Streit um Absprache im EU-Parlament: Mehr Parteipolitik wagen
Der EVP-Fraktionschef Manfred Weber beklagt sich beim Gezerre um die Schulz-Nachfolge über den Bruch einer Vereinbarung von 2014. Die Vereinbarung ist allerdings ein typischer Brüsseler Hinterzimmer-Deal, der nicht zur Transparenz beiträgt. Ein Kommentar.
Harte Bandagen sind auf einmal angesagt in Brüssel. Im Europaparlament, wo sonst allzu häufig ein parteiübergreifender Konsens herrscht, ist plötzlich eine Eiszeit zwischen Konservativen und Sozialdemokraten angebrochen. Der CSU-Politiker Manfred Weber, der Chef der konservativen EVP-Fraktion, hat den Wortlaut einer Geheimvereinbarung mit den Sozialdemokraten aus dem Jahr 2014 veröffentlicht. Damit will er der Öffentlichkeit vor Augen führen, dass in seinen Augen nur ein Konservativer die Nachfolge des scheidenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz antreten kann. Doch Sozialdemokraten und Liberale sehen das anders. Bei dem Gezerre könnte indes etwas Positives herauskommen: mehr Transparenz in Brüssel.
Pittella pfeift auf die Absprache von 2014
In der Vereinbarung von 2014 verpflichteten sich die Konservativen seinerzeit dazu, den SPD-Mann Schulz als Parlamentspräsident mitzuwählen. Im Gegenzug sagte Schulz die Unterstützung der Sozialdemokraten bei der Wahl eines Konservativen auf dem Posten in der Mitte der Legislaturperiode im Januar 2017 zu.
Es hat einen einfachen Grund, wenn Weber die Absprache nun öffentlich macht: Er muss befürchten, seinen Kandidaten Antonio Tajani bei der Wahl in Straßburg am kommenden Dienstag nicht durchzubekommen, obwohl die EVP die größte Fraktion ist. Denn die Sozialdemokraten gehen mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen, dem Italiener Gianni Pittella. Der pfeift auf die Vereinbarung mit Weber aus dem Jahr 2014. Auch die Liberalen haben den Konsens inzwischen aufgekündigt – für sie bewirbt sich der Belgier Guy Verhofstadt um die Schulz-Nachfolge.
Mit der Veröffentlichung der Dokumente appelliert Weber an die Prinzipientreue der Sozialdemokraten und Liberalen. Er hat dabei nicht völlig unrecht. Nicht wenige Bürger begegnen der EU mit Skepsis, weil in Brüssel getroffene Vereinbarungen oft allzu flexibel ausgelegt werden. Man denke nur an den Euro-Stabilitätspakt, der letztlich nur auf dem Papier Bestand hat.
Nicht der Bruch der Vereinbarung ist problematisch, sondern die Absprache an sich
Auf den zweiten Blick zeigt sich aber: Wirklich problematisch ist nicht der Bruch der Vereinbarung zwischen Weber und Schulz, sondern ihr Zustandekommen im Jahr 2014. Der Deal ist ein Symptom eines Brüsseler Konstruktionsfehlers: Das Europaparlament krankt daran, dass es dort keine Regierungsparteien und Oppositionsfraktionen gibt. Stattdessen herrscht eine informelle große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten. Absprachen, wie sie Schulz und Weber seinerzeit trafen, mögen gut für das geräuschlose Funktionieren der Brüsseler Institutionen sein. Die Transparenz fördern sie nicht. Von daher wäre es ein Fortschritt, wenn nun die Ära der Hinterzimmer-Absprachen im Europaparlament zu Ende ginge.