Nach Putschversuch: Martin Schulz will mit der Türkei weiter über EU-Beitritt verhandeln
Seit dem gescheiterten Putschversuch suchen Medienberichten zufolge viel mehr Menschen aus der Türkei Asyl in Deutschland. Martin Schulz setzt auf Einfluss durch Dialog.
Die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei ist im vergangenen Jahr stark gestiegen - vor allem seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli. Das geht aus Medienberichten hervor. Gleichzeitig hat sich EU-Parlamentspräsident Schulz gegen einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei ausgesprochen. "Sprachlosigkeit hat noch nie weiter geführt, sondern birgt eher die Gefahr weiterer Eskalation in sich", sagte der SPD-Politiker dem "Mindener Tageblatt". Mit einem Ende der Gespräche mit der Türkei wäre nichts gewonnen.
"Im Gegenteil, wir würden uns eines wichtigen Mittels berauben, um Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung in der Türkei und die Dinge vielleicht zum Besseren zu wenden". Eine Ausnahme machte Schulz aber: "Sollte die Türkei die Todesstrafe einführen, wäre das automatisch das Ende der Beitrittsgespräche." In so einem Fall gäbe es keinen Spielraum mehr für Verhandlungen.
Die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei hat sich einem Bericht der Zeitungen der Funke-Mediengruppe zufolge gegenüber den Vorjahren mehr als verdoppelt: Von Januar bis Oktober hätten 4437 Menschen aus der Türkei einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Im Jahr zuvor waren es demnach nur 1767 Menschen, 2014 waren es 1806 Menschen. Die Zeitungen berufen sich auf Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf).
Mehr als 60.000 Staatsbedienstete wurden entlassen
Besonders in den vergangenen Wochen habe das System zur Erstverteilung der Asylbegehrenden eine stetige Zunahme registriert, hieß es in dem Bericht. Während in der ersten Jahreshälfte pro Monat nur rund 350 Asylsuchende aus der Türkei registriert worden seien, waren es im August bereits 375, im September 446 und im Oktober dann 485. Seit dem Putschversuch Mitte Juli geht die türkische Regierung mit besonderer Härte gegen die Opposition vor. Lehrer, Professoren und Richter werden beispielsweise angeblicher Nähe zur Gülen-Bewegung verfolgt.
Seit dem gescheiterten Militärputsch nahmen die türkischen Behörden laut Medienberichten über 36.000 Menschen in Untersuchungshaft. Insgesamt hat die türkische Führung inzwischen mehr als 60.000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen. Opposition und Medien werden verfolgt. Besonders hart traf es immer wieder die unabhängige Zeitung "Cumhuriyet", die am Freitag in Stockholm mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wird.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), äußerte die Erwartung, dass die Entwicklung so weitergeht: "Wir müssen damit rechnen, dass die Zahl der Türken, die in Deutschland politisches Asyl suchen, noch weiter steigen wird", sagte er den Funke-Zeitungen.
"Wir lösen die Probleme in der Türkei aber nicht dadurch, dass wir alle regimekritischen Bürger einladen, bei uns Asyl zu beantragen", fügte Mayer hinzu. Diesen Gefallen dürfe Deutschland dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht tun. "Denn genau das will er doch: dass die Opposition verschwindet."
Erst am Mittwoch war bekanntgeworden, dass auch türkische Soldaten, die am Nato-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz stationiert sind, mit ihren Familienangehörigen Asyl beantragt haben. (Tsp, AFP, dpa)