Michael Kretschmer: Mann auf der Kippe
Michael Kretschmer kämpft nicht nur um sein Direktmandat gegen die AfD. Er muss um sein Amt als Ministerpräsident bangen.
Ausgerechnet Görlitz, Heimatstadt des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Wenige Tage vor der Landtagswahl wählten hier auch viele CDU-Stadträte einen AfD-Mann in den Umwelt- und Ordnungsausschuss, einen, der als Waffennarr und Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung gilt.
[Lesen Sie mehr zu den Landtagswahlen im aktuellen Newsblog.]
Der Tabubruch erfolgte damit in dem Landtagswahlkreis, in dem der CDU-Politiker Kretschmer am Sonntag um das Direktmandat kämpfte. Und erschütterte seine Kontrahenten: „Die Masken eines Teils der örtlichen CDU fallen früher als gedacht“, sagte die Grünen-Landtagsabgeordnete Franziska Schubert: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD – so das Versprechen des Ministerpräsidenten. Hier ist sein Wahlkreis; das ist seine Basis-CDU. Wir glauben nicht, dass das Versprechen des Ministerpräsidenten im Großen gilt, wenn es im Kleinen eine andere Realität gibt.“ Der Linken-Landtagsabgeordnete Mirko Schultze warf der CDU vor, „nicht mal vor Identitären halt“ zu machen.
Kretschmers Ausgangslage vor der Sachsen-Wahl: Keine Zusammenarbeit mit der AfD, keine mit der Linkspartei. Auch eine Minderheitsregierung – die letztlich auf eine Tolerierung durch die AfD hinausläuft – will er partout nicht. Auch das sagte er vor dem Wahlsonntag mal mehr, mal weniger deutlich.
Doch was dann? Welche Koalition die größten Chancen hat, hing am Sonntag sehr stark vom Abschneiden der CDU ab. Wird sie, anders als bei der Bundestagswahl 2017 und der Europawahl im Mai, als ihr die AfD den Rang ablief, stärkste Partei? Gewinnt Kretschmer seinen Görlitzer Wahlkreis – oder doch der Polizist Sebastian Wippel von der AfD, der im Frühjahr beinahe zum Oberbürgermeister von Görlitz gewählt worden wäre? Und der nur unterlag, weil sich die anderen Parteien gegen ihn verbündeten? Am frühen Sonntagabend sah es danach aus, dass die CDU es schaffen könnte, wenigstens stärkste Partei zu werden, trotz massiver Stimmenverluste gegenüber der Wahl 2014.
Kenia-Koalition wahrscheinlich
Als wahrscheinlichste Regierungskonstellation für diesen Fall galt eine sogenannte Kenia-Koalition, ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen also, wie es seit 2016 in Sachsen-Anhalt an der Macht ist. In Sachsen noch schwerer zu schmieden als im nordwestlichen Nachbar-Bundesland – die inhaltlichen Differenzen gelten als groß. Nur zwei Stichworte: Braunkohle und die Wölfe. Kretschmer sagt, 90 Prozent der Mitglieder in seinem Landesverband wollten eine Regierungsbeteiligung der Grünen „partout nicht“. Eine Zusammenarbeit mit der AfD hingegen können sich manche vorstellen – Görlitz ist nur ein Beispiel für eine funktionierende Kooperation. Bei einem sehr schlechten Resultat für die CDU - so hatte es zuvor geheißen - galt der Verbleib von Kretschmer in seinen Ämtern als CDU-Landesvorsitzender und Ministerpräsident als alles andere als sicher.
Dass sich auch viele CDU-Landtagsabgeordnete den Kurs nicht von der Spitze vorschreiben lassen wollten, zeigte sich auch an den Aufritten des Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen im Sachsen-Wahlkampf. Nicht nur für die Bundesspitze um Annegret Kramp-Karrenbauer, sondern auch in der Führung der Landespartei gilt Maaßen als Enfant terrible. Und genau deshalb ließ der es sich nicht nehmen, einen Auftritt am Sonntag in Dresden anzukündigen. Am Abend war er als Stargast der Wahlparty der „Werte-Union“ gesetzt, im Penck-Hotel, nur wenige Schrittminuten vom Landtag entfernt. „Die Veranstaltungen mit ihm im Wahlkampf waren jedes Mal überfüllt“, sagt Ulrich Link, Vorsitzender des sächsischen Verbands der rechtskonservativen „Werte-Union“. Allein zum Auftritt in Radebeul kamen mehr als 300 Leute.
Der Ex-Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) präsentierte im Saal des Hotels „Goldener Anker“ seine provokativen Thesen zu Sicherheit und Migration, eingeladen hatte der Präsident des sächsischen Landtags, Matthias Rößler. Und Maaßen tourte weiter, drei Stationen machte er noch, bis nach Plauen im Vogtland. Der Beifall nahm kein Ende. Nicht selten kam er allerdings auch von AfD-Anhängern und sogar -Funktionären, die zu den Veranstaltungen gekommen waren.
„Nach den Veranstaltungen mit Maaßen haben die Leute gesagt, jetzt kann ich wieder die CDU wählen“, erzählt Link. Immerhin scheint das Theater der „Werte-Union“ zu nutzen. „Wir werden seit zwei Wochen überrannt mit Aufnahmeanträgen“, sagt Link. Maaßen brachte nicht nur KrampKarrenbauer zur Weißglut.
Die Faust geballt
Auch Ministerpräsident Kretschmer ballte die Faust. „Maaßen hat genügend Ärger gemacht“, sagte Kretschmer vor einer Woche: „Dieser Mann und sein undifferenziertes Gerede haben die Debatte über die rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz unnötig verlängert.“ Maaßen hatte vor einem Jahr – damals noch im Amt als Geheimdienst-Chef – der „Bild“-Zeitung gesagt, es lägen seiner Behörde „keine belastbaren Informationen“ über Hetzjagden in Chemnitz vor. Damals spielten er und Kretschmer sich noch die Bälle zu. Der sächsische Ministerpräsident sagte in einer Regierungserklärung im Landtag, es habe in Chemnitz „keinen Mob“ gegeben. Inzwischen hat sich das Verhältnis deutlich abgekühlt – die CDU-Landesspitze hätte alle Aufritte Maaßens im Wahlkampf gern verhindert.
Der Streit in der sächsischen CDU um den früheren Geheimdienstfunktionär offenbart klarer, als es Kretschmer lieb sein kann, die Spaltung in der Partei. Die traditionell eher rechte Mehrheit der Christdemokraten im Freistaat ist von Maaßens Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik und weiteren Sicherheitsthemen nicht weit entfernt. Deshalb drischt Kretschmer offenbar lieber wegen einer älteren umstrittenen Äußerung Maaßens auf ihn ein, als wegen der bei der Parteibasis in Sachsen anschlussfähigen politischen Inhalte des frühereren Verfassungsschützers.
„Werte-Union“-Landesvorsitzender Link betont im Gespräch mit dem Tagesspiegel seine Loyalität zu Kretschmer: „Wer AfD wählt, weiß nicht was er bekommt, der kauft die Katze im Sack.“ Den radikalen „Flügel“ um Björn Höcke – dem sich auch Sachsens AfD-Chef Jörg Urban verbunden fühlt – hält Link für unwählbar. Eher mild spricht der Mann von der „Werte-Union“ hingegen über die Leute in der AfD, „die von der CDU kommen“. Über deren Positionen ließe sich reden. Und wenn die AfD „etwas aus dem CDU-Programm übernimmt, kann ich doch nicht sagen, das will ich nicht“, sagt Link.
Frank Jansen, Matthias Meisner