500 Jahre Reformation: Martin Luther - Der Wandelprediger
Kirche, Staat und Papst feiern gemeinsam das 500. Reformationsjubiläum. Wie politisch ist Martin Luther?
Martin Luther wollte die katholische Kirche reformieren – nicht den Staat. Doch am Montag eröffneten Kirche und Staat gemeinsam das 500. Reformationsjubiläum mit einem Festgottesdienst in der Berliner Marienkirche und einem staatlichen Festakt im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Die Festrede hielt der evangelische Pfarrer und Bundespräsident Joachim Gauck. Die Bundesregierung fördert das Jubiläum mit 42 Millionen Euro, die vor allem in die Sanierung der historischen Lutherstätten, zahlreiche Kulturprojekte und drei „nationale“ Ausstellungen fließen.
Warum beteiligt sich die Bundesregierung am kirchlichen Reformationsjubiläum?
„Wir vermischen hier nicht unzulässigerweise die kirchliche und staatliche Sphäre, sondern der Staat erkennt an, dass auch er, in seiner Geschichte und Vorgeschichte, in vielfacher Weise von der Reformation geprägt ist“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Festrede. Die heutige Gestalt des Gemeinwesens sei ohne die Reformation und ihre Wirkungsgeschichte „nicht denkbar“.
Gauck führte aus, wie aus Luthers „Freiheit eines Christenmenschen“ schon bei seinen Zeitgenossen der Ruf nach politischer Freiheit entstanden ist und wie sich daraus „die lange und oft blutige europäische Freiheitgeschichte“ entwickelt hat. Luthers Lehre, wonach jeder Mensch direkt, ohne Vermittlung durch den Klerus, vor Gott stehe, „machte aus betreuten Laien mündige und selbstständige Gläubige“, sagte Gauck. Auch das habe sich auf das staatliche Leben ausgewirkt. „Das Verlangen nach demokratischer Teilhabe hat eine seiner Wurzeln im reformatorischen Mündigwerden.“
An Luthers These anknüpfend, wonach Gott ein gnädiger Gott sei, forderte der Bundespräsident die Bürger auf, sich gegen den „Ungeist der Gnadenlosigkeit, des Niedermachens, der Selbstgerechtigkeit“ zu stellen und gnädiger mit den Schwächen der anderen umzugehen.
1917 wurde Luther für Durchhalteparolen im Ersten Weltkrieg missbraucht. Wird er jetzt wieder für staatliche Ziele vereinnahmt?
Die großen hundertjährigen Reformationsjubiläen, seien „immer auch Identitätspolitik“ gewesen, sagte Gauck in seiner Festrede. „Auch wir sind Kinder unserer Zeit.“ Dennoch müsse jede Generation nach der Aktualität der Reformation fragen und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen.
Wie eng ist die Verzahnung zwischen Kirche und Politik?
Das deutsche Staatskirchenrecht sieht eine Trennung von Staat und Kirche vor, durch die der Staat zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist. Zugleich kooperieren Staat und Kirche in vielen Bereichen, etwa beim Religionsunterricht und bei der Kirchensteuer. Zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten sind Kirchenmitglieder, die Bundeskanzlerin ist Pfarrerstochter, und auch alle Kabinettsmitglieder gehören einer Kirche an. Einige von ihnen sind nicht nur Mitglied, sondern wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière in der evangelischen Kirche sehr engagiert. In ethischen Fragen, bei Entscheidungen über Krieg und Frieden, in der Gesundheits- und Sozialpolitik schätzen viele Abgeordnete parteiübergreifend die Kirchen als Gesprächspartner.
Wie politisch sind die Kirchen?
Papst Franziskus machte seine erste Reise 2013 nach Lampedusa zu den Flüchtlingen und stellt das Engagement für die Armen ins Zentrum seines Pontifikats. Dabei verbindet er christliche Barmherzigkeit mit politischen Forderungen, etwa auch in der Klima- und Umweltpolitik. Franziskus kritisiert zudem die „Konsumgier“, übertriebenen Egoismus und negative Auswüchse des Kapitalismus. Die Kirchen in Deutschland mischen sich politisch ebenfalls ein und berufen sich dabei auf die biblische Vision einer gerechten Welt. In der Flüchtlingspolitik unterstützen sie Angela Merkels Willkommenskultur und kritisieren rechtspopulistische Tendenzen. „Christen können nicht fremdenfeindlich wählen“, sagte der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit Blick auf die AfD und empfahl, die Bibel neben die Parteiprogramme zu legen. Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge wandte sich in seiner Festpredigt am Montag gegen „Kräfte, die vom Untergang des Abendlandes sprechen“. Martin Luther habe gezeigt, „dass es auf jeden Einzelnen ankommt, auf den Mut, das Bestehende nicht als gegeben hinzunehmen, sondern darauf zu vertrauen, dass Gott uns die Kraft zum Guten gibt“.
Könnte Luther nach 500 Jahren kirchenpolitisch zum Versöhner werden?
Parallel zu den Eröffnungsveranstaltungen in Berlin erinnerten im schwedischen Lund Papst Franziskus und Vertreter des Lutherischen Weltbundes an den Beginn der Reformation 1517. Bis vor wenigen Jahrzehnten galt der Wittenberger Mönch in der katholischen Kirche als übler Kirchenspalter, weshalb es eine Sensation ist, dass Franziskus in Lund an einem ökumenischen Gottesdienst zu Ehren Martin Luthers teilgenommen hat. „Wir haben die Gelegenheit, einen entscheidenden Moment unserer Geschichte wieder gutzumachen, indem wir Kontroversen und Missverständnisse überwinden, die oft verhindert haben, dass wir einander verstehen konnten“, sagte Franziskus in der Kathedrale von Lund – und unterzeichnete gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund eine Erklärung, in der sie die Verantwortung beider Konfessionen für die nach der Reformation entstandenen Kirchenspaltungen eingestehen.
Franziskus lobte wie sein Vorgänger Benedikt XVI. Luther dafür, dass er die entscheidenden Fragen gestellt habe. Er ging aber noch einen Schritt weiter, indem er sagte, es habe auf beiden Seiten, bei Katholiken wie Lutheranern „den ehrlichen Willen den wahren Glauben zu bekennen und zu verteidigen“, gegeben. Wichtiger als in die Vergangenheit zu schauen, sei es, gemeinsam „Gottes Wort in die Welt zu tragen“ und sich gemeinsam für die Würde des Menschen einzusetzen.
Steht die Einheit bald bevor?
Die Einheit der Christen liegt Franziskus sehr am Herzen. Im Vordergrund steht für ihn die Ökumene des Handelns: „Etwas gemeinsam zu tun, ist eine hohe und wirksame Form des Dialogs“, sagte er. In der gemeinsamen Erklärung mit dem Lutherischen Weltbund verpflichteten sich beide Seiten aber auch, den theologischen Dialog zu erneuern. Nach wie vor trennt die Kirchen theologisch vieles – zum Beispiel das Verständnis des Abendmahls. Die Glaubwürdigkeit der Kirchen würde es jedenfalls stärken, wenn die Einheit gelingen würde, sagte Franziskus – und betete zu Gott: „Gewähre uns das Geschenk der Einheit, damit die Welt an die Macht deiner Barmherzigkeit glaubt.“