CDU-Politiker Polenz über Rezo, AKK und die AfD: „Man setzt auf Twitter immer einen Impuls“
Anders als viele seiner Parteikollegen nutzt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz soziale Medien mit der Souveränität eines Digital Natives. Ein Interview.
Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz (73) war Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär. Seit er sich in den Ruhestand verabschiedet hat, ist er vor allem in sozialen Medien aktiv.
Herr Polenz, Sie sind am 26. Mai 73 Jahre alt geworden. Alles Gute nachträglich! Konnten sie ihren Geburtstag genießen, oder hat das schlechte CDU-Ergebnis bei der Europawahl ihre Feierlaune getrübt?
Dankeschön. Ich habe schon am Vormittag mit der Feier im Familienkreis begonnen, meine Kinder und Enkel waren da. Nach 18 Uhr ist dann das eingetreten, was ich mit Blick auf die Wahlergebnisse vorher schon befürchtet hatte. Aber an jedem Wahlergebnis gibt es auch etwas Tröstliches.
Was war denn daran tröstlich?
Dass die rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien nicht so gut abgeschnitten haben wie befürchtet. Besonders hat mich am späten Abend gefreut, dass die AfD in Münster unter vier Prozent lag.
Die AfD hat in Münster traditionell einen schweren Stand und kann keine nennenswerten Wahlerfolge vorzeigen. Was läuft dort anders?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist Münster eine international geprägte Bildungsstadt mit Universitäten, der es ökonomisch vergleichsweise gut geht.
Das trifft auch auf andere Städte zu.
In Münster gibt es seit Jahrzehnten einen Konsens zwischen den demokratischen Parteien im Rathaus: Man macht keine Politik auf dem Rücken von Minderheiten, insbesondere auf dem Rücken von Ausländern und Fremden. Dieses Klima wirkt dem Rechtspopulismus entgegen.
Umweltschutz hat sich zu einem entscheidenden Thema bei der Europawahl entwickelt. Wie kann die CDU da mit den Grünen mithalten?
Wir brauchen nur auf unseren Parteinamen zu schauen und ihn durchzubuchstabieren: Das C steht für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, und Schöpfung ist ein anderes Wort für Umwelt. Wir müssen nur ernst nehmen, was in unserem Parteinamen steht, dann können wir auch gute Lösungen anbieten.
Das sehen nicht alle Parteikollegen so. Thomas Bareiß, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Mitglied im CDU-Bundesvorstand, hat sich nach der Wahl auf Twitter herablassend über umweltbewusste Erstwähler geäußert.
Ja, den Tweet habe ich gesehen. Das ist nicht die richtige Botschaft. Wir müssen versuchen, Menschen jeder Altersstufe zu erreichen. Auch junge Menschen nehmen an unserer Demokratie teil, und die müssen wir ernst nehmen.
Die Woche vor der Wahl war geprägt von der Debatte um den Youtuber Rezo. Was war Ihre erste Reaktion auf sein Video „Die Zerstörung der CDU“?
Als ich das Video zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich richtig geärgert. Ich fand es ungerecht, alle Probleme der CDU anzukreiden und habe im Ärger mehrere Tweets verfasst. Dazu gab es ein paar Zustimmungen, aber überwiegend Kritik. Daraufhin habe ich mir das Video noch einmal angesehen und drüber nachgedacht. Ich habe dann einen offenen Brief an Rezo verfasst, weil ich ihn persönlich ansprechen wollte.
Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
In dem Brief habe ich Rezo weitestgehend Recht gegeben, was seine Positionen zum Klimaschutz angeht und den Umgang der Union mit jungen Wählern, besonders den Fridays-for-Future- Demonstranten. Ich widerspreche ihm jedoch in seinen außenpolitischen Behauptungen. Aber da das Video 55 Minuten lang ist, konnte ich nicht jedes Detail beantworten. Ich wollte ihm jedoch eine differenzierte Antwort geben und signalisieren, dass ich zwar mittlerweile 73 bin, aber Kinder und Enkel habe. Deren Zukunft liegt mir sehr am Herzen.
Ist die Rezo-Debatte eine Chance für die CDU?
Wir müssen auch scharfe Kritik an unserer Politik als Chance begreifen. Es ist wie Beschwerdemanagement in einem gut geführten Unternehmen: Man wird auf Fehler und Schwächen hingewiesen und hat die Möglichkeit, nachzubessern. Wer sich mal zurecht über etwas beschwert hat und angehört wurde, vergisst diese Reaktion nicht. Dann kann eine solche Beschwerde unserer Politik gegenüber letztlich sogar ein Gewinn sein.
Am Montag hat die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nachgelegt und angedeutet, die Freiheit in der digitalen Welt müsse in Wahlkampfzeiten eingeschränkt werden. Was halten Sie von diesen Äußerungen?
Ich kenne Frau Kramp-Karrenbauer und weiß, dass sie die Meinungs- und Pressefreiheit als hohes Gut unserer Demokratie wertschätzt. Sie hat sich allerdings sehr unglücklich ausgedrückt. Es gibt nichts zu regulieren. Zur Meinungs- und Pressefreiheit gehört es, dazu aufrufen zu können, eine Partei zu wählen oder eben nicht zu wählen. Neutralitätsregeln gelten nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Es klang ein wenig danach, als sei die CDU-Führung in Sachen soziale Medien, Influencer und Internet-Community ziemlich hilf- und ratlos. Wie groß ist die Verunsicherung?
