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Nachruf: Margaret Thatcher: Die eiserne Lady des Empires

Margaret Thatcher war die Krankenschwester der Nation. Sie verabreichte ihren Landsleuten eine bittere, aber notwendige Medizin. Ihr Denken und Wirken prägt Großbritannien bis heute. Jetzt starb sie mit 87 Jahren.

Es war ein furchtbarer Moment für sie, aus dem Amt zu scheiden. Dabei war sie immer mehr als nur Machtmensch gewesen. Auch Hausfrau, Mutter, Ehefrau. Aber als Margaret Thatcher am 28. November 1990 in einer schwarzen Limousine den Amtssitz der britischen Premierminister in London, diese mythische Adresse Downing Street No. 10, verließ und ein Fotograf nach ihr rief, „Prime Minister!“, was sie da schon nicht mehr war, da blickte sie sich um, es war ein Reflex, den elf Jahre an der Regierung ihr eingepflanzt hatten, und man konnte sehen, wie viel Kraft sie dieser Abschied kostete. Der eiserne Panzer war geschmolzen. Tränen flossen und verwischten die Wimperntusche.

Margaret Thatcher gehörte zu den politischen Giganten des 20. Jahrhunderts, aber im Gedächtnis bleiben Bilder der Niederlagen, des Abschieds und Verfalls. Man erkannte nun, was ihr die Macht, die sie zweieinhalb Wahlperioden lang inne gehabt hatte, abverlangt haben musste.

Von Demenz und den Folgen mehrerer Schlaganfälle gezeichnet, sah man sie in den vergangenen Jahren kaum noch in der Öffentlichkeit. Gelegentlich trat sie als gepuderte alte Dame in Erscheinung, unsicher auf den Beinen. Der Tod ihres Mannes Denis Thatcher nach 50 gemeinsamen Ehejahren schien sie weiter von der Welt zu isolieren. Der Film „Eiserne Lady“ mit Meryl Streep in der Hauptrolle versuchte, den Menschen hinter dieser erstarrten Fassade wieder zu entdecken.

Aber in dem Maße, in dem sie als lebende Person von Vergänglichkeit und Ferne gezeichnet war, wuchs ihr historisches Ansehen. Nicht nur, dass sie den Briten das Gefühl vermittelt hatte, ein im Grunde konservatives Land zu sein. Sie hatte dem politischen Gegner von der Labour-Partei in der Person Tony Blairs auch ihren eigenen Pragmatismus aufgezwungen. Als Großbritannien 2008 nach 13 Labour-Jahren durch die Bankenkrise in eine schwere Schuldenkrise rutschte, wurden ihre Grundüberzeugungen, besonders ihr Gespür für die Grenzen des Staates, mit neuer Intensität diskutiert.

Die Debatte, ob ihre Reformen in den 80er Jahren Großbritannien vor dem Ruin gerettet oder vielmehr die industrielle Basis des Landes und mit ihr der soziale Zusammenhalt zerstört haben, wird heute so scharf geführt wie vor zehn Jahren. Nur dass Thatcher selbst, die Erfinderin von „Power Dressing“, die also als erster britischer Politiker einen Imageberater hatte und in Kommunikationsfragen nie etwas dem Zufall überließ, schon lange nicht mehr eingreifen konnte. 1990 war sie von ihrer eigenen Partei durch einen Putsch entmachtet worden. Wie ein Schulmädchen biss sie sich auf die Lippen, um Haltung zu wahren. In diesem Bild der zerfließenden „Eisernen Lady“ war der Mythos vom Meuchelmord an Thatcher angelegt, der die Konservativen in jahrelange Streitigkeiten und Komplexe stürzen sollte – und der ihr selbst ein frustrierendes Schattendasein bescherte.

Nun ist Margaret Thatcher nach einem weiteren Schlaganfall im Alter von 87 Jahren gestorben.

Sie ist dann doch noch einmal zurückgekehrt nach Downing Street No. 10. Es ist ein paar Jahre her. Im roten Kleid, Blumen in der Hand, die Haare wie immer in akkurate Wellen drapiert, stand Margaret Thatcher vor der schwarz lackierten Tür. Sie genoss den überraschenden Auftritt und winkte den Reportern zu. Neben ihr damals Gordon Brown, breit grinsend, voller Stolz auf den Coup. Er selbst war kurz zuvor erst vom Schatzkanzler zum Regierungschef befördert worden und galt mit seiner brummigen Art als der Typ Wohlfahrtspolitiker, den Thatcher unmöglich gemacht hatte. Jetzt holte sich der Labourmann die höheren Weihen von der Heldin der Konservativen Partei.

