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Nah bei den Menschen, hier im Bergwerk: das ist ein Markenzeichen von Armin Laschet. Dennoch will er sich nicht um den Wahlkreis seiner Heimatstadt Aachen bewerben.
© picture alliance/dpa

Laschets überraschender Wahlkreis-Verzicht: „Man kann schlecht Kanzler werden, wenn man zuhause eine Klatsche kriegt“

Jeder CDU-Kanzlerkandidat mit Ausnahme eines Sonderfalls bewarb sich um einen Wahlkreis. Armin Laschet will das in Aachen nicht. Aus Angst vor einer Pleite?

Für Oliver Krischer kommt es sehr überraschend, dass ihm Armin Laschet das erwartete Duell nun verweigern will. „Wir haben ja wenig Spitzenpolitiker, die so stark heimatverbunden sind wie Armin Laschet“, sagt der Grünen-Politiker. „Da muss man nur seine Biografie lesen, ich kenne ihn seit vielen Jahren aus Aachen. Da dreht sich ja alles um den Burtscheider Markt bei ihm.“

Dazu muss man wissen, dass der Katholik Laschet im Stadtteil Burtscheid geboren wurde und hier bis heute in einem Reihenhaus wohnt. Aber der CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat Laschet will sich dennoch nicht im Bundestagswahlkreis Aachen I um ein Bundestagsmandat bewerben.

Nach einer Wahlkreisprognose von election.de könnte der Wahlkreis ziemlich sicher an den Grünen Krischer gehen, er ist Energieexperte seiner Partei und ist im Bundestag Fraktionsvize. Election.de beziffert seine Siegchancen auf 72 Prozent. „Dass jemand jetzt einfach darauf verzichtet, für seine Heimatregion anzutreten und überhaupt seinen Einzug in den Bundestag fraglich gestaltet, das ist nach der ganzen Vorgeschichte seiner Kanzlerkandidatur schon sehr erstaunlich“, meint Krischer im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er vermutet, dass Laschet große Sorge habe, dass er sich bei einer Kandidatur  in Aachen, wo die Grünen schon bei der Kommunalwahl klar gewonnen haben, eine Niederlage einhandeln könnte und sich daher nicht traue, anzutreten. „Nach dem Motto: Man kann schlecht Kanzler werden, wenn man zuhause dann erst mal eine Klatsche gekriegt hat.“ Und Krischer stellt die Frage in den Raum: "Traut er sich nicht?"

Laschets CDU-Kollege hätte ihm "ohne jeden Groll" Platz gemacht

Laschet selbst hält sich hierzu bisher bedeckt. Die NRW-CDU teilt auf Anfrage, ob er definitiv nicht in dem Wahlkreis antrete und nur über die Landesliste ein Bundestagsmandat anstrebe, mit: "Armin Laschet wird der Spitzenkandidat der CDU-Nordrhein-Westfalen auf der Landesliste zur Bundestagswahl sein und auf Platz 1 stehen."

Bisher ist Rudolf Henke von der CDU der direkt gewählt Abgeordnete des Wahlkreises Aachen, er war von 2007 bis 2019 auch Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Am kommenden Mittwoch soll er bei der Kreisvertreterversammlung erneut nominiert werden. „Wenn Du den Wahlkreis willst, dann trete ich da zur Seite“, habe er Laschet gesagt, betont Henke im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Ich hätte ohne jeden Groll Platz gemacht.“ Beide kennen sich schon lange.

Henke will im Wahlkampf gegen Krischer die Bedeutung des Klimaschutzes gerade auch mit Blick auf die Gesundheit der Bürger betonen, zudem sei seine medizinische Expertise gerade in diesen Pandemiezeiten gefragt.

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Oliver Krischer ist Fraktionsvize der Grünen.
Oliver Krischer ist Fraktionsvize der Grünen.
© imago images/Political-Moments

Die anderen beiden Kanzlerkandidaten, Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) bewerben sich aber anders als Laschet um Direktmandate, sie treten gegeneinander in Potsdam an, sind aber für den Falle einer Niederlage über die Landeslisten in Brandenburg abgesichert. Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2017 war Laschet noch als Direktkandidat im Wahlkreis Aachen II angetreten, gewann den Wahlkreis für die CDU und wurde Ministerpräsident. Auch als er sich erstmals um ein Bundestagsmandat 1994 bewarb, gewann er das Direktmandat in Aachen, 1998 aber verlor er es und wechselt in das Europaparlament.

In der CDU ist so ein Verzicht de facto ein Novum

In der CDU ist dieser Wahlkreisverzicht für einen Kanzlerkandidaten, der quasi der oberste Volksvertreter werden will, ein Novum - mit der Ausnahme des Sonderfalls Kurt-Georg Kiesinger. Der CDU-Politiker kam 1966 während der Wahlperiode nach dem Rücktritt Ludwig Erhards ins Amt. Bis dahin war er Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Nach der nächsten regulären Bundestagswahl 1969 war er dann zwar nicht mehr Kanzler, wurde aber als Direktkandidat in den Bundestag gewählt, dem er bis 1980 angehörte.