Das Internet ist inzwischen der zentrale Ort für politische Diskussionen und Meinungsbildung, auch in Deutschland. Und zwar nicht nur für Jugendliche, sondern - wie die Wahlergebnisse zeigen - für alle unter 60. Und ich bin sicher nicht der einzige über 70, der in den Social Media engagiert mitdiskutiert. Infostände am Straßenrand und politische Versammlungen bleiben wichtig für die persönliche Begegnung. Aber viel wichtiger ist inzwischen der Meinungsaustausch im Internet. Zwar gibt es viele Statements von Politikern, aber sehr wenig Diskussion und Meinungsaustausch mit ihnen. Kommunikation ist eben nicht nur senden, sondern auch zuhören und antworten.
Hat die CDU unter jungen Wählern ein Problem mit Glaubwürdigkeit?
Ich glaube, es geht sogar noch tiefer. Wir, und da zähle ich mich auch hinzu, verstehen von den Kommunikationswegen junger Menschen manchmal nichts. Für mich war Youtube eher ein Stichwort für Musikvideos. Aber nach dem Erfolg, den Rezo mit seinem Video hatte, rechne ich damit, dass Youtube noch viel stärker zu einem politischen Medium wird, und damit müssen wir uns schleunigst beschäftigen.
In sozialen Medien gehen Sie mit gutem Beispiel voran.
Ich bin schon lange auf Facebook unterwegs und seit acht Wochen auch auf Twitter. Da sehe ich, dass viel zu wenige von uns sich dort engagiert einbringen. Einige tun es zwar durchaus erfolgreich, aber viele lehnen es ab. Kein Politiker kann es sich heute erlauben, die Dialogmöglichkeiten von Twitter und Facebook nicht zu nutzen!
Seit wann benutzen Sie Twitter?
Den allerersten Tweet habe ich abgesetzt, als ich den Account 2015 angemeldet habe. Aber 140 Zeichen waren mir zu kurz, sodass ich mich zunächst weiter auf Facebook konzentriert habe. Nach mehrmaliger Nachfrage habe ich jedoch Ende März meinen alten Twitter-Account aktiviert. Das Echo war positiv und es macht mir Spaß. Twitter ist schneller als Facebook und hat eine größere Reichweite.
Eignen sich 280 Zeichen für politische Diskussionen?
Es ist ein Austausch, man setzt auf Twitter immer einen Impuls. Die Kürze zwingt einen dazu, sich auf ein Argument zu konzentrieren. Bei längeren Facebook-Beiträgen kommen meist eine ganze Reihe Argumente hintereinander. Der eine bezieht sich in seinen Antworten auf das eine Argument, der andere auf ein anderes, und die Diskussion ist zerfranst.
Durchschnittlich tweeten Sie seit März mehr als 30 Beiträge pro Tag. Donald Trump, wohl einer der bekanntesten Twitter-Nutzer, kommt gerade einmal auf elf Tweets am Tag.
Trump ist auch US-Präsident, während ich im Ruhestand bin. Für mich ist es neben Podiumsdiskussionen und Vorträgen eine spannende Möglichkeit, nach meiner aktiven Zeit als Bundestagsabgeordneter an politischen Diskussionen teilzunehmen. Seit meiner Schulzeit war ich politisch aktiv, und das hört nicht einfach auf, wenn man in den Ruhestand geht.
Sie teilen auf Twitter häufig gegen rechtspopulistische Strömungen aus. Warum beschäftigt sie dieses Thema so sehr?
Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass wir es in Deutschland angesichts unserer Geschichte noch einmal erleben müssen, dass völkisches Vokabular und Gedankengut hoffähig werden. Man kann Nazi-Begriffe wie Umvolkung wieder verwenden, ohne dafür politisch sanktioniert zu werden. Außerdem sehe ich international ähnliche Tendenzen, wie das auch bei der Europawahl zu verfolgen war. Das Treibt mich um. Faschismus kommt nicht aus heiterem Himmel, es ist ein schleichender Übergang. Deswegen halte ich es für sehr wichtig, so früh und energisch wie möglich gegenzuhalten.
Wie zum Beispiel?
Wir müssen die AfD als Partei ausgrenzen, etwa indem wir ihre Vertreter nicht zu Veranstaltungen einladen wie dem Katholikentag. Mit der AfD-Wählerschaft verhält es sich natürlich anders. Man muss mit jedem einzelnen Wähler reden und versuchen, ihn zu überzeugen.
Die AfD stilisiert sich gern als Opfer, wenn sie anders behandelt wird, wie etwa bei der Abstimmung zum Bundestagsvizepräsidenten.
Die AfD wird sich immer als Opfer stilisieren. Wird sie nicht in eine Fernsehsendung eingeladen, ist sie Opfer, weil sie nicht dabei ist. Wird sie eingeladen, ist sie Opfer, weil ihr Fragen gestellt werden. Man kann mit der AfD nicht umgehen, ohne dass sie behauptet, Opfer zu sein. Denn wer Opfer ist, kann nicht schuld sein.
Manche Politiker haben die Begriffe und Inhalte der AfD nachgeahmt. Kann man der Partei auf diese Weise das Wasser abgraben?
Damit gräbt man der AfD kein Wasser ab, sondern schüttet ein paar Eimer dazu.
Sie kritisieren auch häufig ihre eigenen Parteikollegen. Wie reagieren die darauf?
Generell unterstütze ich Angela Merkels Kurs, sowohl in der Flüchtlingspolitik als auch in anderen Bereichen. Innerparteilich ist dieser Kurs bekanntlich nicht unumstritten. Wenn ich CDU-Politiker kritisiere, die Merkel in den Rücken fallen, rechne ich nicht mit freundlichen Antworten. Ich lege Wert darauf, dass meine Position der deutlichen Mehrheitsmeinung meiner Partei entspricht, ansonsten wäre Merkel nicht Bundeskanzlerin.
Sebastian Krüger