Thatcher brach mit dem Konsens der Nachkriegspolitik.

Der Aufschrei in beiden politischen Lagern war groß. Wie konnte er nur! Wie konnte sie nur! Das heftige Verlangen Browns, sich mit Thatcher zu zeigen, aber auch die teils hysterischen Reaktionen bewiesen, wie wichtig und wirkungsvoll sie sein konnte, die erste Frau, die eine britische Regierung führte.

Mit Handtasche, königsblauem Kostüm, onduliertem Blondhaar, und einem immer etwas wackligen Gang hatte sie nur eine Gestalt. Namen hatte sie viele. Geboren wurde sie 1925 als Margaret Hilda Roberts, Tochter eines strebsamen Krämers in Grantham, Lincolnshire, der sie nach Oxford zum Studium schickte. Sie war Lebensmittelchemikerin, als sie ihren Mann Denis kennen lernte und 1951 durch Heirat Margaret Thatcher wurde. Dass sie die Konservierung von Speiseeis mit ermöglicht hat, gehört zu ihren übersehenen historischen Großtaten.

Der wohlhabende Denis finanzierte ihr ein Zweitstudium. Margaret wollte Politikerin werden. 1958 gewann sie den Londoner Wahlkreis Finchley und saß zwei Jahre später im Kabinett von Premier Harold Macmillan. Als sie 1975 dem Wahlverlierer Ted Heath die Führung der Tory Partei entriss, wurde sie nur noch respektvoll „Mrs. Thatcher“ genannt. Heath nannte sie „that woman“ – diese Frau. Kabinettskollegen, die unter ihr litten, bauten das später zu „that bloody woman“ aus – abgekürzt TBW. Thatcher selbst dachte, es sei der Name einer TV-Station.

Auf ihre Rolle als Pionierin und Vorbild für erfolgreiche Frauen hat sie nicht allzu viel gegeben. Als Feministin hat sie sich nie gesehen. Sie legte Wert auf ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Zuallererst wird man sich an Thatcher, die Reformerin, erinnern. Sie wagte viel und gewann meistens. Dreimal wurde sie von den Briten an die Spitze der Regierung gewählt.

Das erste Mal 1979. Labour war gescheitert und Großbritannien in einer tiefen Krise. Der „Winter des Missvergnügens“ 1978/79, mit Lohnstopp, galoppierender Inflation, Rekord-Arbeitslosigkeit und Massenstreiks war die Folgen eines Wirtschaftsmodells, bei dem der Staat laut Thatcher, „den Finger in jeder Suppe hatte“. Das Chaos jagte den Briten einen Schrecken ein, der sie fast zwei Jahrzehnte lang davon abhielt, wieder ein Sozialstaatsmodell zu wählen. Nicht einmal das Nordseeöl könne den Niedergang des Landes aufhalten, hatte das „Hudson Institut“ 1974 prophezeit. Nationalisierungen, Industriesubventionen, Lohnabkommen stützten unproduktive Überkapazitäten und verhinderten die Modernisierung. Der Spitzensteuersatz lag bei 83 Prozent.

Thatcher brach mit dem Konsens der Nachkriegspolitik, laut dem die Antwort auf Probleme ein Eingreifen des Staates war. Trotz Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit setzte sie die Zinsen herauf, beschränkte die Geldmenge, kürzte Sozialdienste und Bildungsausgaben. Diese bis heute umstrittene Periode des wirtschaftspolitischen Kahlschlags wurde später in ganz Europa nachgeahmt: die Umgewichtung der Steuersysteme von horrenden Einkommenssteuern zu Verbrauchersteuern, der Rückzug des Staates aus nationalisierten Industrien.

Thatchers Stärke, die nur der von Winston Churchill glich, war ihre Prinzipienpolitik. Sie entschied nicht nur mit voller Konsequenz, sondern konnte auch komplexe Sachverhalte verständlich machen. Immer wieder erklärte sie, dass die Gesellschaft vom Wunsch des Einzelnen angetrieben wird, das Beste für sich und seine Familie zu tun. „Die Menschen gehen nicht für den Finanzminister zur Arbeit.“ Sie wurde nun Tina genannt – nach ihrem Motto „There is no alternative“. Thatcher war die Krankenschwester, die der Nation eine bittere, aber notwendige Medizin verabreichte.