Merkel gewann immer ihre Wahlkreis direkt, Kohl nicht

Angela Merkel gewann ihren Wahlkreis Vorpommern-Rügen - Vorpommern-Greifswald I seit 2005 immer direkt. Helmut Kohl bewarb sich immer um ein Direktmandat im Wahlkreis Ludwigshafen/Frankenthal. Der SPD-Politiker Martin Reimann gewann aber 1983 und 1987 das Mandat gegen Kohl, der aber den Wahlkreis 1990 und 1994 gewinnen konnte, 1998 unterlag er bei seiner Abwahl als Kanzler gegen die SPD-Politikerin Doris Barnett. Auch Ludwig Erhard war als CDU-Kanzler auch direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Ulm, auch Konrad Adenauer wurde stets direkt gewählt, bis zu seinem Tod 1967 vertrat er den Bundestagswahlkreis Bonn. In jüngerer Zeit verzichtete nur Gerhard Schröder bei der SPD auf einen eigenen Wahlkreis und sicherte sich über die niedersächsische Landesliste ab, ebenso wie Edmund Stoiber (CSU) bei seiner Kanzlerkandidatur. Und auch Martin Schulz war 2017 nur über die SPD-Landesliste in Nordrhein-Westfalen abgesichert, über die er dann in den Bundestag einzog.

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Zieht Laschets Listenplatz vielleicht gar nicht?

Doch Laschet spielt mit der Absicherung auf Platz 1 der CDU-Landesliste in Nordrhein-Westfalen auch auf Risiko. 299 Abgeordnete des Deutschen Bundestags werden direkt gewählt, der Rest über Landeslisten, sie vertreten also nicht direkt einen Wahlkreis. Direktkandidaten haben eine unmittelbare, stärkere Legitimation durch den Wähler - und sind auch stets Ansprechpartner vor Ort. Wenn Laschet kein Direktmandat anstrebt, setzt er darauf, dass die NRW-Landesliste der CDU "zieht", dass es also auch Listenmandate geben wird. Und da er als Spitzenkandidat ganz oben stehen wird, genügt es, wenn zumindest Listenplatz 1 zu einem Mandat im Bundestag führt.

Allerdings ist gar nicht völlig sicher, dass die Landesliste auch ziehen wird. Denn wenn die CDU in Nordrhein-Westfalen über die Erststimmen so viele Direktmandate bekommt, wie ihr nach den Zweitstimmen - also dem Parteienproporz - an Sitzen zusteht, ist der Anspruch an Mandaten erfüllt. Dann gibt es keine Listenmandate. Das musste 2017 auch der damalige CSU-Spitzenkandidat erleben. Landesinnenminister Joachim Herrmann führte die Liste an, ohne in einem Wahlkreis anzutreten. Alle bayerischen Direktmandate gingen an die CSU, zu viel, um noch als reiner Listenkandidat Erfolg haben zu können.

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Eine Garantie für den Bundestag ist nur ein sicherer Wahlkreis

Allerdings kann die Liste dann wieder in den Blick kommen, wenn bei der Wahl bundesweit viele Überhangmandate entstehen. Dann wird ausgeglichen, was unter Umständen bedeutet, dass auch die NRW-Landesliste der CDU dafür gebraucht wird. Aber wirklich berechenbar ist das vorerst nicht. Dazu ist noch zu viel Unsicherheit in den Umfragen. Aber da die Union mutmaßlich den Großteil der Direktmandate gewinnen wird (aktuell laufen Prognosen auf etwa 160 der 299 Wahlkreise hinaus), kann man als Faustregel aufstellen: Bei der Union kommen am sichersten jene Bewerber in den Bundestag, die in einem Wahlkreis antreten, der relativ sicher ist für die Union.

Laschet kann auch als Nicht-Bundestags-Mitgled Kanzler werden

Kanzler kann Laschet aber werden, auch wenn er kein Mandat hat. Bisher gab es da allerdings nur einen Fall: Ebenen jenen von Kurt-Georg Kiesinger.

Der Grünen-Konkurrent Krischer selbst glaubt, dass Laschet gegen ihn in Aachen durchaus gute Chancen hätte, eben weil er hier so bekannt und verankert sei. Als er Landtagskandidat in Aachen war, habe Laschet das "regelrecht zelebriert". Deshalb sei das alles umso erstaunlicher für ihn. "Da hat jemand große Sorgen gegen die Grünen zu verlieren und damit will er dann nicht seine eine potenzielle Kanzlerschaft belasten."

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