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Gesine Cukrowski unterstützt das Projekt "Findelbaby" seit 2004. Für ihr Engagement hat sie 2012 den Hans-Rosenthal-Ehrenpreis bekommen.
© dpa

Interview mit Gesine Cukrowski: "Man muss zuerst versuchen, Mutter und Kind zusammenzuführen"

Die Schauspielerin Gesine Cukrowski engagiert sich bei dem Projekt "Findelbaby - Mütter in Not". In dem Gesetzesentwurf zur Regelung der vertraulichen Geburt sieht sie keinen Vorstoß. Im Interview erklärt sie, warum es nicht ausreicht, die Frauen vor der Geburt zu betreuen.

Am Mittwoch hat Bundesfamilienministerin Kristina Schröder dem Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf zur Regelung vertraulicher Geburten vorgelegt. Schwangere Frauen, die ihr Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben wollen, können demnach Beratungsgespräche in Anspruch nehmen und ihr Kind per betreuter Geburt zur Welt bringen. Die Frauen müssen jedoch ihre persönlichen Daten hinterlassen. Das leibliche Kind hat mit 16 Jahren das Recht, Einsicht in diese Daten zu nehmen. Nur in Ausnahmefällen kann die Frau auf dauerhafte Anonymität bestehen.

Die Berliner Schauspielerin Gesine Cukrowski steht dem Projekt "Findelbaby" des Vereins Sternipark vor, das sich um Frauen kümmert, die ihr Kind vorerst nicht behalten wollen.

Durch ihre Arbeit beim Projekt "Findelbaby" haben sie Erfahrung mit schwangeren Frauen in Notsituationen. Was halten sie von dem Gesetzesentwurf?

Die vertrauliche Geburt ist ein zusätzliches Angebot. Aber de facto vereinfacht dieser Gesetzesentwurf den Adoptionsvorgang. Ich finde es tragisch, dass man nicht zuerst versucht, einen Weg zu finden, Kind und Mutter doch noch zusammenzuführen.

An welchen Stellen ist der Entwurf problematisch?

Die Beratungsangebote richten sich an Frauen vor der Geburt. Das ist der falsche Zeitpunkt, um die Frau mit so einer Entscheidung zu konfrontieren. Viele sind sich da noch sicher, das Kind wegzugeben. Für viele Frauen ist der Geburtsvorgang dann in vielfacher Hinsicht unerwartet – sie rechnen nicht damit, dass sich so eine starke Mutter-Kind-Bindung entwickeln kann. Deswegen gibt es viele Mütter, die sich später doch für das Kind entscheiden. Nach unserer Erfahrung entscheiden sich mehr als Hälfte der Frauen in den ersten Wochen nach der Geburt dafür, ihr zu Kind zu sich zu nehmen. Diese Möglichkeit sieht der Gesetzesentwurf nicht vor. Die Nachbetreuung der Mutter wird vollkommen außer Acht gelassen. Das ist doch ein brutaler Vorgang: das Kind ist geboren und die elterliche Sorge wird ans Amt abgegeben.

Beim Projekt "Findelbaby“ können die Frauen ihre Entscheidung, das Kind zur Adoption freizugeben, bis zu acht Wochen nach der Geburt überdenken. Wie läuft das ab?

Die Frauen melden sich bei uns und dann begleiten wir die werdende Mutter ins Krankenhaus. Die Geburt des Kindes wird medizinisch betreut. Danach betreuen wir nicht nur das Kind, sondern auch ganz engmaschig die Mutter. Gesetzlich ist es möglich, sein Kind acht Wochen lang in Obhut zu geben, das ist nicht illegal und keine Grauzone, sondern das Recht der Mutter. Wenn die Mutter in dieser Zeit noch in der Verantwortung ist und selbst entscheidet, ist das natürliche eine andere Situation, als wenn das Kind sofort in eine Adoptionsfamilie vermittelt wird. Nachvollziehbarer Weise besteht bei den Pflegeeltern kein Interesse, dass die leibliche Mutter Kontakt zu ihrem Kind hält und es vielleicht zurücknimmt. Bei uns ist es so, dass das Kind für acht Wochen in eine Pflegefamilie kommt, die sich nur für diese Zeit um das Neugeborene kümmert. In dieser Zeit kann die Mutter zur Ruhe kommen und, wenn sie es möchte, ihr Kind jederzeit sehen. Fast 60 % der Mütter entscheiden sich dann doch noch für ein Leben mit dem Kind. Die Kinder der Mütter, die das nicht können, finden liebevolle Adoptiveltern. Fast alle Mütter geben dabei vertraulich oder offen ihre Daten an. 16 Jahre damit zu warten, ist also nicht notwendig.

Was treibt die Frauen dazu, ihr Kind weggeben zu wollen?

Es sind häufig Frauen zwischen 20 und 30, die gerade in der Ausbildung sind oder am neuen Arbeitsplatz angefangen haben und große Sorge haben, in unserer Gesellschaft als alleinerziehende Mütter nicht funktionieren zu können. Es sind zum Großteil – entgegen aller Vorurteile – keine Frauen, die ihre Kinder vernachlässigen.

In dem Gesetzesentwurf zur vertraulichen Geburt darf eine Mutter nur in Ausnahmefällen anonym bleiben. Im Regelfall hat das Kind mit 16 Jahren einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer die leibliche Mutter ist.

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass unbedingte Anonymität der Schlüssel dafür ist, dass die Frauen die Hilfe überhaupt in Anspruch nehmen. Die Zusage dieser Anonymität ist der Beginn eines Beratungsprozesses, an dessen Ende oft nicht nur die Aufgabe der Anonymität steht, sondern viel mehr das glückliche Zusammenleben zwischen Mutter und Kind. Zu einer Beratungsstelle zu gehen und dort unter Zwang seine Personalien abzugeben – das entspricht ja genau den Ängsten der Frauen. Ich denke, dass es auf die Praxis nicht anwendbar ist. Bei unserem Projekt könnten sich die Frauen auch lange vor der Geburt melden - doch das tun die wenigsten. Die meisten rufen erst unter den Wehen an.

Sie betreuen die Frauen auch persönlich. Wie sieht das in der Praxis aus?

Ich bin für den Bereich Berlin und Brandenburg verantwortlich. Wenn ein Notruf kommt – und das kann nachts um drei sein – dann begleite ich die Mutter ins Krankenhaus und halte während der Geburt Händchen. Wenn das Kind gesund auf der Welt ist, fängt die Beratung an. Ich informiere die Mutter über ihre Möglichkeiten. Sie kann mit dem Neugeborenen in ein Mutter-Kind-Haus gehen oder es temporär zu einer Pflegefamilie geben. Dann halte ich sie auf dem Laufenden darüber, wie es dem Kind geht. Dadurch, dass die Mütter den Kontakt halten und Fotos geschickt bekommen, ist das Kind noch Teil ihres Lebens. Die meisten sind überrascht, was für Gefühle für das Kind entstehen. Das ist die Grundlage dafür, dass viele Frauen das Kind doch noch zu sich nehmen wollen. Diese Erfahrung sollte man in einen Gesetzesentwurf mit einbeziehen.

Unter der bundesweit geschalteten Rufnummer 0800/4560789 können sich Frauen in Not 24 Stunden am Tag bei der Stiftung Findelbaby melden.

Steffi Sandkaulen

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