Als 1982 mitten in den Aufregungen um Bergarbeiterstreiks und die Schließung von ersten Kohlegruben Unheil von ganz anderer Seite drohte, zeigte sie sich ebenso hart. Argentiniens Militärjunta besetzte die britischen Falklandinseln. Und Thatcher, von der internationalen Gemeinschaft nur halbherzig unterstützt, sandte eine Streitmacht um die halbe Welt. Viele rieten ihr ab für die ferne Inselgruppe mit 2000 Einwohnern so viel zu riskieren. Aber sich der „Erpressung von Diktatoren“ zu widersetzen, war für Thatcher die unverzichtbare Verteidigung der Freiheit. Der Krieg wurde ihr persönlicher Triumph. „Wir sind nicht länger eine Nation auf dem Rückzug“, sagte sie.

Von da an erst war sie die „Eiserne Lady“. Sie wählte 1984 die Auseinandersetzung mit den Bergarbeitern, um der Gewerkschaftsmacht das Genick zu brechen, erzwang die Demokratisierung der Gewerkschaften und ein Ende der „englischen Krankheit“ ständiger Arbeitsniederlegung. Aber sie zerstörte Bergarbeiter-Kommunen in Nord- und Mittelengland und vertiefte die Spaltung des Landes in einen armen Norden und einen reichen Süden. Nun ließen die Briten das respektvolle „Mrs.“ fallen. „Thatcher“ hieß sie nur noch, und der Name wurde hart und scharf gesprochen.

In ihren letzten Amtsjahren hieß sie nur „Maggie“.

Aber die rasche Rückkehr der Briten zu Wohlstand und internationaler Bedeutung hatte „Thatcherismus“ zum Begriff gemacht. Eine neoliberale Wirtschaftspolitik, Deregulierung, finanzielle Disziplin, Kontrolle der öffentlichen Ausgaben, Steuersenkungen, aber auch Patriotismus und „viktorianische Werte“ wie Selbstverantwortung und Familiensinn gehörten dazu.

Thatchers letzter großer Auftritt auf der Weltbühne war die Beisetzung Ronald Reagans, des früheren US-Präsidenten, ihres vielleicht wichtigsten politischen Partners im Juni 2004. Mit ihm habe sie „die acht wichtigsten Jahre in unser aller Leben“ eng zusammengearbeitet. Da man ihr von einer Trauerrede am Grab abgeraten hatte, ließ Thatcher eine Videobotschaft abspielen und lauschte in der Kirche ihren eigenen Worten: „Er hatte feste Prinzipien – und die richtigen, wie ich glaube. Er erklärte sie klar und folgte ihnen in seinem Handeln voller Entschlusskraft“, sagte sie. Es war klar, dass sie damit auch sich selbst beschrieb.

Mit derselben Wehrhaftigkeit wie gegen die Aggression der Argentinier stellte sich Thatcher mit Reagan gegen die Drohkulissen der Sowjetunion. Sie verachtete den Kommunismus, weil ihm der Respekt vor dem Individuum als freiem moralischem Wesen fehlte. Aber das Bündnis mit dem Amerikaner, ihre Prinzipientreue im Kalten Krieg machte sie zu einer schwierigen Europäerin. 1988 fasste sie in ihrer wichtigsten Rede in Brügge ihre Vorbehalte gegen ein föderatives Europa zusammen, wie es dem damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors vorschwebte. „Wir haben die Fronten des Staates in Großbritannien nicht erfolgreich zurückgedrängt, nur um sie auf europäischer Ebene durch einen europäischen Superstaat wieder errichtet zu sehen.“ Dieses Glaubensbekenntnis des britischen Euroskeptizismus hat heute mehr Gültigkeit für die Briten als je.

Aber als die Mauer fiel, zeigte sich der Preis, den die Lady für ihre Prinzipienlust bezahlte. Es sei „kein freudiger, sondern ein gefährlicher Moment“, vertraute sie Präsident Mitterrand an, mit dem sie die Furcht vor einem neu erstarkenden Deutschland teilte. Mitterrand verbarg seine Bedenken in einem „Doppelspiel“, wie der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Autobiografie schrieb. Thatcher dagegen war offen, ehrlich und zunehmend isoliert. Ihr Deutschlandbild war von zwei Weltkriegen geprägt. Wenn sie sagte, vom Kontinent sei den Briten vor allem Schlechtes erwachsen, meinte sie Deutschland. „Zweimal haben wir die Deutschen geschlagen. Jetzt sind sie wieder da“, hat sie den Erinnerungen Helmut Kohls zufolge nach dem Mauerfall gesagt.

Margaret Thatchers Deutschlandbild war wie das vieler Briten ihrer Generation durch den Zweiten Weltkrieg geprägt. Kurz nach Kriegsende hielt sie mit 19 als Mitglied einer konservativen Studentenvereinigung eine ihrer ersten öffentlichen Reden. Einmal in ihrem eigenen Leben und zweimal im Leben vieler ihrer Zeitgenossen habe Deutschland die Welt in einen Krieg gestürzt, sagte sie. „Deutschland muss entwaffnet und zur Verantwortung gezogen werden.“ Man solle den Deutschen nicht alles nehmen, aber es müsse eine gerechte Strafe verhängt werden. Diese gerechte Strafe war die Teilung, die nun zurückgenommen werden sollte.

