TV-Debatte zur EU-Wahl: Martin Schulz und Jean-Claude Juncker im Plauderduell
In der ARD-Wahlarena hatten die Spitzenkandidaten zur Europawahl, Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, wieder die Gelegenheit für einen Schlagabtausch. Stattdessen waren beide in Plauderstimmung - nur nicht bei einem Thema.
Wahlveranstaltungen nach dem Townhall-Prinzip haben den dramaturgischen Vorteil, dass sie keinem Skript folgen. Die Kandidaten, die vom Publikum umringt in der Mitte stehen, müssen Fragen retournieren wie Tennisspieler Filzkugeln aus der Ballmaschine. Bei der letzten ARD-Wahlarena vor der Bundestagswahl im September war es ein Mann, der mit seiner Frage, was er denn gegen Geisterfahrer auf der Autobahn zu tun gedenke, den SPD-Wahlkämpfer Peer Steinbrück kurzeitig aus dem Konzept brachte. Derlei Überraschungen blieben am Dienstagabend bei der ARD-Wahlarena vor der Europawahl aus. Jean-Claude Juncker, der für die Konservativen als Spitzenkandidat bei den Europawahlen antritt, und sein sozialdemokratischer Gegenspieler Martin Schulz spulten ein routiniertes Programm ab: Freihandelsabkommen, Flüchtlingsdramen im Mittelmeer, Freizügigkeit - die drängenden Fragen haben die beiden Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten bei ihrem Wahlkampf quer durch den Kontinent oft genug abgearbeitet.
Dass die Kandidaten ihre Antworten inzwischen aus dem Effeff kennen, ließ sich gut studieren, als Schulz nach der EU-Beitrittsfähigkeit der Türkei gefragt wurde. "Die Türkei ist ein europäisches Land", sagte der EU-Parlamentspräsident. Um dann fortzufahren: "Die Beitrittsverhandlungen laufen." Und um dann schließlich mit der Politik des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan hart ins Gericht zu gehen: "Ein Land, das Twitter verbietet, hat unter diesen Bedingungen sicher keinen Platz in der Europäischen Union." Es sind Sätze, die die ganze Komplexität des europäischen Projektes widerspiegeln. Europäische Fragen lassen sich nun einmal meistens nicht mit einem einfachen Kopfnicken oder Kopfschütteln beantworten, so wie das eine Frau aus dem repräsentativ ausgewählten Publikum - jung, alt, Stadt, Land - den Kandidaten angeraten hatte.
Deutschland ist für beide Kandidaten das umkämpfteste EU-Land
Auch Jean-Claude Juncker hatte in der Arena, in der sich NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz und WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich im wesentlichen auf die Weiterleitung der Zuschauerfragen beschränkten, kein besonderes Warm-up nötig. Zu der Frage, die auf die Bedeutung von Conchita Wurst als europäischem Toleranzsymbol (sieht er natürlich genauso!) zielte, konnte er nur müde lächeln. Auch von ihm kam viel Vorgestanztes - etwa die Forderung, dass sich die EU auf ihre Kernaufgaben im Außenhandel, in der Außenpolitik und beim Kampf gegen den Klimawandel konzentrieren müsse.
Mehr oder minder spontane Eingebungen, wie sie etwa Schulz noch im Frühjahr bei seiner Rede vor der Knesset mit seiner Schilderung einer Begegnung mit einem palästinensischen Jugendlichen zur Illustration der hochpolitischen Wasserfrage gehabt hatte, waren in der Wahlarena nicht geboten. Der Grund: In keinem anderen EU-Land lassen sich für Junckers Konservative und Schulz' Sozialdemokraten potenziell bis zum kommenden Sonntag so viele Mandate holen wie in Deutschland. Da mochten sich die beiden Kandidaten gemeinsam über den US-Geheimdienst NSA empören (Juncker: "Amerikaner müssen auch manchmal hinhören und nicht nur abhören.") oder unisono den Schutz europäischer Sozial- und Umweltstandards bei den Verhandlungen um das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA einfordern - Vorsicht blieb die Mutter der Porzellankiste. Ein Patzer beim Wahlkampf in Deutschland fällt eben stärker ins Gewicht als anderswo.
Bei der Euro-Krise werden beide einsilbig
Das war besonders schön zu beobachten, als die Frage nach den Euro-Bonds gestellt wurde. Schulz und Juncker hatten zu Beginn des Wahlkampfs den Eindruck erweckt, als stünden sie einer Vergemeinschaftung der Schulden positiv gegenüber. Da das aber den wenigsten deutschen Wählern zu verkaufen ist, räumte Schulz das Thema in aller Eile ab - und auch sein luxemburgischer Kontrahent war plötzlich sehr einsilbig.
Immerhin lernte man in der 75-minütigen Sendung, dass die Kandidaten mit der Idee der Vereinigten Staaten von Europa wenig anfangen können. "Die Menschen wollen nicht, dass Europa sich nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten entwickelt", sagte Juncker.
Eine Gelegenheit zum Streit in offener Arena hätte es auch gegeben. Als nämlich Schulz meinte, dass es einige Staaten in Europa gebe, die Milliardenstafen gegen Banken nach dem Vorbild der Buße der USA gegen Crédit Suisse verhinderten, durfte sich Luxemburgs Ex-Premier direkt angesprochen fühlen. "Vielleicht kann Herr Juncker dazu auch noch was sagen?", stichelte Schulz. Aber sein Kontrahent wollte sich nicht darauf einlassen.
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