.

Der Kurdenkonflikt soll friedlich beigelegt werden 

Der Schwerpunkt liegt jedoch auf dem Versuch der Regierung, den seit 1984 anhaltenden Kurdenkonflikt durch Verhandlungen mit dem inhaftierten Chef der PKK-Rebellen, Abdullah Öcalan, friedlich beizulegen. Die PKK hatte kürzlich ihren vereinbarten Rückzug aus der Türkei gestoppt und der Regierung vorgeworfen, trotz Vorleistungen der Rebellen nichts für eine Besserstellung der Kurden zu unternehmen. Nun will Erdogan laut Presseberichten in seinem rund 40 Einzelprojekte umfassenden Reformpaket vor allem die Sprachfreiheit der Kurden stärken. Damit soll ein Zeichen für das Ende einer Staatspolitik gesetzt werden, die über Jahrzehnte die Existenz der Kurden als eigene Bevölkerungsgruppe verneinte und auf Assimilierung setzte.

Türkische Ortsnamen werden wieder abgeschafft

Die Reformen beschränken sich nicht auf die Freigabe der Buchstaben. Kurdische Lokalverwaltungen sollen künftig mit den Bürgern auf Kurdisch kommunizieren dürfen; auch erhalten kurdische Kommunen das Recht, die vielerorts auf Befehl aus Ankara eingeführten türkischen Ortsnamen abzuschaffen und durch die alten kurdischen Namen zu ersetzen. Doch nicht alle kurdischen Forderungen werden erfüllt. So lehnt Erdogan die Enführung eines muttersprachlichen Kurdisch-Unterrichts in staatlichen Grundschulen ab. Auch sollen die laufenden Prozesse gegen mehrere hundert kurdische Politiker, Journalisten und Anwälte wegen mutmaßlicher PKK-Unterstützung weitergehen.

Dem Ruf der legalen Kurdenpartei BDP nach einer Senkung der Zehnprozent-Hürde will Erdogan offenbar mit einer Neuordnung des Wahlsystems begegnen, mit dem die Hürde in einigen Regionen ganz abgeschafft würde; Kritiker argwöhnen aber, dass diese Reform vor allem der Erdogan-Partei AKP nützen soll. Die BDP spricht deshalb enttäuscht von „oberflächlichen Lösungen“ in Erdogans Paket, die mehr Probleme schaffen als beilegen würden. Die PKK wirft dem Premier vor, aus Image-Gründen ein paar kosmetischen Änderungen auf den Weg bringen zu wollen. Kritik kommt auch von den großen Oppositionsparteien in Ankara, der säkularistischen CHP und der nationalistischen MHP. Einige Zeitungskommentatoren rufen die Erdogan-Gegner inzwischen auf, die Vorstellung des Pakets abzuwarten, bevor sie es in der Luft zerreißen.

Auch Verbesserungen für die Christen und Aleviten

Laut Zeitungsberichten enthält das Paket wichtige Verbesserungen für die Christen. So soll eine seit mehr als 40 Jahren geschlossene Priesterschule der griechisch-orthodoxen Kirche wieder geöffnet werden. Griechische und armenische Schüler sollen nicht mehr gezwungen werden, sich im offiziellen „Schul-Eid“ als fleißige Türken zu bezeichnen. Auch die muslimische Minderheit der Aleviten kann Verbesserungen erwarten.

Offen ist, wie Erdogan in seinem Paket das seit den regierungsfeindlichen Unruhen vom Juni besonders heikle Thema der Bürgerrechte behandeln will. Einige Zeitungen wollen erfahren haben, dass Erdogan die Macht der Polizei bei Festnahmen weiter stärken will; laut anderen Berichten will der Premier ein neues Gremium schaffen, das als Beschwerde- und Untersuchungsinstanz bei Klagen über Polizeigewalt und Folter fungieren soll. Erdogans islamisch-konservative Wählerschaft soll mit einer Abschaffung des Kopftuchverbotes in staatlichen Institutionen beglückt werden.

Über Wochen haben Erdogan und seine Berater an dem Paket gefeilt, die Präsentation des Bündels wurde mehrmals verschoben. Der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar kritisiert diese Diskussionen hinter verschlossenen Türen. „Wir warten alle darauf, was der Chef sagen wird, was er zu geben bereit ist und was nicht“, sagte Aktar unserer Zeitung in Istanbul. Ein Demokratie-Paket, das seien Namen verdiene, brauche aber vor allem Transparenz.

Thomas Seibert

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