Im Juli 1990 musste Umweltminister Nicholas Ridley zurücktreten, weil er sagte, was Thatcher dachte: Dass die „EG“ ein „deutscher Schwindel“ sei und man sich ebenso gut gleich Hitler ausliefern könnte. Bis zum Sturz Thatchers waren es nur noch vier Monate.

In ihren letzten Amtsjahren hieß sie nur „Maggie“. Darin verbinden sich die widersprüchlichen Facetten dieser Frau, die hausfrauliche Fürsorge, mit der sie Besuchern den Gin Tonic kredenzte oder ein Spiegelei briet, der Eifer, mit dem sie Fernsehinterviewer zurechtwies. Sie prägte durch die Kunst pädagogischer Zuspitzung das Denken ihrer Nation bis heute. Tony Blair und Labour kamen 1997 nur an die Macht, weil sie in wichtigen Punkten auf „Thatcherismus“ eingeschwenkt waren.

Thatcher sah Blair als eine Art politischen Ziehsohn. Schon vor Labours Wahlsieg 1997 hatte sie ihn öffentlich gelobt – auf Kosten ihres Parteifreundes und Nachfolgers John Major. Wie Thatcher hatte Blair seine Partei gegen Widerstände reformiert. Aus den Konservativen, die dem Markt misstrauten und sich als Regierungspartei genauso wenig zu Reformen für das abgewirtschaftete Königreich durchringen konnten wie Labour, wurde unter Thatcher eine ideologisch straff geführte Partei die sich an den wirtschaftsliberalen Ideen Friedrich Hayeks und Milton Friedmans orientierte.

Der Legende nach hatte Thatcher immer eine Taschenbuchausgabe von Hayeks „Weg zur Knechtschaft“ in ihrer berühmten Handtasche. In dem Buch beschreibt der anglo-österreichische Ökonom, wie Planwirtschaft unausweichlich in die Diktatur führt und benennt den Wettbewerb, das möglichst freie Spiel der Marktkräfte, als Bedingung für Demokratie.

Blair dürfte weniger Hayek gelesen haben, doch auch er trimmte seine Partei auf Marktwirtschaft. „Durchaus einige Male“ habe Tony Blair den Rat seiner konservativen Vorvorgängerin gesucht, sagte dessen langjähriger Berater Alastair Campbell im Interview mit dem Tagesspiegel. „Er hat auf jeden Fall gern mit ihr gesprochen. Tony ist jemand, der gern die intellektuellen Fähigkeiten anderer anzapft“, sagt Campbell. Auch darin ähnelte er Thatcher, die zur Vorbereitung ihrer marktwirtschaftlichen Revolution sogar einen eigenen Think Tank gegründet hatte, das Centre for Policy Studies. Thatchers Treffen mit Blair liefen ohne Kameras ab. Sie gab ihm außenpolitische Tipps, was sich dann zum Beispiel so anhörte: „Deutschland folgt, wenn man richtig führt. Den Franzosen kann man nicht trauen.“

Campbell erinnert sich, wie 1997 einigen Labourleuten, die gekommen waren, um Blair zu treffen, fast die Augen ausfielen, als sie ihn mit Thatcher am Kabinettszimmer vorbeilaufen sahen. „Gott, sie ist so stark“, sagte Blair, nachdem Thatcher gegangen war. Campbells Beobachtung war eine andere: „Es fiel auf, dass sie das alles hier vermisste.“

„Thatcher and Sons“ nennt der Publizist Simon Jenkins sein Buch über die konservative Premierministerin und ihre Nachfolger Major, Blair und Brown. Über Parteigrenzen hinweg haben alle drei Thatchers Politik der Privatisierung und Liberalisierung fortgesetzt – trotz der negativen Auswirkungen auf die britische Infrastruktur und die produzierende Industrie.

Als David Cameron 2010 die Regierung des wieder hoch verschuldeten Großbritannien übernahm, erinnerte er an den Satz Thatchers von der Gesellschaft, die es nicht gebe, indem er ihn korrigierte. „Es gibt eine Gesellschaft, aber sie ist nicht dasselbe wie der Staat“. Die Sozialreformen, die er gerade eingeführt hat, hätten Thatcher gefallen. Er ist, wie Tony Blair und ein bisschen eigentlich alle Briten, ein Erbe Thatchers geblieben.

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